Erst die Reichtümer aus dem Harz verhalfen dem Fürstentum Braunschweig zur Blüte: Die Ausstellung „Schatzkammer Harz“ im Schlossmuseum führt vor Augen, wie die welfischen Herzöge über Jahrhunderte von ihren Mittelgebirgsterritorien profitierten
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23.09.2016
Schwere Empire-Sessel und Tapeten aus Lyoner Seidendamast. Hier springt das Welfenross durchs Eichenlaub, dort ziert ein goldener Löwe eine Armlehne. Im Thronsaal des Braunschweiger Residenzschlosses, das von 2005 bis 2007 wiedererrichtet wurde, gerät der Besucher ins Staunen. So greifbar scheint – dank originaler Möbel und originalgetreu angefertigter Wandbehänge – die Pracht am Hofe Herzog Wilhelms (reg. 1830–1884). Schon ein halbes Jahrhundert vor seiner Thronbesteigung hatte Zarin Katharina II. von Russland dem Braunschweiger Hof einen „wahrhaft königlichen Glanz“ bescheinigt. Der Quell des Reichtums, der Wilhelms Vorfahren prunkvolle Schlossausstattungen ermöglicht hatte und der es auch ihm noch erlaubte, trotz einer wirtschaftlich angespannteren Lage, Seidentapeten in Lyon zu ordern, entsprang einem Höhenzug, der 50 Kilometer von den Toren des Schlosses entfernt liegt – dem Harz.
„Schatzkammer Harz“ heißt die Ausstellung, die gerade im Schlossmuseum Braunschweig drei Räume mit bemerkenswerten Objekten füllt. Die Sonderschau ergänzt auf vortreffliche Weise die Hauptaufgabe des 2011 eröffneten Museums, die darin besteht, den Besuchern die Geschichte des ehemaligen Schlosses und das Leben der Regenten in den Räumen der Dauerausstellung vor Augen zu führen. „Schatzkammer Harz“ lässt nun den Blick weiter schweifen und zeigt, wie die Braunschweigischen Herzöge konkret von ihren Mittelgebirgsterritorien profitierten: So widmet sich ein Raum dem Thema Jagd, die den Welfen auch als diplomatisches Spielfeld diente. Wichtiger allerdings noch war die Region zwischen Harzburg und Blankenburg, weil die Herzöge dort kostbare Metalle abbauen ließen – was der Staatskasse beträchtliche Finanzmittel lieferte. Zahlreiche Prägungen zeugen in der Ausstellung von der Qualität der Harzer Münzstätten, sei es der Dukat auf das erste Goldausbringen aus dem Rammelsberg aus dem Jahr 1712 oder der goldene „Jakobslöser“ zu 20 Gulden aus dem Jahr 1625, der 2015 bei einer Versteigerung des Auktionshauses Künker in London mit einem Preis von knapp einer Million Euro den Titel der „teuersten deutschen Münze“ errang.
Zur Menge des in Deutschland geförderten Silbers steuerte der Harz bis ins 19. Jahrhundert hinein einen Löwenanteil bei, teilweise waren es 50 Prozent. In der Blütezeit bescherte allein das Jahr 1730 im von Braunschweig und Hannover gemeinsam verwalteten Kommunion-Oberharz einen Ertrag von 4638 Kilogramm Silber. Doch auch andere Erze wie Kupfer oder Eisen waren begehrt und wurden abgebaut.
Dass die Grubenarbeiter um ihren Stellenwert wussten, beweist ein Prunkstück der bergmännischen Selbstrepräsentation: Die Oberharzer Bergkanne aus fünf Kilo teilvergoldetem Silber bietet in ihrem Inneren Platz für rund vier Liter Wein. Dank eines versteckten Clous dürfte sie der Mittelpunkt bei jeder bedeutenden Festlichkeit gewesen sein: Beim Austrinken kommen die Sprossen einer silbernen Leiter zum Vorschein, die zum Boden der Kanne führt – der Zecher fährt so symbolisch in die Grube ein. Von der Kanne, die 1652 von der Bergknappschaft Clausthal in Auftrag gegeben wurde, entstanden später mindestens acht Nachbildungen. Fünf dieser Repliken kann man in Braunschweig neben dem Original bewundern und vergleichen. Allen gemein sind die fünf silbernen Bergleute, die auf dem Deckel ihrem Tagwerk nachgehen, mit Wünschelruten nach Erzadern suchen, Gesteinsbrocken zerkleinern oder Schubkarren bugsieren. Fünf fleißige Arbeiter als Allegorie ungebrochenen Bergmannstolzes.
Viele Bergarbeiter stammten ursprünglich aus Sachsen, Tirol oder Böhmen. Herzog Heinrich der Jüngere (reg. 1514–1568) hatte sie ab 1524 im Harz angesiedelt und ihnen bei Stadtgründungen wie Grund oder Zellerfeld Privilegien (sogenannte „Bergfreiheiten“) eingeräumt. Gemeinsam mit ihren Landesherren schufen diese Bergleute erst die Kulturlandschaft des heutigen Harzes, auch weil die Herzöge technische Entwicklungen mutig umsetzten. Als besonders innovativ zeigte sich Herzog Julius (reg. 1568–1589), der nicht nur ein neues Kanalsystem zum Abtransport der Erze anlegen ließ, sondern als Waffennarr – eine verzierte Jagdpistole zeugt in der Ausstellung von dieser Leidenschaft – auch auf dem Gebiet der Kriegstechnik experimentierte: Die Kanonenkugeln, die er aus der Schlacke der Harzer Eisenhütten, gießen ließ, erwiesen sich in der Praxis allerdings als zu brüchig. Zwei unversehrte Exemplare werden nun in Braunschweig präsentiert.
Eine weitere Erfindung des 16. Jahrhunderts ist der „Hunt“, ein Förderwagen, der auf Bohlen oder Schienen läuft. Mit seiner Hilfe konnte ein Bergmann deutlich mehr Gestein abtransportieren. Den gesellschaftlichen Verdienst einer solchen Erfindung muss man hoch schätzen, und so wurde dem allerletzten Hunt, der 1988 aus der Grube Rammelsberg rollte, besondere Ehre zuteil: Der Künstler Christo, der 1987 im angrenzenden Goslar den renommierten Kaiserring-Preis entgegengenommen hatte, umhüllte den Hunt samt seiner letzten Fuhre Erz mit einer Plane und mehreren Seilen, zurrte alles zurecht und schuf so das Werk „Package on a Hunt“ (1988). Der simple Förderwagen aus dem Harz wurde so nicht nur in einer Art Zeitkapsel fixiert, er wurde auch zu Recht in den Rang der Kunst erhoben und steht nun auf einer Stufe mit dem Deutschen Reichstag oder der Pont Neuf in Paris, die Christo und seine Partnerin Jeanne-Claude ebenfalls verpackten.
Selbstverständlich gehört „Package on a Hunt“ als Leihgabe des Mönchehaus Museums Goslar zu den Höhepunkten der Braunschweiger Ausstellung. Der Werktitel offenbart übrigens einen potenziellen Wortwitz, denn die Formulierung „on a hunt“ kann im Englischen auch das Auf-der-Pirsch-Sein bezeichnen. Und es ist eine schöne Weiterführung der Pointe, dass dieses „Paket auf einer Jagd“ in der Ausstellung einen inhaltlichen Bezug zum Thema Jagen gefunden hat.
Im Raum, der sich diesem Schwerpunkt widmet, beeindrucken anschließend Fotografien von Jagdschlössern, die von den Braunschweigischen Herzögen errichtet wurden, eine Dose aus der Manufaktur Stobwasser (um 1820), deren Deckel die Hetzjagd auf ein Reh zeigt, oder auch die Steinschloss-Jagdflinte, die Herzog Ludwig Rudolf 1733 zur Hochzeit seiner Enkelin Elisabeth mit dem preußischen Kronprinzen Friedrich dem Vater des Bräutigams, Friedrich Wilhelm I., schenkte. Der „Soldatenkönig“ dürfte sich über das Gewehr, dessen Messingbeschlag die Kriegsgötter Bellona und Mars darstellt, gefreut haben.
Beim gemeinsamen Jagen festigten befreundete Adelshäuser ihre Beziehungen. Prinzregent Albrecht von Preußen, der im Braunschweiger Schlossmuseum etwas finster aus seinem Porträt blickt, das rechts neben dem Thron platziert ist, veranstaltete von Blankenburg aus alle zwei Jahre eine „Kaiserjagd“. Bei diesen festlichen Großveranstaltungen, zu denen sein Verwandter, Kaiser Wilhelm II., nebst Gefolge aus Berlin per Zug anreiste, blieb zwischen Halali, Theatervorstellungen und Galadiners kein Augenblick dem Zufall überlassen, wie ein Programmblatt aus dem Jahre 1890 verrät.
Neben dem repräsentativen Aspekt hatte die Jagd jedoch auch einen ganz konkreten Nutzen, wenn es um die Bekämpfung der einheimischen Raubtiere ging: Ab 1705 gab es im Harz keine Bären mehr, der letzte Wolf wurde 1798 erlegt. Selbst der eher harmlose Luchs entkam seinem Schicksal nicht. Das Ableben des letzten Exemplars im Harz ist sogar doppelt dokumentiert: durch einen Kupferstich aus dem Jahr 1818 und durch einen Pokal, der sieben Jahre später dem Förster Spellerberg überreicht wurde, der den todbringenden Schuss abgefeuert hatte. Das Silberobjekt blieb in der Familie des Jägers und ist nun als Leihgabe eine weitere Kostbarkeit der Ausstellung.
Als also Goethe am 10. Dezember 1777 auf den Brocken, den höchsten Harzgipfel, stieg, hatte der Mittelgebirgszug einen Teil seines einst wilden Charakters bereits eingebüßt. Und als Caspar David Friedrich 1818 auf der Suche nach Motiven für seine Gemälde über die Höhen streifte, stand auf dem Brocken ein Aussichtsturm. Niemand würde behaupten, ein Herzog wie Rudolf August (reg. 1666–1704) hätte die Touristenströme zukünftiger Generationen voraussagen können. Doch dass er die Baumannshöhle als große Sehenswürdigkeit des Harzes schon 1688 unter Schutz stellte und damit das erste Naturdenkmal Deutschlands schuf, zeugt von Weitsichtigkeit.
Je mehr die Natur vom Menschen eingehegt wurde, desto stärker nahm das Interesse an ihr zu. Dieses Phänomen lässt sich an den aufgeklärten Herzögen des 18. Jahrhunderts gut belegen. Ein lebenslustiger Regent wie Carl I. (reg. 1735–1780) bewies Großzügigkeit, als er 1754 das Braunschweiger Kunst- und Naturalienkabinett einrichtete, das auch seine Untertanen besuchen durften. Präsentiert wurden Münzen, Medaillen und Antiken, aber beispielsweise auch Mineralien, die daher in der „Schatzkammer Harz“-Ausstellung nicht fehlen dürfen. Mit seinem Kabinett legte Herzog Carl den Grundstein für die Braunschweiger Museumslandschaft, die somit auf eine der längsten Traditionen in Europa zurückschauen kann.
Das Leben im Harz sollte sich dagegen noch einmal grundlegend wandeln: Eine erste Stilllegungswelle erfasste in den 1920er-Jahren die unrentabel gewordenen und damals schon vom Staatsunternehmen Preussag geführten Bergwerke. 1992 stellte in Bad Grund die letzte Grube den Betrieb ein. Als Museen haben einige Schächte weiterhin eine Relevanz für den Tourismus, der zur wichtigsten Einnahmequelle für die Harzstädte geworden ist. Auch der Luchs ist als Sehenswürdigkeit nicht nur im Gehege an der Rabenklippe bei Bad Harzburg zurück, sondern wird gezielt ausgewildert. Eine Schatzkammer ist der Harz also nach wie vor. Nur die Wertvorstellungen der Menschen ändern sich – das zeigt prägnant die Schau im Schlossmuseum Braunschweig.