Die Londoner „Works on Paper Fair“ lässt die britische Avantgarde aufleben
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08.02.2017
John Nash stand Zeit seines Lebens im Schatten seines älteren Bruders Paul. Dabei begannen die Karrieren der Maler ähnlich: Im ersten Weltkrieg arbeiteten beide als offizielle Kriegskünstler, beide schufen Bilder der Zerstörung, die nicht so recht für Propagandazwecke taugen wollten. Auf ihren Schlachtfeldern wurden keine Kämpfe ausgetragen, stattdessen eroberte sich die Natur ihren Platz zurück. Später wurden Pauls Landschaften mystischer, er selbst stieg zum intellektuellen Star der britischen Künstlerszene auf. Währenddessen suchte John auf Reisen durch England und Frankreich die unmittelbare Nähe zur Natur.
Eine Viertelstunde dauert es mit dem Auto von der Royal Geographical Society im Stadtteil Kensington, wo die Messe Works on Paper seit vergangenem Jahr stattfindet, zur Tate Britain, die noch bis Anfang März Paul Nashs surrealistische Traumlandschaften in einer Retrospektive zeigt. Wie ähnlich sich die Brüder in ihrer Bildsprache doch waren, sieht man am besten im direkten Vergleich. In John Nashs Ansicht eines Bauernhofs (Abb.), die der Londoner Händler George Babbington für 9500 Pfund anbietet, erinnern die Häuser an jene geometrischen Formen – Pyramiden und Zylinder – die sein Bruder so liebte.
Für Babbington, der seit vielen Jahren Aussteller und Beiratsmitglied der 1999 gegründeten Messe ist, war John Nash nicht nur wegen der aktuellen Ausstellung des Bruders die passende Wahl für die diesjährige Messe: „Die Preisspannen sind hier so groß, dass das Angebot auch für Einsteiger attraktiv ist. Besonders interessant ist die Works on Paper aber für Spezialisten, weil sie die einzige britische Messe ist, die sich ausschließlich auf Arbeiten auf Papier konzentriert und dabei alle Epochen von der Renaissance über die Moderne bis hin zur Gegenwart abdeckt.“
John Nash, so erzählt er, arbeitete eine kurze Zeit lang sogar Seite and Seite mit seinem Bruder in der Künstlergruppe Unit One, die Paul 1933 gründete. Gemeinsam organisierten die Brüder Ausstellungen mit Künstlern verschiedener Disziplinen – darunter auch die Bildhauer Henry Moore und Barbara Hepworth sowie der Maler Tristram Hillier, dessen Bleistiftzeichnungen bei Freya Mitton für Preise zwischen 1650 und 5800 Pfund zu finden sind. Auch wenn sich die Gruppe schon nach zwei Jahren wieder auflöste, nahm sie Einfluss auf die nachfolgende Künstlergeneration.
Patrick Heron kam früh mit ihnen in Kontakt. Den Großteil seiner Kindheit verbrachte er in der Künstlerkolonie St. Ives, wo sein Vater das Textilunternehmen „Crysede Silks“ führte, für die auch die Künstler der Unit One Stoffmuster entwarfen. Fasziniert von Georges Braque reiste Heron Anfang der Fünfzigerjahre nach Paris und entdeckte dort seine Vorliebe für Matisses Scherenschnitte. Die tiefe Verbundenheit zu den britischen und französischen Vorbildern schwingt in seinen Siebdrucken, angeboten von Holland Murray Fine Art, noch immer mit. Zeitgleich machte sich Heron auch als Kunstkritiker einen Namen.
Über die Stillleben seines Künstlerfreundes William Scott schrieb er 1953: „Nichts ist realer als seine reduzierten, sinnlichen Bilder, die viele auch jetzt noch als ‚zu abstrakt‘ abtun. Feststeht: Er ist einer der wenigen bedeutenden Maler des Landes.“ Mit dem Aufstieg der Pop Art geriet Scott in Vergessenheit. Betrachtet man heute seine „Lemon Pears“ von 1974 (Abb.), eine Farblithografie, die von der Fine Art Consultancy für 6850 Pfund bereitgehalten wird, versteht man das Kritikerurteil jedoch auf Anhieb. Pfannen, Töpfe und jede Menge Birnen in simplen Umrissformen bestimmen Scotts Szenen zwischen Abstraktion und Figuration, die mal humorvoll, mal tief melancholisch wirken.
Pure Abstraktion findet man bei seinem Kollegen Kenneth Martin. Faszination für Mathematik und Kinetik übersetzte er in „Screw Mobiles“ – feingliedrige Spiral-Figuren, die frei im Raum schwingen. Lizzie Collins von der Zuleika Gallery aus Oxford widmet sich Martins grafischer Seite: Für „Rotation Frankfurt III“ von 1977 (Abb.), die auch in der Sammlung der Tate vertreten ist, überträgt er die Bewegung auf Papier.
Martin, der 1961 im Amsterdamer Stedelijk Museum ausstellte und 1968 an der 4. Documenta in Kassel teilnahm, dürfte auch Sammlern außerhalb Großbritanniens ein Begriff sein. Für Collins, die in diesem Jahr zum zweiten Mal an der Messe teilnimmt, ist diese Kundengruppe vor allem nach der Brexit-Entscheidung wichtig: „Während das Votum eine gewisse Unsicherheit im Londoner Kunstmarkt schafft, sind die Folgen vor allem eine Frage der Perspektive. Wir haben in den vergangenen Monaten ein vermehrtes Interesse von Amerikanern und Europäern wahrgenommen, die auf den günstigen Wechselkurs setzen.“ Obwohl der Großteil der 39 Messeteilnehmer aus London und dem Umland stammt, reist in diesem Jahr neben dem langjährigen Aussteller Camburn Fine Art aus dem französischen La Roche-Rigault erstmals auch der Belgier Patrick Lancz an. Diese internationale Bereicherung schätzt auch Collins: „Im Londoner Kunstkalender ist die Messe mittlerweile zu einem festen Termin geworden, aber die Works on Paper bietet auch die Möglichkeit, mit Kunstinteressierten aus der ganzen Welt Kontakte zu knüpfen.“
John Nash (1893 – 1977), „A Farm in the Loire Valley“, Aquarell, 35 x 55 cm (Foto: Babbington Fine Art, London)
Works on Paper Fair
London, Royal Geographic Society,
9. bis 12. Februar