Naomi Beckwith wurde heute in Kassel als Künstlerische Leiterin der kommenden Documenta 16 vorgestellt. Ein Kommentar
ShareMit Naomi Beckwith als neu gekürte Künstlerische Leitung der Documenta 16 kann die Planung der nächsten Ausgabe der „Weltkunstschau“, die vom 12. Juni bis 19. September 2027 in Kassel stattfinden wird, in ihre entscheidende Phase gehen. Die Personalie wurde am heutigen Mittwochnachmittag von Andreas Hoffmann, Geschäftsführer der Documenta und Museum Fridericianum gGbmH, in Kassel bekannt gegeben – und die Entscheidung der sechsköpfigen Findungskommission deutet vor allem eines an: Angesichts des Skandals um die schlagzeilenträchtige vergangene Ausgabe der Documenta scheint allgemein der Wunsch nach einer Rückkehr in sichere und vorhersagbarere Formen des Kuratierens zu bestehen. Naomi Beckwith ist die aktuelle stellvertretende Direktorin des Guggenheim Museums in New York, bringt für den neuen Posten also viel Erfahrung im Leiten einer Kulturorganisation mit.
Beckwith sprach beim Vorstellungstermin in Kassel von der „Überraschung und großen Freude“ darüber, von der „außerordentlich guten besetzten Kommission“ ausgewählt worden zu sein. Nachdem die erste Documenta-Findungskommission vor einem Jahr in einem Antisemitismus-Streit ergebnislos auseinandergegangen war, einigte sich die zweite Kommission – bestehend aus den international renommierten Kuratorinnen und Kuratoren Yilmaz Dziewior (Museum Ludwig, Köln), Sergio Edelsztein (Tel Aviv), N’Goné Fall, Gridthiya Gaweewong (Jim Thompson Art Center in Bangkok), Mami Kataoka (Mori Art Museum/Tokio) und Yasmil Raymond (Frankfurt) – innerhalb eines halben Jahres relativ schnell auf die Kandidatin und deren Konzept. „Ich kenne die Mitglieder der Jury und weiß, welche Arbeit sie geleistet haben“, sagte Beckwith in Kassel. Aber man kann es eben auch andersherum sehen: Die 1976 geborene Kunsthistorikerin ist wahrlich keine Unbekannte in der globalen Kunstwelt. Das unterscheidet sie deutlich vom indonesischen Kollektiv Ruangrupa, das die vergangene Documenta-Ausgabe leitete.
Beckwith absolvierte ihr Kunstgeschichtsstudium am Courtauld Institute of Art in London und arbeitete vor ihrem Posten am Guggenheim unter anderem als Kuratorin am MCA Chicago und am Studio Museum sowie als Gastprofessorin an der Northwestern University und der School of the Art Institute of Chicago. Einer ihrer Themenschwerpunkte ist die Wirkung Schwarzer Kultur auf die globale zeitgenössische Kunst. Sie erhielt in diesem Jahr vom High Museum of Art in Atlanta (USA) den David-C.-Driskell-Preis für afroamerikanische Kunst und Kunstgeschichte 2024. Zudem leitet sie aktuell auch noch das Team der Kuratorinnen und Kuratoren des Palais de Tokyo in Paris für die Herbstausstellungen 2025, die so betitelte „American Season“.
Bemerkenswert souverän beantworte Beckwith bei ihrem Auftritt in Kassel auch die kritischen Fragen der anwesenden Journalistinnen und Journalisten – beispielsweise ob sie denn als Künstlerische Leitung sicherstellen könne, dass nicht wieder antisemitische Inhalte in Werken gezeigt werden, so wie es auf der vergangenen Documenta unter Ruangrupa geschehen ist. „Ich habe keine Toleranz für jeglichen Rassismus, Antisemitismus oder für Diskriminierung. Das wird es in einer Ausstellung unter meiner Kuratierung nicht geben“, entgegnete die neue Documenta-Chefin. Und ergänzte in einem durchaus klaren Seitenhieb auf die Fehler Ruangrupas: „Ich werde ständig mit den Künstlerinnen und Künstlern reden und in Kontakt sein. Es wird nicht passieren, dass ich ein Kunstwerk erst am Tag der Eröffnung ansehe. Deshalb wird es auch keine bösen Überraschungen geben. Ich kenne die Kunstschaffenden gut, die ich auswähle. Und natürlich wollen diese auch ihre Meinung sagen. Aber am Ende muss eben alles ins Gleichgewicht kommen.“ Unabhängig von ihrem skizzierten inhaltlichen Konzept, das als vage Kernpunkte Themen wie „Interkultureller Dialog“, „Künstlerische Strategien zur Überwindung von Notsituationen“ oder „Umgang mit dem technischen Fortschritt“ enthielt, deutete Beckwith in organisatorischer Hinsicht also die klare Rückkehr zur ordnenden kuratorischen Hand bei der Documenta 16 an. Die Documenta-Geschäftsführung und die Stadt- und Landespolitiker, die als Mitglieder des Documenta-Aufsichtsrats bei der Vorstellung in Kassel präsent waren, dürften diese Nachricht mit Erleichterung aufgenommen haben.