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Hans Ulrich Obrist in Monaco bei der Nuit Blanche

Die weiße Nacht in Monaco, bei der die ganze Stadt mit Performances bespielt wurde – zum Beispiel von Tino Sehgal, Isabel Lewis und Francesco Vezzoli

Von Christoph Amend
01.06.2016

Herr Obrist, was haben Sie gesehen?

Monaco! Für mich steht es für Serge Diaghilev, den Begründer des Ballets Russes, der in seiner Jugendzeit Kurator war, Malereiausstellungen organisierte. Dann hat er beschlossen, die verschiedenen Disziplinen Musik, Tanz und Kunst über das Medium des Balletts zusammenzuführen.

Das Interdisziplinäre interessiert Sie auch.

Eben. Viele seiner entscheidenden Jahre hat Diaghilev in Monaco verbracht. Seit einiger Zeit ist Marie-Claude Beaud Direktorin am Neuen Nationalmuseum, das immer dynamischer wird. Und es gibt neuerdings eine Nuit Blanche, die ich besucht habe.

Was passiert in dieser weißen Nacht?

Die ganze Stadt wird mit Performances bespielt. Und es ist anders als in Paris, wo während der Nuit Blanche Millionen von Menschen unterwegs sind. Monaco ist ja ein überschaubarer Ort. Und Diaghilevs Präsenz war überall zu spüren. Es gab zum Beispiel ein Ballett am Himmel von Doug Aitken: Die von einem Orchester gespielte Musik wurde in der Luft durch eine Zeichnung von konzentrischen Kreisen gespiegelt, die sich immer mehr erweitert haben. Für diesen himmlischen Effekt sorgte ein Flugzeug, das quasi die Musik in andere Sphären hob. Kuratiert wurde die Nuit Blanche von Jörg Heiser gemeinsam mit Cristina Ricu­pero aus Paris und Leonardo Bigazzi aus Florenz. Wunderbar war auch die Performance von Sadaâne Afif. Er arbeitet seit Jahren mit einem Straßenmusiker aus Brooklyn zusammen, Wesley Bryon, Künstlername Mount Moon, der sämtliche Werke von Afif auswendig kann. Er hat sie auf den Straßen von Monaco gespielt.

Was genau war daran wunderbar?

Straßenmusik ist in Monaco streng verboten. Deshalb war es interessant, dass Mount Moon durch die Straßen gelaufen ist mit seiner Gitarre, von der Polizei angehalten wurde – und dann seine Künstlergenehmigung vorgezeigt hat und wieder von vorn angefangen hat. Es gab auch eine großartige interaktive Arbeit von Tino Sehgal im japanischen Garten zu sehen. Betrat man den Garten, löste die eigene Präsenz etwas Magisches aus. Plötzlich begann ein Sänger einen Song vorzutragen: Du bekamst also ein Lied gesungen!

Welches wurde Ihnen gesungen?

„Amazing“ von Kanye West. And it was amazing! Es gab eine weitere faszinierende Arbeit zwischen Gegenwartskunst und Pop: Isabel Lewis, Jahrgang 1980, nennt ihre Performances „Occasions“, Gelegenheiten. Sie hat also eine solche in einem Kongresszentrum geschaffen: eine Mischung aus Musik, Pflanzen, Düften. Es gibt ja eine Entwicklung in der Gegenwartskunst hin zu Live­erlebnissen. Auch bei Francesco Vezzoli, der eine Arbeit zu Marlene Dietrich gezeigt hat, übrigens inspiriert von Maximilian Schells legen­därem Film über die Dietrich …

… in dem man sie nie sieht, weil sie nur noch mit ihm telefonieren wollte.

Vezzoli liebt diesen Film! Einerseits hat er Fake-Porträts von Malern aus Dietrichs Epoche gezeigt, die es so nie gegeben hat, eine Marlene von de Chirico, Bacon oder Magritte. Und dann gibt es eine Zeichnung von Matisse, die nur aussieht wie sie – die aber wirklich von Matisse ist. Der Livemoment der Arbeit: Vezzoli verkleidete sich selbst als Marlene Dietrich und war stundenlang als lebende Skulptur auf seiner Ausstellung.

Und was beschäftigt Sie derzeit noch?

Das neue Buch des Dramatikers Jon Fosse. Mein Lieblingszitat: „Wenn ich schreibe, versuche ich nichts zu wissen. Ich habe keine Absicht, keinen Plan. Ich will so leer sein wie möglich. Ich schreibe nie abends, dann bin ich weich in der Seele und sentimental. Ich will kalt und klar sein.“ Keinen Masterplan zu haben interessiert mich im Zusammenhang mit Ausstellungen: Wir sollten von einer Leere ausgehen, damit es nicht nur zur Illustration von etwas kommt. 

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