Von Edward Munch bis Julian Rosenfeldt: Mit einem vielfältigen Programm und Grandiosen Ausstellungen präsentieren sich Europas neue Kulturhauptstadt Aarhus und die Region Mitteljütland
Von
11.01.2017
Die schöne Landschaft der dänischen Westküste zieht jedes Jahr viele deutsche Touristen an. Doch es ist nicht nur die Natur, die in Mitteljütland spektakuläre Blicke ermöglicht. In Aarhus, Silkeborg oder Herning locken fantastische Museen, die auf ästhetisch eindrucksvolle Weise ihre kulturellen Schätze präsentieren und das Wissen darüber unangestrengt vermitteln. Im wunderschön gelegenen Moesgaard Museum begibt man sich buchstäblich hinab in die Welt der Steinzeitmenschen und kann sich danach im Zwei-Sterne-Restaurant des Museums an den kulinarischen Errungenschaften der Jetztzeit laben. Auf dem Pflasterstein von Den Gamle By fühlt man sich hingegen ins 19. Jahrhundert versetzt. Man betritt den Laden einer emsig strickenden alten Frau, die von ihren nach Amerika ausgewanderten Kindern erzählt. Nur ihre Tochter ist noch da und serviert frisch gebackenes Brot.
Wer die Kunst aus dieser Epoche liebt und sich an den Bildern von Vilhelm Hammershøi oder Peder Severin Krøyer nicht sattsehen kann, der kommt im ARoS-Kunstmuseum, das die größte Kunstsammlung Dänemarks außerhalb von Kopenhagen beherbergt, auf seine Kosten. In Silkeborg, dem Heimatort des dänischen Malers und Avantgardisten Asger Jorn, kann man in dessen vielschichtiges Werk eintauchen, das Impulse in ganz Europa setzte. Während Jorn in die Welt aufbrach, um ein großer Künstler zu werden, holte der Textilfabrikant Aage Damgaard die große Kunst einfach zu sich nach Hause. Er lud den italienischen Bildhauer Piero Manzoni und andere nach Herning ein. Das tolle HEART-Museum zeugt heute von dieser Leidenschaft für die neueste Kunst.
2017 wird Aarhus Kulturhauptstadt Europas sein. Aus diesem Anlass schmücken sich all diese Orte in der Region Mitteljütland mit besonders interessanten Ausstellungen und werden, flankiert von zahlreichen Veranstaltungen, den Besuchern mit Sicherheit unvergessliche Kunsterlebnisse bieten.
Rebellion ist auch eine Frage der passenden Körperspannung. Insofern scheint es vollkommen stimmig, dass zu den eingeladenen Teilnehmern des Festivals „Little Rebellions“ im Spätsommer in Aarhus auch die Künstlerin Eglè Budvytytè zählt. In den Choreografien der gebürtigen Litauerin erkunden Performer verschiedene Haltungen, in denen sie widerständig dem realen Alltagsleben entgegentreten. Sie rennen sinnlos umher, stoppen grundlos oder sinken erschlafft zu Boden. In Budvytytès Werk „Choreography for the Running Male“, (2012) bewegte sich eine Gruppe von Männern in Joggingshirts und kurzen Hosen auf absurde Weise durch das Stadtzentrum von Sydney. Bei „Little Rebellions“ zeigt die Künstlerin ein neues Werk, das vom 13. bis zum 26. August im Botanischen Garten aufgeführt wird. Budvytytè verrät, dass es um die Unsicherheit gehen wird, welche die aktuelle politische Weltlage hervorruft – ein Gefühl, das in epileptischen bis katatonischen Leibern seine Verkörperung findet.
Welche „Rebellionen“ sind in den Monaten August und September in Aarhus noch zu erwarten? Eine kleine mit großen Konsequenzen erzählt die Sage von Ikarus, der nicht auf die Warnung seines Vaters Dädalus hören wollte und mit selbst gebauten Flügeln zu nah an die Sonne heranflog. Nahm der Sohn den Absturz absichtlich in Kauf, nur um nicht auf den Rausch des Aufstiegs zu verzichten? Dieser Frage geht die Tanzshow „Mein Ikaruskomplex“ des dänischen Regisseurs und Choreografen Troels Primdahl an einem Ort nach, der passender nicht gewählt sein könnte: In einer alten Flugzeughalle auf einem ehemaligen Militärflughafen werden vom 18. bis zum 20. August acht Tänzer den philosophischen Diskurs beflügeln.
Ansonsten gilt es, in diesem Spätsommer das Unerwartete zu erwarten: Gut möglich, dass Sie zwischen dem 18. August und 3. September unterwegs in Aarhus und der Region irgendwo in eine Spontan-Performance des Seachange Theatre geraten und der Passant neben Ihnen sich als Schauspieler entpuppt, der mit Ihnen interagiert. Oder Sie buchen gleich einen Platz am Tisch des „Living Table“-Projekts (nach einer Idee von VILdSKAB und Tina Andersen vom 19. bis 26. August): In einem – bis auf das erwähnte Möbelstück – leeren Raum werden Sie Anweisungen von drei Performern folgen und so selbst Teil des Kunstwerks. Bei der Crisis Loves Company können Sie dagegen in einem „illegalen Wirtshaus“ im Keller des Café Englen ein performatives Event à la carte bestellen. Daten und Details stehen noch nicht fest, aber dass die globale Krisenlage das Menü bestimmt, verrät schon der Titel der Schauspieltruppe.
Vielleicht ist es ja auch an der Zeit, einmal grundsätzlich gegen die menschliche Zivilisation zu rebellieren und wieder die Perspektive eines Tieres einzunehmen: Beim Perfomance-Event „Wolf Safari“ von Secret Hotel (19. bis 26. August) entdecken die Teilnehmer die Stadt mit den Augen eines Raubtierrudels. Und dieselbe Kompanie bietet am 21. und 22. August noch einen Wandervortrag an, der über das geheimnisvolle Leben der Ameisen aufklärt. Nicht auszuschließen, dass sie uns näher sind, als wir denken.
Was?
Einzelkünstler und kleine
Ensembles verbinden in
„Little Rebellions“ Oper, Kunst, Tanz, Installationen, Theater, Stadt-
Safaris und sogar ungewöhnliches
tierisches Verhalten
Wann?
Im August und September
Wo?
Straßen, Treppen, Parks, Keller,
Räume, Gassen und Nebenwege in Aarhus erleben unerwartete
künstlerische Ereignisse
Als neues Wahrzeichen schwebt er über Aarhus, schon vom Bahnhof aus kann man ihn staunend erblicken: den gläsernen Regenbogen, den der isländisch-dänische Künstler Ólafur Elíasson wie einen Heiligenschein auf dem Dach des ARoS im Stadtzentrum installiert hat (Abb ganz oben, Foto: ARoS, Aarhus Kunstmuseum/VisitAarhus). Sein Werk „Your rainbow panorama“ ist ein Ring aus 116 individuellen Scheiben in 42 Farben, der – und das ist der Clou – auch noch begehbar ist. Die überdimensionale Skulptur bildet in ihrem Innern einen 150 Meter langen Rundweg und bietet so den Museumsbesuchern ein fantastisches Panorama über die Hafen- und Universitätsstadt. Es kann aber auch passieren, dass man dort oben mitten in einer Nebelwolke steht. Was nicht unbedingt am Wetter liegen muss, denn selbst der Nebel gehorcht hier den Gesetzen der Kunst. Geschaffen hat ihn die Japanerin Fujiko Nakaya, die erste Künstlerin der Welt, die mit Nebel als skulpturalem Medium arbeitet.
Schaut man abends in den Himmel über Aarhus entdeckt man neben Elíassons leuchtendem Regenbogen noch mehr ungewöhnliche Dinge. Einen Moskito, eine Gitarre oder eine V2-Rakete etwa, künstliche, von Oscar Lhermitte kreierte Sternkonstellationen, die dem Großen Wagen und seinem Millionen Lichtjahre entfernten Blinken Konkurrenz machen. Das „Urban Stargazing project“ des französischen Designers unternimmt den Versuch, den Himmel, der uns „verloren“ gegangen ist in den künstlichen Welten der städtischen und privaten Smartphone-Beleuchtung, als Orientierungssystem zurückzugewinnen.
Verloren gehen kann man auch im ARoS. Der rote Backsteinbau, von außen eher unscheinbar, wirkt innen mit seinen spiralförmigen, weißen Rampen als hätte man Frank Lloyd Wrights Guggenheim-Museum aus New York entführt. Dänemarks größte Kunstsammlung außerhalb von Kopenhagen findet sich hier, allein im letzten Jahr interessierten sich dafür mehr als 800.000 Besucher. Neue Wege geht man im Kulturhauptstadtjahr mit der ersten ARoS-Triennale, die unter dem Titel „THE GARDEN – End of Times; Beginning of Times“ darüber reflektieren will, wie Menschen die Natur beschreiben und verändern.
„THE GARDEN“ wird die bisher größte Ausstellung unter Federführung des Museums sein. Sie untergliedert sich in drei Sektionen: „Fortid“ (Vergangenheit) beleuchtet landschaftliche Traditionen und schildert die Natur aus Sicht der Kunst und Ideengeschichte. Dabei wird im ARoS von April bis September ein Bogen geschlagen von der Gartenarchitektur des Barock über die deutsche Romantik und den Durchbruch der Moderne bis zur Land-Art der 1960er-Jahre.
Mit der zweiten Sektion, „Nutid“ (Gegenwart), verlässt die Triennale im Juni das Museum und begibt sich in den Stadtraum von Aarhus. „Nutid“ fokussiert sich auf aktuelle künstlerische Untersuchungen zum Stellenwert der Natur angesichts rasanter gesellschaftlicher Veränderungen. Themen wie Diaspora, Immigration und globale Kapitalbewegungen werden hier eine Rolle spielen. Die dritte Sektion, „Fremtid“ (Zukunft), hat ihren Ort entlang eines vier Kilometer langen Küstenabschnitts, wo eine Reihe von Freiluftinstallationen präsentiert werden, die sich mit neuen Herausforderungen an der Schwelle zum Anthropozän beschäftigen. Mit dabei sind u. a. Rirkrit Tiravanija und Nikolaus Hirsch mit ihrer Arbeit „Do We Dream under the Same Sky“, einem ökologischen Open-Air-Restaurant, bei dem jedermann eingeladen ist mitzukochen (oder wenigstens abzuwaschen). Zu den weiteren hier vertretenen Größen der Gegenwartskunst gehören Elmgreen and Dragset, die einen von außen harmlos aussehenden „Cruising Pavillon“ errichtet haben, der Zuflucht für sexuelle Begegnungen bietet, oder Katharina Grosse, die in einem Park alienhafte Asteroiden stranden lässt. Und auch Dänemarks aktueller Architekten-Superstar Bjarke Ingels hinterlässt ein Zukunftszeichen: einen in nur sieben Minuten aufblasbaren Pavillon, den LED-Lampen illuminieren.
Was?
Das Kunstmuseum ARoS in Aarhus
arrangiert unter dem Titel
„THE GARDEN – End of Times; Beginning
of Times“ erstmals die neue ARoS-Triennale
Wann?
„THE PAST“: 8. April – 10. September
„THE PRESENT AND THE FUTURE“:
3. Juni – 30. Juli
Wo?
Der erste Teil der Triennale („The PAST“)
findet im Kunstmuseum ARoS statt,
der zweite und dritte Teil im Stadtraum
und Hafen von Aarhus