Martin Roth, Hartwig Fischer, Max Hollein und viele mehr: Spitzenkräfte aus deutschen Museen sind begehrt und immer mehr gehen ins Ausland. Wenn es so weiter geht, wird Deutschland bald eine Personalkrise für die hohen Museumsämter haben
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03.04.2016
Überrascht hat es eigentlich niemanden, als vor Kurzem Max Holleins Weggang aus Frankfurt bekannt wurde. Wer sein glanzvolles, segensreiches Wirken als Superdirektor von Städel, Schirn und Liebieghaus verfolgt hat, der fragte sich schon seit Jahren nicht mehr, ob er bleibt, sondern nur noch, wann er die Stadt am Main denn verlassen wird? Und: Wird es das MoMA, das Centre Pompidou oder die Tate? In Deutschland, aber auch weit darüber hinaus, wurde der Österreicher wie ein Wundermann bestaunt, der einer mittelgroßen Kulturstadt zu einer nie abreißenden Parade von spektakulären Ausstellungen verholfen hat. Frankfurt wurde wieder festes Reiseziel für Kunstfreunde aus aller Welt. Hollein holte und förderte hervorragende Kuratoren. Er ermunterte sie zu Höchstleistungen, überließ ihnen die fachliche Souveränität und sorgte für den Zustrom förderwilliger Bürger und Firmen. Bei Ankäufen bewies er Mut, auch wenn es um einen strittigen Raffael ging, und für den Anbau eines unterirdischen Gegenwartstraktes wie für viele andere Projekte begeisterte er Tausende von Frankfurtern, das Städel als ihr Museum zu begreifen und sich auch mit kleinen Beträgen zu beteiligen.
Nun geht Hollein, schon im Juni, ans Fine Arts Museum in San Francisco. Er wird dort beste Bedingungen ausgehandelt haben. Seine Fußstapfen in Frankfurt sind groß, und es dürfte der Stadt kaum gelingen, einen ähnlich charismatischen, energiereichen und kreativen Museumsorganisator zu bekommen. Man wird von dem, was er geschaffen hat, erst einmal zehren müssen. Denn der Pool der potentiellen Spitzenkräfte in der deutschen Museumswelt ist ziemlich leer. Fähige Frauen und Männer für die großen Ämter fallen nicht vom Himmel, sie müssen heranreifen und neben der fachlichen Qualifikation auch an die kunstfremden Aufgaben des Museumswesens herangeführt werden. Mit 35 kann man noch nicht Louvre-Chef oder Museumsgeneral in Berlin werden. Da braucht es Erfahrung, eine gereifte Persönlichkeit und kulturpolitisches Geschick; so etwas muss heranwachsen. Die Förderung der jungen Führungstalente wird aber in den deutschen Museen sträflich vernachlässigt. Oft liegt es am übergroßen Ego der Chefs, oder die Arbeitsbedingungen in unterfinanzierten Häusern sind so prekär, dass begabte Kustoden ihre Talente nicht zur Geltung bringen können.
Jedenfalls ist bei der Nachwuchsförderung in den letzten zehn, zwanzig Jahren einiges schief gelaufen. Jetzt haben die deutschen Museen ein ausgewachsenes Personalproblem; und dies paradoxerweise bei verbreiteter Arbeitslosigkeit unter Kunsthistorikern und massenhaften Bewerbungen für die wenigen frei werdenden Museumsstellen. Doch geht es um die Chefposten in den großen Häusern oder gar um die Lenker der Museumstanker in Berlin, München oder Dresden, dann wird die Luft dünn. München hat es gerade noch einmal geschafft, mit Bernhard Maaz (vorher Dresden) einen hervorragenden Mann – sehr guter Ausstellungsmacher, universaler Kenner, Intellektueller, erfahrener Bauorganisator und Diplomat in einem – für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zu finden. Doch was passiert in Dresden, wo der Museumsgeneral Hartwig Fischer nach nur vier Jahren ans British Museum in London wechselt? Dort trifft er auf seinen Dresdner Vorgänger Martin Roth – auch er ein brillanter Kandidat für höchste Museumsaufgaben, der ins Ausland auswich und jetzt mit viel Fortüne das Victoria and Albert Museum führt. In Dresden ist derweil noch völlig unklar, wie die Lücke an der Spitze zu schließen ist, während Hamburg erst nach einem quälend langen Prozess mit Christoph Vogtherr endlich einen geeigneten neuen Direktor gefunden hat.
Vogtherr, noch leitet er die Wallace Collection in London, ist einer der wenigen Rückkehrer nach Deutschland. Der Migrationsstrom der Direktoren indes geht eindeutig die Gegenrichtung. Nicht nur London profitiert davon, auch in Zürich ist man sehr froh über den Schwaben Christoph Becker, der im Kunsthaus viel bewegt hat und dem man törichterweise die Generaldirektion der Berliner Museen nicht geben wollte – die Schweizer haben den gescheiterten Wechsel dankbar zur Kenntnis genommen. Auch Christoph Heinrich, der jahrelang die Gegenwartsabteilung der Hamburger Kunsthalle leitete und dort mit legendären Ausstellung in bester Erinnerung ist, wurde von deutschen Kulturdezernenten in seinem Potential verkannt und zog schließlich ans Art Museum in Denver. Dort ist er mittlerweile zum allseits beliebten Chef des Hauses aufgestiegen. Wie es heißt, verspürt er keinerlei Neigung, nach Deutschland zurückzukehren.
Ist Deutschland nicht mehr attraktiv genug für ehrgeizige Museumsleute? Bietet das Ausland bessere Möglichkeiten für eine Direktorenkarriere als die reiche Bundesrepublik mit ihrer unvergleichlich dichten Museumslandschaft? Man kann es sich eigentlich kaum vorstellen, aber der Eindruck drängt sich auf, wenn man allein die Postenbesetzungen der letzten zwei Jahre verfolgt hat. Nicht nur London mit Fischer und San Francisco mit Hollein, auch Florenz hat mit Eike Schmidt und Cecilie Holberg zwei Deutsche für die Chefsessel der Uffizien und der Accademia (Heimstatt von Michelangelos „David“) gewonnen. Julia Nauhaus, die trotz gewichtiger Proteste von ignoranten Lokalpolitikern aus dem Lindenau-Museum in Altenburg vertrieben wurde, hat in der Gemäldegalerie der Wiener Akademie dankbare neue Arbeitgeber gefunden. In die Donaumetropole zog es auch Stefan Weppelmann, der als Kustos der Berliner Gemäldegalerie für frischen Wind sorgte und Publikumsmagneten wie „Gesichter der Renaissance“ oder die jüngste Botticelli-Ausstellung konzipierte. Er leitet jetzt die weltberühmte Bildersammlung des Kunsthistorischen Museums – während die Berliner Gemäldegalerie den freiwerdenden Direktorenposten gar nicht erst neu besetzt, sondern der bislang nicht sehr energetische Museumsgeneral Michael Eissenhauer das Museum in Personalunion mit übernehmen wird: keine sehr kühne Entscheidung für die deutsche Hauptstadt. Eine tolle Museumsfrau, der man jedes Amt bedenkenlos zutrauen würde, ist Nina Zimmer, die am Basler Kunstmuseum rasch zur Vizedirektorin aufstieg. Jetzt wird die Deutsche das Kunstmuseum und das Paul-Klee-Zentrum in Bern übernehmen – und damit auch das heikle Erbe von Cornelius Gurlitt.
Bitte nicht falsch verstehen: Es geht hier keineswegs um einen Museumsnationalismus, schon gar nicht um eine Forderung nach Deutschen in deutschen Museen. Das wäre mehr als dumm, so international wie die Kunstwelt ausgerichtet ist. Da gehören Direktorenwanderungen ganz selbstverständlich dazu. Trotzdem muss es zu denken geben, wenn eine so ansehnliche Riege von Spitzenkräften das Ausland als Arbeitsplatz vorzieht. Woran liegt es? Fördern Bürokratie, kulturlose Politiker und Sparzwänge den Strom ins Ausland? Sicher liegt es auch an der kunsthistorischen Ausbildung, die hierzulande auch ohne Privatschulen und teure Eliteuniversitäten immer noch sehr gut ist; ein lohnendes Reservoir für ausländische Personalchefs. Die deutschen Museen arbeiten sehr international, sind also gute Schulen für künftige Weltenbummler. Vielleicht auch ein Grund: Als Kulturland zieht Deutschland weithin die Blicke auf sich; da interessiert man sich zwangsläufig in aller Welt auch für die hiesigen Museumsleute. Jeder der Emigranten wird zudem seine ganz persönlichen Gründe für den Umzug ins Ausland haben. Und dennoch: Fatal wäre es, sollte Deutschland für ehrgeizige Museumsdirektoren nicht mehr attraktiv genug sein.
Liebe Leser, mit diesem Artikel beginne ich meinen Blog auf unserer neuen WELTKUNST-Webseite. Künftig werde ich an dieser Stelle aktuelle Ereignisse und Entwicklungen in der Kunstwelt kommentieren. Auch der Kunstmarkt wird natürlich eine Rolle spielen. Die Texte sollen in lockerer, unregelmäßiger Folge erscheinen. Und keine Bange, die wenigstens werden so lang sein wie dieser.