Kunstraum Kreuzberg/Bethanien

Kunst ohne Namen

Der Kunstraum Kreuzberg im ehemaligen Krankenhaus Bethanien in Berlin präsentiert die Ausstellung „Anonyme Zeichner“ und verkauft jedes Werk zum Einheitspreis, ohne vorher preiszugeben, wer es schuf

Von Jennifer Keil
12.12.2024

Ist Kunst auch ohne die Künstlerin oder den Künstler zu denken für Sammler attraktiv? Diese Frage wird einem in der Ausstellung „Anonyme Zeichner“ im Kunstraum Kreuzberg im Bethanien in Berlin gar nicht erst gestellt. Denn dort werden zwar über 1000 Kunstwerke ausgestellt und zum Kauf angeboten, aber die Namen der Kunstschaffenden bleiben versteckt. An den Wänden versammeln sich in Petersburger Hängung die Werke in verschiedenen Größen neben- und übereinander. Dazwischen bilden sich Leerräume für die bereits verkauften und schon abgehängten Arbeiten, erst dann enthüllen sich der Name der Kunstschaffenden und der Herkunftsort, sie bleiben, mit weißem Edding geschrieben, zurück.

Das Projekt fing vor 19 Jahren in einem kleinen Berliner Galerieraum in der Prenzlauer Allee an, der für eine Nacht öffnete und mit dem Bilder- und Getränkeverkauf die entstandenen Kosten stemmte. Über die Jahre reiste das Projekt europaweit in die unterschiedlichsten Kreativräume. 

Der Preis für ein Werk, 250 Euro, setzt sich zusammen aus 200 Euro für die Künstlerinnen und Künstler und den restlichen 50 Euro, die in die Organisation und Umsetzung der umfassenden Schau fließen. Der Einheitspreis versteht sich dabei nicht als ein realer Marktpreis, sondern steht eher als eine konzeptuelle Leerstelle für jede erdenkliche Summe auf dem Kunstmarkt. 

Beim Herumstöbern und Betrachten fällt das Fehlen der Namen nicht zwangsläufig auf, nur ab und zu wandert der Blick intuitiv auf den nicht existierenden „Titel-und-Namen-Kasten“ rechts unten, wie er in Museen oder Galerien üblich ist. Ohne die gewohnte Einordnung wird das übliche Schubladendenken vermieden. So lässt sich auch der eigene Geschmack viel konkreter einordnen, und die Kunst vielleicht sogar intensiver genießen. Denn das Einzige, was hier zählt, ist die eigene Auswahl.

Im Gespräch erläutert die Initiatorin und Kuratorin Anke Becker den enormen Organisationsaufwand, der hinter dem Mammutprojekt steht. Während wir sprachen, stellten sich zwei Personen neben uns: Sie hatten sich für ein Werk entschieden und zeigten es Becker als Screenshot auf dem Smartphone. „Das ist leider schon weg“, musste sie entgegnen. Die zweite Wunscharbeit hing aber noch an der Wand. Die Kuratorin erkannte sie sofort, denn die Zeichnung stammt vom Sohn ihrer Freundin. Sie zeigt eine verkaterte Katze mit qualmender Zigarette in der Pfote im DINA4-Format. Und dann wurde das kleine Kunstwerk auch schon vorsichtig abgenommen, und mit weißem Marker kamen der Name und Herkunftsort an den frei gewordenen Platz. Dabei ist wichtig anzumerken: Die private Überschneidung ist reiner Zufall, denn die Auswahl der rund 1000 Werke aus den 4000 eingereichten erfolgte von Becker über anonymisierte Bilddateien. Erst später erfuhr sie, von wem die Werke stammen. 

Dass der Name der Kunstschaffenden wirklich erst nach der Bezahlung gelüftet wird, hat sich im Laufe der zwei Wochen nochmals verschärft. Als sich nämlich rausstellte, dass die Striche einer Zeichnung sich nicht Neo Rauch verdanken, trat der Käufer, kurz vor der Bezahlung, zurück.

Dass alles selbst organisiert und realisiert wird, zeigt sich erst auf den zweiten Blick. Zwischen Bilderrahmenempfehlungen und persönlicher Verpackung des Kunstwerkes lässt das entspannte Klima in den verschachtelten Räumen einen erfrischenden Kontrast zu anderen Kunsträumen zu. 

Übrigens: Die Werke sind nicht nur an ausgewählten Tagen im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin zu erwerben, sondern auch auf der Website (anonyme-zeichner.de).

Eine Wand in der Ausstellung „Anonyme Künstler“ im Kunstraum Kreuzberg Bethanien
Eine Wand in der Ausstellung „Anonyme Künstler“. © privat

Service

AUSSTELLUNG

„Anonyme Zeichner“

bis 12. Januar 2025

im Kunstraum Kreuzberg / Bethanien, Berlin

anonyme-zeichner.de

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