Neue Nationalgalerie in Berlin

Kritik nach Eklat um Nan-Goldin-Ausstellung

Wo beginnt und wo endet Meinungsfreiheit? Mit Blick auf den Nahost-Konflikt wiederholt sich die Debatte – auch nach Tumulten um die Berliner Ausstellung der berühmten US-Fotografin Nan Goldin

Von Weltkunst News
25.11.2024

Ein Eklat um die amerikanische Fotokünstlerin Nan Goldin hat die Debatte über Antisemitismus, Israel-Kritik und Meinungsfreiheit neu angefacht. Bei der Eröffnung einer großen Retrospektive ihres Werks hatte Goldin, die selbst aus einer jüdischen Familie stammt, Israel Völkermord vorgeworfen und auch Deutschland angeprangert. Es folgten scharfe Reaktionen unter anderem von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. 

Mit einem Symposium versuchte die Neue Nationalgalerie am Sonntag, Raum für eine konstruktive Auseinandersetzung zu bieten – allerdings ohne Goldin, die eine Teilnahme ablehnte. Diese Veranstaltung verlief dann immerhin ohne große Zwischenfälle, „in ruhiger und respektvoller Atmosphäre“, wie die Veranstalter am Abend resümierten.

Seit dem blutigen Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mit Hunderten Toten und der israelischen Gegenoffensive im Gazastreifen wiederholt sich die Diskussion. Schon die Berlinale im Frühjahr war überschattet von schweren Vorwürfen von Filmemachern gegen Israel, die als einseitig und antisemitisch kritisiert wurde. Am Freitagabend folgte zeitweiliger Tumult bei der Eröffnung der Goldin-Ausstellung „This Will Not End Well“, zumal lautstarke propalästinensische Aktivisten vor Ort waren.

„Ich habe beschlossen, die Ausstellung als Plattform zu nutzen“

Die 71-jährige Goldin, eine der berühmtesten Fotografinnen weltweit, erinnerte zunächst an die Todesopfer in den palästinensischen Gebieten, im Libanon und auch in Israel. In einer Rede sagte sie dann: „Ich habe beschlossen, diese Ausstellung als Plattform zu nutzen, um meiner moralischen Empörung über den Völkermord in Gaza und im Libanon Ausdruck zu verleihen.“ Deutschland sei die Heimat der größten palästinensischen Diaspora Europas. „Dennoch werden Proteste mit Polizeihunden bekämpft“, sagte sie.

„Haben Sie Angst, das zu hören, Deutschland? Dies ist ein Krieg gegen Kinder“, sagte Goldin. Sie erinnerte an ihre jüdische Familie. „Meine Großeltern entkamen den Pogromen in Russland. Ich bin mit dem Wissen über den Nazi-Holocaust aufgewachsen. Was ich in Gaza sehe, erinnert mich an die Pogrome, denen meine Großeltern entkommen sind.“ Außerdem sagte Goldin: „Die gesamte Infrastruktur Palästinas ist zerstört worden. Die Krankenhäuser, die Schulen, die Universitäten, die Bibliotheken. Es ist auch ein kultureller Völkermord. Warum kannst du das nicht sehen, Deutschland?“

Nationalgalerie-Direktor geht auf Distanz

Goldins Rede wurde von Teilen des Publikums bejubelt. Als der Direktor der neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, entgegnen wollte, war er wegen der skandierenden Aktivisten kaum zu hören. Diese forderten in Sprechchören unter anderem die „Freiheit Palästinas“. Die Polizei schritt ein. Erst als sich die Lage beruhigt hatte, las Biesenbach die Rede noch einmal vor – und grenzte sich deutlich von der politischen Haltung Goldins ab.

„Unsere Arbeit stützt sich auf grundlegende Werte, die nicht zu negieren sind“, sagte er. „Das Existenzrecht Israels steht für uns außer Frage. Der Angriff der Hamas auf den jüdischen Staat am 7. Oktober 2023 war ein grausamer Terrorakt, der durch nichts zu rechtfertigen ist.“ Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, verurteilte Goldins Äußerungen und den Protest gegen die Gegenrede ebenfalls scharf.

„Unerträglich einseitige Ansichten“

Ähnlich waren die Reaktionen aus der Politik. Kulturstaatsministerin Roth erklärte: „Ich bin entsetzt, wie der Direktor der Neuen Nationalgalerie niedergebrüllt wurde.“ Das sei absolut inakzeptabel. Goldins künstlerische Arbeit sei verdienstvoll, ihre Ansichten aber „unerträglich einseitig“, betonte die Grünen-Politikerin. Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) meinte: „Ich teile die Position von Nan Goldin nicht und empfinde ihre Statements als kaum hinnehmbar. In unserer Stadt Berlin, in der der Holocaust geplant wurde, und die nun für Freiheit steht, ist eine derart geschichtsvergessene Einseitigkeit inakzeptabel.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, äußerte sich im „Tagesspiegel“ mit nur einem Satz: „Wer BDS einlädt, bekommt BDS.“ Das Kürzel steht für die gegen die israelische Palästina-Politik gerichtete Boykottbewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“. Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees sprach in dem Blatt von einer „kalkulierten Inszenierung“, mit der Goldin ihre künstlerische Größe und moralische Integrität missbraucht habe.

Meinungsfreiheit und die Freiheit der anderen

Goldin und andere Künstler beklagen, israelkritische Meinungen könne man nicht frei äußern. Nach dem Tumult bei der Ausstellungseröffnung gab Parzinger den Vorwurf zurück: „Das ist nicht unser Verständnis von Meinungsfreiheit.“

Brücken bauen sollte eigentlich das Symposium „Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung“ am Sonntag in der Berliner Staatsbibliothek. Moderator Meron Mendel, Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, sagte vorab, die Debatten in der Kunst– und Kulturwelt über den Nahost-Konflikt, gerade in Deutschland, seien bislang sehr polemisch verlaufen. Man brauche eine „gesunde Debattenkultur, um solche Konflikte in eine diskursive Form zu bringen“.

Doch ging wiederum Goldin auf Distanz zu der Veranstaltung, einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer sagten ab. „Die Künstlerin wurde eingeladen, am Symposium teilzunehmen, lehnte jedoch ab und machte deutlich, dass sie mit der Veranstaltung und jeder Verbindung zu ihrer Ausstellung nicht einverstanden ist“, erklärten die Organisatoren. „In der derzeit angespannten Atmosphäre ist der Prozess für alle Beteiligten herausfordernd.“ (dpa)

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