Zum 23. Mal veröffentlicht das britische Magazin ArtReview seine „Power 100“-Liste. Die diesjährige Zusammenstellung ist erfrischend divers, doch viele Namen stehen nicht zum ersten Mal darauf
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05.12.2024
In den Top 10 der diesjährigen ArtReview-Liste liegt ein deutlicher Fokus auf Kunstschaffenden. An der Spitze findet sich die Künstlerin, Kuratorin und Direktorin der Sharjah Biennial Sheikha Hoor Al Qasimi. Im Jahr 2009 gründete sie die Sharjah Art Foundation, sowohl als Ressource für Kunstschaffende in der Golfregion als auch als Kanal für regionale und internationale Entwicklungen in der zeitgenössischen Kunst. Dabei nutzte sie ihr Wissen über die Kunst der Golfregion und außerhalb des Emirats sowie ihre Privilegien als Tochter des Emirs von Schardscha für Ausstellungen, die den Fokus weg von eurozentrischen Narrativen lenken.
Direkt dahinter reiht sich der thailändische Künstler Rirkrit Tiravanija auf Platz 2 ein. Mit seiner aktuellen Ausstellung und zweiten Retrospektive im Berliner Gropius Bau „Das Glück ist nicht immer lustig“ lässt er zufällige Begegnungen entstehen und lenkt den Fokus auf soziale Beziehungen und deren Scheitern. Als Kurator war er bereits beim Okayama Art Summit 2022 und der Thailand Biennale 2023 tätig. Bei dem diesjährigen Forest Festival in Okayama stellte er zwei neue Projekte vor, dabei bot er beispielsweise den Besuchenden eine Lunchbox mit lokalen Lebensmitteln an.
Platz 3 belegt die US-amerikanische Professorin für Literaturwissenschaft Saidiya Hartman. In ihren Werken setzt sie sich vor allem mit der Geschichte der Sklaverei auseinander. Die Relevanz und internationale Strahlkraft zeigt sich unter anderem in der Auszeichnung ihres Buches „Lose Your Mother“, als die beste japanische Übersetzung des Jahres.
Letztes Jahr auf Platz 8 und nun auf Platz 4 geklettert ist der amerikanische Regisseur Steve McQueen. Mit Filmen wie „12 Years a Slave“, „Small Axe“ oder „Uprising“ erlangte er große Berühmtheit. Nun wurde ihm in New York eine Ausstellung mit seinen fotografischen und filmischen Werken gewidmet.
Auf Platz 5 kam die Forschungsgruppe Forensic Architecture. In ihren Projekten ermittelt die Gruppe räumliche Evidenzen zu Menschenrechtsverletzungen in politischen und kulturellen Kontexten. Dabei begrenzt sich deren Geografiebegriff nicht nur auf Gebäude, sondern auf die Gesamtheit von gestalteten Umgebungen auf der Ebene von Städten und Territorien.
Der ägyptische Künstler Wael Shawky erreicht Platz 6. Seinen Filmen, Fotografien oder Performances ist eine ausgiebige Recherche vorangestellt, die sich auf nationale, religiöse und künstlerische Identitäten beziehen.
Auf Platz 7 hat es die politisch umstrittene Fotografin Nan Goldin geschafft, die letztes Jahr noch die Liste anführte. Ihre Ausstellung eröffnete vor wenigen Wochen in Berlin unter dem Titel „This will not end well“ und sorgte für einen riesigen Eklat. In ihren fotografischen Werken spiegelt sich ihr politischer Aktivismus sowie ihr Engagement gegen das Pharmaunternehmen der Familie Sackler, die eindrücklich im Dokumentarfilm „All the Beauty and the Bloodshed“ von Laura Poitras festgehalten wurde.
Der Künstler Kerry James Marsh belegt Platz 8. Mit seinem 1980 gemalten Bild „A Portrait of the Artist as a Shadow of His Former Self“ spielt er auf die geringe Repräsentanz Schwarzer Menschen in der figurativen Kunst an, wofür er in den vergangenen Jahren viel Anerkennung bekam, auch am Markt gehört Marshall zu den Blue Chips. Er war bereits 2022 auf der Liste zu finden, damals aber noch auf Platz 39.
Die amerikanische Denkerin Anna Kornbluh belegt dieses Jahr Platz 9. Sie überzeugte mit ihrem Kunsttheoriebuch „Immediacy: Or, The Style of Too Late Capitalism“, indem sie ihre Überlegungen zu unzähligen kulturellen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts verknüpft, wie die experimentelle Kunst der Ich-Erzählung in Fiktion oder Fernsehen oder der Persönlichkeitskult von Kunstschaffenden. Alles flicht sie zu einem Gesamtbild zusammen, dass sie auf den Kapitalismus zurückführt.
Letztes Jahr noch auf Platz 33 und dieses Jahr Platz 10: John Akomfrah erschuf für den britischen Pavillon der Venedig Biennale 2024 den meditativen Durchgang „Listening All Night to the Rain“.
Erst letzten Monat gewann die amerikanische Künstlerin Carrie Mae Weems die National Medal of Arts ,und nun ergatterte sie sich Platz 11 von 100. Knapp darunter ordnen sich auf Platz 14 Ibrahim Mahama und auf Platz 15 Nicole Eisenman ein.
Auch deutschsprachige Kunstschaffende haben es auf die renommierte Liste geschafft, wie Hito Steyerl auf Platz 18. Die Filmemacherin und Autorin und beschäftigt sich neben ihrer Professur an der Universität der Künste für Experimentalfilm und Video und als Mitgründerin des Research Centers for Proxy Politics mit postkolonialer Kritik und feministischer Repräsentationslogik. Das spiegelt sich bei ihr vor allem an der Schnittstelle zwischen bildender Kunst und Film, sowie Theorie und Praxis statt.
Der Schweizer Kurator und Weltkunst-Kolumnist Hans Ulrich Obrist belegt Platz 59. Außerdem wurde die Direktorin des Zeitz MOCAA Museum in Kapstadt Koyo Kouoh, die außerdem die Kuration der nächsten Venedig Biennale übernimmt (Platz 16), der Künstler Isaac Julien (Platz 22), der Galerist David Zwirner, sein Vater sprach mit uns im Podcast „Was macht die Kunst?“ (Platz 38), die amerikanische Künstlerin Julie Mehretu sprach ebenfalls mit uns im Podcast (Platz 26), die Schweizer Sammlerin Maja Hoffmann (Platz 29), der Direktor vom Haus der Kulturen der Welt Bonaventure Soh Bejeng Ndikung (Platz 20), die Galeristen Iwan Wirth, Manuela Wirth & Marc Payot (Platz 28), der Galerist Larry Gagosian (Platz 35), die südkoreanische Künstlerin Haegue Yang (Platz 48), die beiden Galeristinnen Monika Sprüth & Philomene Magers (Platz 49), der Künstler Refik Anadol (Platz 57), Gewinner der diesjährigen Venedig Biennale mit dem Australischen Pavillon Archie Moore (Platz 98), sowie der Künstler Azu Nwagbogu, der ebenfalls im Podcast zu Gast war (Platz 73), ausgezeichnet.
Die Auswahl traf ein 40-köpfiges Gremium aus Menschen, die in der Kunstbranche arbeiten und auf der ganzen Welt verteilt sind. Zu den Hauptauswahlkriterien gehören ein künstlerisches Schaffen über die vergangenen zwölf Monate, ein Mitformen der aktuellen Kunstentwicklungen sowie eine globale Bedeutung der künstlerischen Arbeit. Die meisten der Ausgezeichneten teilen das Anliegen, ihre Möglichkeiten für neue Netzwerke und Infrastrukturen zu nutzen und Einfluss auf breitere gesellschaftliche Zusammenhänge zu nehmen.