Kunstwissen

Meilenstein für Meisterwerke

Das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig wurde nach langer Sanierung am 23. Oktober wiedereröffnet. Der kunstsinnige Herzog hätte seine Freude daran

Von Simone Sondermann
21.10.2016

Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel war ein ehrgeiziger Mann. Als Zweitgeborenem war ihm die Macht nicht in die Wiege gelegt. Doch er brachte es nicht nur zum Alleinherrscher, sondern unterhielt auch gute Beziehungen zu weitaus wichtigeren Monarchen wie dem fast gleichaltrigen Ludwig XIV. und verheiratete zwei seiner Enkelinnen mit einem Kaiser und einem Zaren in spe. Im 17. Jahrhundert war es ähnlich wie heute: Wer etwas auf sich hielt, sammelte Kunst. Oder man verschenkte sie zu diplomatischen Zwecken. Und so häufte der musisch begabte Anton Ulrich, der selbst Romane und Bühnenstücke schrieb, Gemälde und Kunstschätze aus Europa und der ganzen Welt an. Sein Schloss in Salzdahlum, das er sich 1688 bis 1694 errichten ließ, beherbergte Meisterwerke von Rembrandt oder Nicolas Régnier, Maleremail aus Frankreich, Elfenbeinschnitzereien, ostasiatische Lackschränkchen und unzählige Preziosen mehr.
Schon dreißig Jahre nach dem Tod des Herzogs im Jahr 1714 wurde seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und eines der ersten Museen in Deutschland gegründet. Nach zwischenzeitlicher Verschleppung der Kunstwerke durch Napoleon und späterer Rückgabe an das inzwischen weit weniger bedeutende Herzogtum Braunschweig wurde im Jahr 1887 ein großzügiger Neorenaissancebau errichtet, in dem sich das Museum bis heute befindet.

Dieser Bau wurde, finanziert vom Land Niedersachen, in den vergangenen Jahren einer umfassenden Sanierung unterzogen, der ersten überhaupt seit dem Zweiten Weltkrieg, den das Gebäude zum Glück nur wenig beschädigt überstanden hatte. Verwaltung, Bibliothek und Werkstätten zogen in einen 2010 eröffneten Erweiterungsbau, sodass das Hauptgebäude nun fast ausschließlich als Ausstellungsfläche dient. Dadurch und durch das Entfernen aller nachträglichen Einbauten und Zwischendecken hat man rund ein Drittel mehr Platz für die Kunst geschaffen – zur Eröffnung am 23. Oktober wurden auf den 4000 Quadratmetern rund 4000 Kunstwerke präsentiert. Auch die Ausstellungstechnik wurde grundlegend erneuert und genügt jetzt höchsten Ansprüchen. Stolz zeigt der seit vielen Jahren amtierende Museumsdirektor Jochen Luckhardt auf die neuen Vitrinen, in denen jetzt etwa ausgewählte Blätter aus dem riesigen Grafikkabinett zu sehen sind, einem der größten in Europa. Alles wirkt licht und großzügig und folgt einem Farbkonzept, das ausgehend von einem ruhigen Grau mit den von Raum zu Raum verschiedenfarbigen neuen Wandbespannungen spielt. Viel Aufwand wurde auch in die Museumspädagogik gesteckt, der Besucher kann sich interaktiv per iPad oder klassisch anhand erklärender Raumtexte in die Hintergründe der Werke einführen lassen.

Die Braunschweiger Sammlung hat in einigen Bereichen europäischen Rang, ja Weltrang. Wer den Rundgang nach einem Einführungsraum zum Namensgeber durch das frisch sanierte Treppenhaus in der zweiten Etage fortsetzt, betritt ein Reich voller Kunstschätze, die einem den Atem verschlagen. Hier erwarten einen Silberschränke, Majolika, Prachtpokale (einer wurde erst vor einigen Jahren aus der Samlung Yves Saint-Laurent ersteigert), Harlekinkostüme aus dem 17. Jahrhundert oder eine frisch restaurierte Perlmuttschale mit aus Meeresschnecken geschnitzten Götterfiguren, ein Unikum, dessen genaue Provenienz aus Italien noch immer Rätsel aufgibt. Es ist Direktor Jochen Luckhardt ein ausdrückliches Anliegen, die zahlreichen kunsthandwerklichen Spitzenstücke seines Hauses wieder stärker ins Licht zu rücken, was gut gelungen ist. Selbst eine Kunst- und Wunderkammer hat man nachgebaut, die einen Einblick in die barocke Weltsicht gibt.

In der ersten Etage finden sich in der Gemäldegalerie die berühmtesten Werke des Hauses, etwa Rembrandts anrührend privates „Familienbildnis“, um 1668, ein Maler, vom dem Herzog Anton Ulrich gleich mehrere Bilder erwarb. Auch das traumhaft schöne „Mädchen mit dem Weinglas“ von Jan Vermeer wurde schon vom Herzog selbst, vermutlich in Amsterdam, angekauft. Die Räume folgen nicht nur einer chronologischen und länderspezifischen Ordnung, sondern die Werke sind auch nach Themen sortiert. Der Raum mit dem Vermeer trägt den Titel „Verführung“. Er soll künftig auch wieder die Japaner anlocken, die Luckardt in den vergangenen Jahren der Schließung vermisst hat. Auf ihrer Vermeer-Europatour steht dann neben London, Paris oder Amsterdam auch Braunschweig auf der Liste.

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