Nach der landeseigenen Spielbank in Aachen versilbert jetzt auch der WDR seine Kunstschätze. Bis Freitag sind die Werke bei Sotheby’s in Köln zu sehen. Eine lehrreiche Schau für alle Steuer- und Gebührenzahler
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27.04.2016
Es lohnt sich, dieser Tage die Kölner Sotheby’s-Dependance aufzusuchen. Denn dort wird dem Bürger anschaulich wie selten vor Augen geführt, wie das von ihm mit finanzierte Eigentum der öffentlichen Hand unverblümt privatisiert wird. Ein letztes Mal kann er sich bedeutende Kunstwerke anschauen, die seit Jahrzehnten im Kölner Stammsitz des Westdeutschen Rundfunks hingen und einst mit Steuergeldsubventionen und Rundfunkgebühren bezahlt wurden. Trotz zahlreicher Proteste und trotz all dem unschönen Getöse um die Warhol-Bilder aus der Aachener Spielbank versilbert jetzt auch der Westdeutsche Rundfunk seine Kunstsammlung, um seine maroden Finanzen zu sanieren. Der Intendant Tom Buhrow hatte das schon bei seinem Amtsantritt 2013 verkündet und mit der maroden Finanzlage des Senders begründet. Das Haushaltsdefizit betrug damals rund 100 Millionen Euro.
Nach dem Aufschrei der Empörung, den 2014 der Aachener Kunstverkauf quer durch die Republik ausgelöst hatte, glaubte (oder besser: hoffte) man, dass die rot-grüne Regierung von Nordrhein-Westfalen es so schnell nicht noch einmal zu solch einem Kunstdebakel kommen lassen würden. Doch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat offenbar kein Problem damit, dass NRW, dieses traditionsreiche Kunstland mit all seinen bedeutenden Museen und einer immer noch höchst aktiven Sammlerschicht, zum Vorreiter der mangelnden Kunstliebe, ja des Banausentums wird.
Der WDR könnte die 150 Millionen Dollar, die 2014 die beiden Aachener Warhols bei Christie’s in New York erzielten, gut gebrauchen. Doch werden die rund 600 Kunstwerke bei Weitem nicht so ertragreich sein. Es sind viele Papierarbeiten aus dem niedrigen Preissegment dabei. Tom Buhrow gab seinerzeit den Gesamtwert mit rund drei Millionen an, doch war das wiederum wohl zu tief gegriffen. Jetzt wird Sotheby’s im Lauf des Jahres in London und Paris 48 Werke versteigern – zu einer Gesamttaxe von „mehr als 2,4 Millionen“, wie das Auktionshaus verkündet. So steht jetzt schon fest, dass der ideelle Schaden für den WDR und NRW weit größer ist als der materielle Gewinn.
Als erstes Konvolut kommen am 21./22. Juni in London 37 Bilder unter den Hammer. Rund 20 davon sind ab heute, 27. April, bis Freitag in der Kölner Sotheby’s-Niederlassung zu sehen (Mozartstraße 1). Diese denkwürdige Ausstellung kreist vor allem um die beiden Spitzenlose: Max Beckmanns düster-anspielungsreiche „Möwen im Sturm“ von 1942, taxiert auf 700.000 bis eine Million Pfund, sowie Ernst Ludwig Kirchners schweizerische Berglandschaft „Alpweg“ von 1921, Schätzwert 600.000 bis 800.000 Pfund. Daneben werden Bilder von Pechstein, Hofer, Räderscheidt, Heckel, Rohlfs, Nay bis zu Antes gezeigt, viele auf Papier.
Sotheby’s ist für die Vorbesichtigung im Rheinland kein Vorwurf zu machen. Auch die beiden Kölner Häuser (zweifellos Lempertz und Van Ham) und die zwei anderen deutschen Versteigerer (wahrscheinlich Grisebach und Ketterer), die sich nach Auskunft des WDR um den Deal bewarben, hätten diese Form des Marketings nicht verstreichen lassen. Das ist Teil ihres Geschäfts. Degoutant handeln allein der WDR und die Landesregierung, die ausgerechnet in Köln selbst den Ausverkauf des öffentlichen Besitzes dem Publikum vorführen, um möglichst noch finanzkräftige rheinische Käufer zu animieren. Warum die NRW-Autoritäten nicht wenigstens eines der einheimischen Häuser mit der Versteigerung betreut, bleibt ihr Geheimnis. Bei Verkäufen in dieser Größenordnung können auch Christie’s und Sotheby’s keine Wunder vollbringen.
Die ehemalige, bis Oktober 2015 amtierende Kulturministerin Ute Schäfer hatte noch ein Verfahren eingeleitet, wenigstens die wichtigsten Werke auf die Liste geschützten Kulturguts zu setzen und so vor der Ausfuhr zu schützen. Dabei ging es vor allem um die beiden Gemälde von Beckmann und Kirchner. Doch das zuständige Sachverständigengremium sah in den Werken keine nationale Bedeutung, so stellte die neue Ministerin Christina Kampmann die Prozedur ein.
Für Kulturstaatsministerin Monika Grütters (die übrigens aus Nordrhein-Westfalen stammt) ist der Fall gleich ein doppelter Affront. Sie hatte den Verkauf der Warhols scharf kritisiert und jetzt auch für den Verbleib der WDR-Stücke interveniert. Vor allem wirft die Aktion ein grelles, ungutes Licht auf ihr geplantes Kulturgutgesetz. Warum der ganze Aufwand, wenn sich die Experten nicht einmal bei diesen beiden hochkarätigen Bildern um die Abwanderung sorgen? Was wird am Ende überhaupt auf die nationale Liste gesetzt werden? Lohnen für die wenigen Werke, dies es womöglich am Ende nur sind, der ganze Ärger, der Schaden für den deutschen Kunstmarkt und die Verunsicherung der Sammler.
Für Walter Vitt ist der Kölner Kunstausverkauf eine persönliche Katastrophe. Der ehemalige Politikredakteur im WDR, Kunstschriftsteller und langjährige Präsident des Kritikerverbandes AICA, hatte sich als ehrenamtlicher Kunstbeauftragter maßgeblich um den Aufbau der Sammlung gekümmert. „Wir wollten ein Haus mit zeitgenössischer Ästhetik und Ambiente“, erklärte der 79-Jährige im letzten Jahr, als die Wogen über den Verkauf hochkochten. Beim WDR habe das ungeschriebene Gesetz gegolten, dass statt Familienfotos Kunst in den Büros der Redaktion für eine kreative Atmosphäre sorgen sollte. So hing Kirchners „Alpweg“, einst für nur 600 D-Mark gekauft und jetzt auf mindestens 600.000 Euro geschätzt, jahrelang im Büro des Intendanten Fritz Pleitgen. Entsetzt über den Ausverkauf der Sammlung, erinnert Vitt daran, dass es mit den Erwerbungen der Expressionisten auch darum gegangen sei, ein Zeichen gegen den Kunstterror der Nazis gegangen sei. Das alles zählt offenbar nichts im WDR. Bleibt nur eine Frage: Wie kann ich es anstellen, dass dieser Sender nichts mehr von meinen Rundfunkbühren bekommt?