Das Pariser Musee d’Orsay präsentiert Gustave Caillebottes Blick auf die maskuline Figur
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06.12.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 235
„Wer kennt Monsieur Caillebotte? Woher kommt er? Wo hat er sich ausbilden lassen? Niemand konnte mich darüber aufklären. Ich weiß nur, dass Monsieur Caillebotte einer der eigenständigsten Maler ist, die seit einigen Jahren hervorgetreten sind, und glaube, mich nicht mit der Prognose zu irren, dass er schon bald eine Berühmtheit sein wird.“ So brachte der Kritiker Marius Chaumelin 1876 anlässlich der zweiten Ausstellung der Impressionisten sein Erstaunen auf den Punkt – und irrte sich mit seiner Vorhersage nicht grundsätzlich, aber um ein Jahrhundert.
Denn als Maler fiel Gustave Caillebotte ab 1894, nachdem er im Alter von nur 45 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben war, zunächst dem Vergessen anheim. Zwar verband man den Verstorbenen weiterhin mit einem Impresario und Mäzen seiner lange am Hungertuch nagenden Malerfreunde wie Monet, Renoir und Sisley sowie als deren Sammler. Ein Teil seiner Kollektion – Bilder auch von Manet, Pissarro, Degas oder Cézanne – kam 1897 dauerhaft in das Pariser Musée du Luxembourg, Vorgänger der späteren Galerie nationale du Jeu de Paume und dann des Musée d’Orsay. Doch erst am Ende des 20. Jahrhunderts wurde sein eigenes künstlerisches Werk verstärkt wieder gewürdigt, in den USA und in Frankreich, bevor es durch Ausstellungen in Bremen und Essen, später in Frankfurt und Berlin auch in Deutschland in den Fokus gebracht wurde. Jetzt ist es, genau dreißig Jahre nach der Retrospektive im Grand Palais, die geradezu als Offenbarung galt, erneut in Paris zu sehen – in einer Schau des Musée d’Orsay.
Zusammengekommen ist zwar keine Retrospektive – zu vieles fehlt, darunter Stillleben, Landschaften und ein paar Highlights, denen man gerne begegnet wäre. Aber das ist zu verschmerzen angesichts der zentralen Stücke dieser breit angelegten thematischen Ausstellung, die das Œuvre Caillebottes gegen den Strich bürstet. Zu sehen sind das großformatige, aus Chicago angereiste Gemälde „Straße in Paris, Regenwetter“, Bilder von der Pont de l’Europe, der Brücke über den Schienen und Weichen am Bahnhof Gare Saint-Lazare, vor allem aber Handwerker, darunter seine einzigartigen „Parketthobler“, Ruderer, Kanufahrer, Segelsportler und Kartenspieler, kurz: Caillebottes von Männern dominierte Bildwelt.
Die Ausstellung „Caillebotte. Peindre les hommes“ („Männer malen“) geht jetzt gegenüber klassischeren Präsentationen weniger dem Phänomen der Aufhellung und Erweiterung seiner Palette nach, die auf den dunkeltonigen Naturalismus der „Parketthobler“ und anderer Interieurs folgte, auch nicht dem sich lockernden Pinselstrich, den er von Monet und Sisley übernahm, oder der geradezu spleenigen Betonung von Perspektiven und Diagonalen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr Themen und Motive, die den Zeitgenossen als innovativ, ja dem Leben abgeschaut galten, und hier vor allem solche mit Männern, einschließlich Porträts oft lediger Freunde und Bekannter. Frauen spielen dabei durchaus eine Rolle, nicht nur die Mutter des Malers, sondern auch eine geheimnisumwobene Gefährtin, die er nie heiratete. Keinesfalls üblich war es dagegen, aus der Wanne gestiegene Männer im Adamskostüm zu malen, als müssten Gegenstücke zu Degas’ weiblichen Badenden her.
Zielte Caillebotte subversiv auf zeitgenössische Rollenmuster und vorherrschende Vorstellungen von Maskulinität? Wie verstand er sich selbst? Klare Antworten sind nicht zu erwarten, denn der Maler übte sich stets in Diskretion. Übrig bleiben seine mitunter mehrdeutigen Bilder, die uns Betrachtende anregen, ihre Rätsel zu ergründen und Spielraum für Fantasien, wenn nicht Spekulationen bieten.
„Caillebotte. Peindre les hommes“,
im Musée d’Orsay, Paris,
bis 19. Januar 2025