Unter dem Titel Das geht ins Auge hat Andreas Platthaus eine Geschichte der Karikatur vorgelegt. Wie sieht die zeitgenössische Satire zum Beispiel den englischen König Georg III.? Lesen Sie hier schon ein erstes Kapitel
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19.09.2016
Kein anderer Karikaturist hat die Kunstform so zu dem gemacht, was sie heute noch ist: zu einem Stachel. Die Radierungen von James Gillray waren die ersten, die konsequent politisch waren, ohne Rücksicht auf die Autoritäten. Und dass sie entstehen konnten, verdankten sie dem für jene Zeit beispiellos liberalen System in Großbritannien. Gillray war aber auch berühmt für seine Furchtlosigkeit gegenüber Fürstenthronen, wobei er davon profitierte, dass im England der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert ein innenpolitischer Kampf tobte, auf dessen beiden Seiten das Königshaus stand: zum einen in der Person des noch regierenden Königs Georg III., dessen geistige Umnachtung jedoch nicht mehr zu verkennen war, zum anderen in Person seines Sohns, des Kronprinzen, der zwar erst 1811 die Regentschaft für seinen kranken Vater übernehmen konnte, aber darauf schon seit Jahren hingearbeitet hatte. Deshalb konnte in England offen über die höchsten Autoritäten gespottet werden, während die berühmten „Junius“-Attacken gegen Georg III., die in den Jahren 1769 bis 1772 von mehreren englischen Zeitungen publiziert wurden, noch anonym gehalten waren. Gillray dagegen veröffentlichte seine Karikaturen alle unter dem eigenen Namen, obwohl es unerhört war, dass ein König zum Gegenstand einer solchen Bosheit werden konnte, wie sie sein am 28. Juli 1792 publizierte Blatt „Temperance enjoying a Frugal Meal“ (Mäßigung genießt ein bescheidenes Mahl) dokumentiert. So etwas war damals außer in Großbritannien nur noch in Frankreich denkbar, wo der unglückliche Ludwig XVI. aber längst zur Marionette der revolutionären Entwicklung geworden war. Zwei Wochen, nachdem Gillray seine Karikatur in London publiziert hatte, wurde der französische König in Paris verhaftet und zusammen mit seiner Familie eingekerkert; bei der Überführung ins Gefängnis war er wie in einem Triumphzug zur Schau gestellt worden, und die Darstellungen, die es von diesem Ereignis gibt, haben das Pathos, das früher der Person des Königs galt, auf dessen Häscher verlagert. Für Ludwig gab es nur noch Spott. Am 21. Januar 1793 wurde er hingerichtet, und Großbritannien trat in die von Österreich und Preußen geführte Koalition und damit in den Krieg gegen Frankreich ein. Danach galt unter den englischen Karikaturisten eine Art Burgfrieden, und König Georg III. war für eine gewisse Zeit vor ihren boshaften Blättern sicher.
Zuvor aber hatte es ihn getroffen, denn seit dem Verlust der amerikanischen Kolonien im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg galt der König aus dem Haus Hannover als schwacher Herrscher. Dieser Eindruck sollte sich 1803 noch einmal verstärken, als napoleonische Truppen sein deutsches Stammland besetzten, in dem er Kurfürst war, obwohl er England nie verließ. Doch da Großbritannien noch weitere zehn Jahre im Krieg gegen Frankreich stehen sollte, wurde Georg-ohne-Land, wie man ihn in London bisweilen schmähte, aus patriotischer Rücksichtnahme in der Presse weiterhin glimpflich behandelt, zumal sich seine lange Krankheit zu immer schwererem Wahnsinn entwickelte. 1811 übernahm dann der Kronprinz die Regentschaft für seinen Vater.
Als Gillray den König und dessen deutsche Frau Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz beim Essen zeichnete, hatte er die erste Phase seiner Krankheit bereits hinter sich, die ihn 1788 für ein halbes Jahr so sehr bei der Führung seiner Amtsgeschäfte behindert hatte, dass das Parlament bereits damals den Kronprinzen als Regenten einsetzen wollte. Georg III. galt also in mehrfacher Hinsicht als angeschlagen, als wahrer Machthaber wurde der 1783 von ihm eingesetzte Premierminiester William Pitt der Jüngere angesehen. Gillrays Wahl einer häuslichen Szene für seine Karikatur hatte also durchaus mehr als nur allegorischen Sinn; sie denunziert den König auch als jemanden, der in der Öffentlichkeit nichts mehr zu sagen hatte.
Eigentlicher Gegenstand des Spotts ist aber der damals im Volksmund sprichwörtliche Geiz des britischen Herrscherpaars, über dessen Auswüchse die wildesten Gerüchte im Umlauf waren. Durchaus offiziell war allerdings die im Gegensatz zu seinen Vorgängern tatsächlich sehr bescheidene Ernährungsweise des Monarchen, die den Untertanen als Nachweis der königlichen Tugend angepriesen wurde. Das nahmen diese indes als Bigotterie auf, weil der Kronprinz gleichzeitig als Verschwender galt, der ungehemmt seine Luxusbedürfnisse auslebte. Wenige Wochen vor dem „Temperance“-Blatt hatte Gillray denn auch eine andere Karikatur mit dem Titel „A Voluptuary under the Horrors of Digestion“ gezeichnet, die den Kronprinzen ähnlich drastisch als Wollüstigen mit Verdauungsstörungen darstellte. Das neue Blatt ergänzte nun das alte, indem das Thema der Ernährung karikaturesk fortgeführt und auf die höchste Staatsinstanz ausgedehnt wurde. Dadurch stellte Gillray das Königspaar auch als arme Tröpfe dar, die sich selbst zurücknehmen, auf dass ihr Sohn umso ungehemmter prassen kann.
Wie der Karikaturist den Geiz Georgs und Charlottes darstellt, ist bemerkenswert in der Vielzahl an Details. Konsequent nutzte Gillray dabei Schriftelemente im Bild, mit denen er bildliche Anspielungen, deren Entschlüsselung eine umfassende Bildung voraussetzten, auch für breitere Kreise leicht verständlich machte. Zugleich sind die Beschriftungen so klein und subtil eingefügt, dass sie die Bildkomposition nicht stören. Die Titel von Büchern oder Gemälden werden zu Hinweisen, Gravuren schmücken Objekte, eine Zinsliste hängt scheinbar beiläufig an einer Tresortür (aber wer hätte je von eine Tresortür im Speisezimmer eines Königs gehört?). Gillray arrangiert seine beiläufigen Spötteleien um die zentrale Figur des essenden Monarchen, und so folgt der Betrachter einem wahren Mahlstrom an Bosheiten, dessen Zentrum aber stets Georg III. bleibt.
Schon die Tatsache, dass der König zwei Eier und seine Frau grünen Salat verspeist (mit den Händen!) denunziert beide als Geizhälse, auch wenn diese damals als frugal geltenden Nahrungsmittel auf goldenem Geschirr serviert werden. Durch die Konfrontation mit anderen Accessoires des dargestellten Speisezimmers werden Besteck und Teller jedoch als Erbstücke charakterisiert, die ihren Glanz nur deshalb noch nicht verloren haben, weil Gold unvergänglich ist. Dagegen ist die Hose des Königs unter dem Hinterteil geflickt, sein Stuhl ist mit einem Schonbezug versehen, und als Serviette nutzt er einen Zipfel des Tischtuchs. Selbst die Klingelschnur, die hinter Georg von der Decke herabhängt, ist ausgebessert – alles, was der Palast zu bieten hat, wirkt veraltet und wird aus Geiz solange gebraucht, bis es zerfällt.
Blickfang im Vordergrund der Karikatur ist eine goldene Karaffe, die auf dem Boden abgestellt ist, weil auch der Tisch in seinen Ausmaßen zu bescheiden ausgewählt wurde. Auf der Karaffe ist „Aqua Regis“ eingraviert, statt des zu erwartenden Weins lässt sich das Königspaar also Wasser servieren, fürwahr Temperenzler im späteren Sinne des Wortes. Optisches Gegengewicht im Vordergrund ist rechts eine roh gezimmerte Bücherkiste, neben und auf der drei Publikationen mit lesbaren Titeln liegen: „Essay on the dearness of Provisions“ (Versuch über die Verteuerung von Lebensmitteln), „Life of Old Elwes“ (Leben des alten Elwes; nach dem Namen eines damals allgemein bekannten reichen Brauerei-Erbens, der als größter zeitgenössischer Geizkragen galt) und „Dr. Cheyne on the benefits of Spare Diet“ (Doktor Cheyne über die Vorzüge sparsamer Ernährung). Darüber öffnet sich ein Kamin, in dem eine mit typischen Winterpflanzen (Schneeglöckchen, Misteln) gefüllte Vase steht – trotz der kalten Jahreszeit wird also nicht geheizt. Kein Wunder, dass die Kaminverzierung eine Figur ausweist, die bibbernd ihre Hände in einem Muff birgt. Auf dem Sims darüber steht eine im Gleichgewicht befindliche Waage als Allegorie auf die Langeweile des Geizes, daneben ein figürlich gestalteter Kerzenständer, der lauf Inschrift „munificence“, Freigiebigkeit, darstellen soll, doch die Füllhörner der Dame sind leer, und nur die rechte der beiden Kerzen ist überhaupt benutzt worden. Das Gemälde über dem Kamin zeigt eine biblische Szene: „The fall of Manna“. Gottes Großzügigkeit gegenüber den hungernden Israeliten lässt Hohn über Georg III. kommen.
Immerhin ist dieses Gemälde überhaupt noch vorhanden, denn das mit der Rahmenaufschrift „The Triumph of Benevolence“ (Der Triumph der Großherzigkeit) ist bereits entfernt; mutmaßlich verhält es sich ähnlich mit dem gerade noch sichtbar darüber hängenden Porträt, das nur durch seine Beschriftung als Bildnis des griechischen Philosophen Epikur identifizierbar wird, denn Epikur galt als Propagandist eines hedonistischen, also ausschweifenden Lebensstils. Noch vorhanden ist dagegen eine winzige ovale Miniatur, die den „Man of Ross“ porträtiert, einen Philanthropen des frühen achtzehnten Jahrhunderts namens John Kyrle, der seinen durch bescheidene Lebensführung angesparten Reichtum auf die Errichtung eines öffentlichen Parks in seinem Wohnort Ross-on-Wye verwendet hatte. Der Dichter Alexander Pope hatte diese Wohltätigkeit 1734 in einem Poem verewigt, das er in seinem Essay „Of the Use of Riches“ abdruckte, der dritten seiner wirkungsmächtigen „Moralischen Abhandlungen“. Dadurch war Kyrle in England zum Inbegriff von Großzügigkeit geworden. Die Bilder an der Wand von Gillrays königlichem Interieur künden also sämtlich von einem Herrscherideal der Großzügigkeit, das bei Georg und Charlotte aber längst passé ist. Auch das oben links nur noch durch den Titel als „Parting of the Loaves & Fishes“ (Austeilen von Brot und Fisch; eine Anspielung an jene biblische Schilderung, in der Jesus Brot und Fisch für eine ganze Gesellschaft vermehrt) ausgewiesene Gemälde steht im komischen Kontrast zum ärmlichen Mahl auf der königlichen Tafel.
Und auch im komischen Kontrast zum gängigen Bild des Herrscherpaars steht dessen Physiognomie. Wir werden Gillray noch als besonders begeisterten Verzerrer menschlicher Gesichter kennenlernen, aber hier machte er Georg und Charlotte vor allem vulgär. Der Königin wurde ohnehin große Hässlichkeit nachgesagt, aber den damals erst vierundvierzigjährigen Monarchen zeigten die gängigen Staatsporträts als eleganten Mann. Nicht so bei Gillray, der einen trotz frugalem Mahl verfetteten alten Mann präsentiert, bei dem nicht nur die Perücke weiß ist, sondern auch die Augenbrauen schon ergraut sind. Seine Kleidung entspricht nicht dem Zeitgeschmack – auch sie wird aufgetragen, solange es geht.
So bekamen die monarchiekritischen Whigs, die Anhänger der alten liberalen politischen Richtung, die durch den Tory-Vertreter William Pitt den Jüngeren 1783 an der Regierung abgelöst worden war, von Gillray ein Bild des bei ihnen seitdem verhassten Königs ganz nach ihrem Herzen. Es passte aber zum Geschäftsmodell des Karikaturisten, dass er nach allen Seiten austeilte; er sah sich als Gesellschaftskritiker, der keiner Partei zuzurechnen sein durfte. Das im folgenden Kapitel behandelte Blatt, sechs Jahre später entstanden, beweist es: Es ist eines, das den Whigs keinesfalls gefallen haben dürfte.
Was „Temperance enjoying a Frugal Meal“ aber auch interessant macht, ist seine Verlegerin. Hannah Humphrey, eine der wenigen Frauen mit Bedeutung für die frühe Karikaturengeschichte, war die Schwester des bekannten Kupferstechers William Humphrey. Sie betrieb in London eine Druckerei mit angeschlossener Buchhandlung. Seit 1791 verkaufte Gillray seine Radierungen über dieses Geschäft, und er lebte zwanzig Jahre lang in wilder Ehe mit der elf oder zwölf Jahre älteren Miss Humphrey zusammen – Gillrays Geburtsjahr, 1756 oder 1757, ist umstritten. Zu diesem damals als frivol geltenden Lebenswandel passte die moralische Selbstgerechtigkeit, mit der er in seinen Karikaturen über König Georg III. (und dann in Kriegszeiten über dessen innenpolitische Gegner) urteilte, nur bedingt.
Andreas Platthaus, Das geht ins Auge,
Die Andere Bibliothek,
Berlin, 2016,
42 Euro
James Gilray, „Temperance enjoying a Frugal Meal“, Radierung, 1792, 36,2x29cm, im Angebot bei
Gallery Andrew Edmunds
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London
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