Federico Castelluccio ist ein Mann mit vielen Talenten. Als Schauspieler gab er lange den Mafiosi in der Erfolgsserie „Die Sopranos“ – privat ist er ein Sammler und Kenner italienischer Barockmalerei
Von
26.09.2016
Etwas mehr als eine Stunde dauert die Zugfahrt von Manhattan nach New Jersey, wo Federico Castelluccio und seine Frau, die deutsche Schauspielerin und Produzentin Yvonne Schäfer, in einem unauffälligen Einfamilienhaus leben. Schon mit dem ersten Schritt fühlt sich der eintretende Besucher in eine andere Welt versetzt. Die Illusion der verwunschenen Kunstkammer ist nicht ganz perfekt – Apple-Computer und Zeitschriften holen uns in die Gegenwart zurück.
Castelluccio ist ein ernster, aber offener Mann, dessen Leidenschaft der Kunst gilt, besonders der Barockmalerei aus Bologna und Neapel. Ein Gang mit stimmungsvoll beleuchteten Rötel- und Tuschezeichnungen führt in ein übervolles Atelier, in dem mehrere Staffeleien aufgebaut sind. Farbtuben und Pinsel ragen aus dem Durcheinander zwischen Postkarten und Büchern hervor. Auf Truhen und Kommoden buhlen liebevoll arrangierte Objekte um Aufmerksamkeit, Heiligenfigürchen, eine antike Schneiderschere, ein kleiner Obelisk und andere Preziosen, und an den Wänden hängen dicht an dicht vor allem italienische Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts. Dazwischen auch seine eigene Malerei: Auf einer Staffelei ist eine noch unfertige Leinwand eingespannt, auf der ein weißer Hengst mit wehender Mähne an einem Strand galoppiert – ein Auftrag, erklärt Castelluccio. Daneben hat er begonnen, Guercinos „Sebastian“ abzumalen. Von dem Original, das in einem Lager verstaut ist, wird gleich die Rede sein. Über ein paar Stufen nach oben geht es in eine Art Studiolo, das ganz in pompeianischem Rot gehalten ist. „Ja, ich sammle auch historische Rahmen“, sagt er mit Blick auf die damit reich bestückten Wände. „In der Hoffnung, dass ich irgendwann das passende Gemälde dazu finde.“ Gepolsterte Stühle, die für Renaissance-Würdenträger angemessen wären, stehen um einen Tisch, auf dem Tee und Orangenkekse serviert sind.
Federico Castelluccio ist ein Mann mit vielen Talenten. Die meisten kennen den Schauspieler als den brutalen Mafioso Furio Giunta aus der Fernsehserie „Die Sopranos“. Gerade hat er die Dreharbeiten für die Komödie „The Toy Gun“ abgeschlossen, in der er wieder den Part einer Unterweltfigur übernimmt, und am 5. August ist der Gangsterfilm „The Brooklyn Banker“, bei dem er Regie geführt hat, in die amerikanischen Kinos gekommen.
Neben den Erfolgen in Film und Fernsehen hat Castelluccio eine erstaunliche Karriere als Kunstkenner gemacht. Internationale Schlagzeilen gab es vor zwei Jahren, als er mit seiner Frau, die aus Frankfurt kommt, im Auktionshaus Döbritz einen „Heiligen Sebastian“ entdeckte.
Heute allgemein als Werk von Guercino anerkannt, ersteigerte er das auf 1000 bis 1500 Euro geschätzte Ölbild für 49.000 Euro – ein zweifelsfrei zugeschriebener Guercino kann Millionen kosten. Der „Heilige Sebastian“ ist nach einer Ausstellung im Princeton Art Museum vorerst sicher eingelagert. Trotz der spektakulären Entdeckung ist Castelluccio bescheiden geblieben. Er sehe einfach mit den Augen eines Malers, erklärt er. Außerdem habe er schon immer eine Vorliebe für Guercino gehabt, für seine aus Lapislazuli gewonnenen Blautöne und wie er sie mit den vielfältigen Tönen des Inkarnats kombiniere. Bei dem Frankfurter „Sebastian“ kam hinzu, das Castelluccio den für den Maler typischen Bauchnabel in Form einer spiegelverkehrten Sechs erkannte.
1964 in Neapel geboren, kam Federico mit dreieinhalb Jahren nach Amerika. Seine Affinität zur italienischen Barockmalerei wurzelt in seiner Kindheit. „Wir hatten Grafiken mit religiösen Motiven an den Wänden, das hat sich mir eingeprägt. Es ist die Kunst von der Renaissance bis zum Spätbarock, in der ich mich zu Hause fühle.“ Ein Sammler war er schon, seit er denken kann. Modellautos und Münzen, später Antiquitäten. Manches erwarb er durch Tausch. Während seiner Schulzeit bemalte er für Freunde Jeans- und Lederjacken mit Motiven von Idolen der Rockmusik. Dazu fällt ihm eine Anekdote ein: Als er, mit einem Stipendium der School of Visual Arts, in New York Kunst studierte, hatte er das Geschäft mit den Jacken eigentlich schon hinter sich gelassen, aber als Steven Tyler, der Leadsänger der Band Aerosmith, bei ihm anrief und unbedingt eine Jacke von ihm wollte, gab er nach einem Treffen doch nach. Jahre später, erzählt er nun schmunzelnd, als er längst Schauspieler geworden war, traf er Tyler zufällig wieder und sagte „Hey, Steven, remember me?“ – Ja, natürlich, sagte der Musiker: „Du bist Furio von den Sopranos.“ Er muss lachen, als er die Geschichte erzählt. Beim nächsten Mal, als die beiden sich im Hotel Sunset Marquis in Los Angeles wieder begegneten, rief Tyler schon vom Balkon: „Federico, ich erinnere mich an alles! Du hast das Bild auf meiner Jacke gemalt!“
Eigentlich, sagt Castelluccio, hätte er Luca heißen sollen, wie sein Urgroßvater, nach dem Evangelisten und Schutzheiligen der Maler. In dieser Rolle malte er sich vor fünf Jahren auf einem Selbstporträt, inspiriert von Guercinos „Heiligem Lukas“, der die Madonna malt. „Ich habe immer gewusst, dass ich als Maler auf diese Welt gekommen bin.“ Das Selbstbildnis steckt voller Anspielungen. Das kleine Madonnenbild auf der Staffelei stammt aus seinem eigenen Besitz. Es ist von Francesco de Mura (1696–1782), der ebenfalls in Neapel geboren ist. Mittlerweile ist Castelluccio in den USA der größte Sammler des spätbarocken Künstlers und wird auch vier Werke als Leihgaben nach Florida schicken, wenn dort am 17. September die erste Einzelausstellung des Künstlers im Cornell Fine Arts Museum beginnt. Der kleine Stier taucht auf dem Bild als Attribut des heiligen Lukas auf sowie als Castelluccios Sternzeichen, und das Jeans-Outfit verweist auf seinen „Blue Collar“-Status, die Arbeiterklasse. Im Vordergrund lugt seine Geburtsurkunde aus einem ganz persönlichen Memento mori hervor: „Der menschliche Schädel ist ein Symbol des Schicksals, das uns mit Sicherheit erwartet, eine Erinnerung daran, dass wir aus jedem Tag das Beste machen sollten.“ Das Buch schließlich, in dessen Mitte ein Lesezeichen steckt, hat er eingefügt, weil „der Rest meiner Lebensgeschichte erst noch geschrieben werden muss“.
Die Barockmalerei ist voller Drama, oft theatralisch, manchmal brutal – gibt es einen Zusammenhang zwischen seiner Vorliebe in der Kunst und seiner Filmkarriere? „Ja“, sagt er, „wenn man Caravaggios Arbeiten aus Rom betrachtet, das sind geradezu theatralisch eingefrorene Momente, als ob sie auf einer Bühne stattfinden, deren einzige Lichtquelle dramatische Schatten wirft. Viele Filmemacher lassen sich von seinem Chiaroscuro inspirieren.“
Nicht nur Malerei, auch Zeichnungen liegen ihm am Herzen. „Es ist die unmittelbare Idee des Künstlers.“ So arbeite auch er: „Wenn ich eine Idee habe, schnappe ich mir Bleistift und Papier und zeichne.“ Diesen Prozess könne man auf seine Arbeit als Filmemacher und Regisseur übertragen. „Ich zeichne meine eigenen Storyboards. Wenn ich mir vorstelle, wie ich eine Szene filmen will, zeichne ich diese Vision sofort auf. Vom Gedanken direkt aufs Papier.“
Unzählige Stunden verbringt Castelluccio in Museen, er ist mit Kunsthändlern befreundet und geht auf Messen, zum Beispiel die Tefaf in Maastricht, aber er findet große Kunst auch an unwahrscheinlichen Orten. Eine entzückende Madonna von Francesco de Mura, ein Bild auf Kupfer, hat er für einen geringen Betrag bei Ebay erworben, und für sehr wenig Geld, sagt er, hat er in einem kleinen Auktionshaus in Upstate New York ein anonymes Barockporträt ersteigert. Seine Recherchen führten ihn zu dem in Neapel tätigen Künstler Giovan Battista Beinaschi (1636–1688). Experten geben ihm recht. Das Bild wird er als Leihgabe nach Wiesbaden schicken, wo im Oktober die große Ausstellung „Caravaggios Erben – Barock in Neapel“ eröffnet.
Inzwischen ist Castelluccio sogar als Ratgeber gefragt. So half er bei der Restaurierung eines der Meisterwerke im Wadsworth Atheneum in Connecticut, dem ältesten Museum der USA. Der Chefrestaurator Ulrich Birkmaier, ein Freund des Schauspielers, erbat seine Hilfe bei der Rekonstruktion der fehlenden Hand auf Francisco de Zurbaráns Gemälde des heiligen Serapion, das vor wenigen Wochen im Museum enthüllt wurde. Bei einem Telefonat erklärt Birkmaier, warum ihm Castelluccios Rat so wichtig war: „Federico sieht mit den Augen eines Malers.“