In den Wirren der Nachkriegszeit begannen Roman und Wolfgang Ketterer mit dem Verkaufen und Versteigern von Kunstwerken – und begründeten eine Auktionatorendynastie. Das 10-jährige Jubiläum der Berlin-Repräsentanz begeht das Auktionshaus jetzt ab dem 25. Februar mit einer hochkarätigen Jubiläums-Ausstellung. Der Titel: „Auf Achse zwischen München und Berlin.“
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22.02.2017
Ein Kunsthändler-Gen, gibt es so etwas? Oder ist vielmehr eine Prägung, gepaart mit Talenten, die Basis für eine erfolgreiche Fortführung des vom Vater gegründeten Geschäfts mit der Kunst? Erleichtert durch das bereits langjährig etablierte Renommee der Firma, befeuert von einer lukrativen Geschäftsidee. Die Familiengeschichte der Ketterers illustriert nicht nur die Aktivitäten einer begabten Kunsthändlersippe, sondern spannt gleichzeitig einen von den ersten Nachkriegsjahren bis in unsere heutigen Tage reichenden Bogen der rasanten Entwicklung am Kunstmarkt.
Vieles hat sich grundlegend geändert in dieser Zeit. Bis in die Neunzigerjahre waren geschätzte siebzig Prozent der Käufer in den Auktionshäusern Händler im weitesten Sinn. Die übrigen Kunden setzten sich aus sehr gut informierten Sammlern und Museen zusammen. Heute hat sich das exakt gedreht, wobei die Museen mangels Budget praktisch keine Rolle mehr spielen.
Die Abwicklung von Kunstkäufen verläuft, das ist wesentlicher Bestandteil des Geschäfts, von jeher außerordentlich diskret. Zudem kommt der Kunstmarkt mit nur geringen respektive den allernotwendigsten Regularien aus. Da liegt es in der Natur der Sache, dass sich über die Jahrzehnte der Schleier des Vergessens gesenkt hat. Entsprechend lässt sich auch die Erfolgsgeschichte der Brüder Roman Norbert und Wolfgang Ketterer – und die ihrer Erben – nach sechzig Jahren lediglich mäandernd skizzieren. Obendrein gilt: Die Zeit heilt Wunden, lässt Ereignisse verblassen.
Roman Norbert Ketterer, 1911 im Schwarzwald geboren, hatte es bereits zum Geschäftsführer einer Firma für Altölverwer- tung gebracht, interessierte sich aber von jeher (begeistert, doch ungeschult) für Kunst. Nach dem Krieg – als Mitarbeiter eines sogenannten kriegswichtigen Betriebs war er, anders als sein jüngerer Bruder Wolfgang, nicht eingezogen worden – beantragte er die Lizenz der amerikanischen Militärregierung zum „Wholesale in all Kind of Works“. Blitzgescheite Überlegungen, Lust auf Neues und ein nervenstarker Hang zum Risiko bewogen den dilettierenden Kunstfreund zur Eröffnung des „Stuttgarter Kunstkabinetts“; die erste Auktion mit expressionistischer Druckgrafik erfolgte 1947.
Das Debüt war ermutigend, die Schätzpreise verdoppelten sich und mehr, Höchstpreise von bis zu 500 Mark wurden erzielt, der Saal war voll. („Die Auktionsräume sind geheizt“ hieß es animierend in den hektografierten Auktionslisten.) Eine Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf. Hier versteigerte jemand die Kunst, die das Naziregime verboten hatte: Werke der deutschen Avantgarde, die bis in die Dreißigerjahre in den Museen hingen, aber auch in den aufgeschlossenen großbürgerlichen Haushalten. Nun konnte man daran wieder anknüpfen, vielleicht sogar die verloren gegangene Würde zurückgewinnen, sich jedenfalls gefahrlos der Werte besinnen, die man allzu untertänig und machtbesoffen über Bord geworfen hatte.
Gleich nach der Währungsreform von 1948 ruckelte es dann doch ein bisschen. Alle, natürlich auch die wenigen Kunsthändler, waren erst einmal ziemlich orientierungslos. Im Stuttgarter Kunstkabinett wurde Max Beckmanns Radierung „Selbstbildnis mit steifem Hut“ vorsichtig bei 20 D-Mark aufgerufen und schon bei 18 DM weitergereicht. Heute wäre sie 60 000 bis 100 000 Euro wert. Doch rasch hatte man sich in den neuen Verhältnissen eingerichtet, und es ging mit Tempo weiter. Der Nachschub war das geringste Problem. Vieles, was gehortet und versteckt worden war, tauchte nun bei Ketterer auf, der sich inzwischen von dem Kunst- und Marktkenner Friedrich Wilhelm Arntz beraten ließ. Als es bald schon zum Bruch kam, wechselte Arntz zum Kunsthaus Lempertz in Köln, wo man die florierenden Geschäfte in Stuttgart aufmerksam verfolgte und sich anschickte, eine Abteilung mit moderner Kunst aufzubauen.
Aber noch versammelten sich die Händler und Sammler in der schwäbischen Metropole. Ketterer hatte die guten Kontakte, war ein charismatischer Auktionator (bis heute keine Selbstverständlichkeit), der internationales Publikum anzog und für die damalige Zeit phänomenale Preise erzielte. Ernst Ludwig Kirchners „Dodo mit großem Federhut“ wurde 1959 von 40 000 auf über 100 000 DM (mit Aufgeld) gesteigert, ein Rekord. Ein New Yorker Händler kaufte es für eine amerikanische Sammlerin; heute hängt es im Milwaukee Art Museum. Noch 1949 war Emil Noldes „Mulattin“ – aus der Moritzburg in Halle von den Kunstkommissaren der Nazis beschlagnahmt und 1937 Exponat in der Ausstellung „Entartete Kunst“ – für 1800 Mark in die USA gegangen. Heute gehört das Bild dem Busch-Reisinger Museum in Cambridge, Massachusetts.
Die Herkunft der während des Naziregimes klammheimlich verschwundenen und nun urplötzlich wieder aufgetauchten Bilder prüfte in diesen Jahren niemand. Dass viele aus Museen konfisziert oder, schlimmer noch, jüdischen Familien bei der Deportation in die Todeslager geraubt oder als Kompensation für Ausreisepapiere abgepresst worden waren – kein Thema. Die unselige Vergangenheit wurde nach 1945 mit aller Kraft verdrängt, von Politik, Justiz und Gesellschaft gleichermaßen. Jetzt galt die rücksichtslose Devise „Alles auf Anfang“. In seinen Memoiren „Legenden am Auktionspult“ (erschienen 1999) schildert der 88-jährige Roman Norbert Ketterer anschaulich, wie er Ferdinand Möller, Kunsthändler konfiszierter und geraubter Werke, in dessen 1949 in Köln eröffneten Galerie besuchte. Dieser habe ihm „wundervolle Arbeiten, die letztlich schon einmal in Museumsbesitz waren, für die Auktion eingeliefert. Alle diese Blätter trugen rückseitig den Stempel „Ferdinand Möller – entartet – beschlagnahmt“. Naiv? Zertifikate einer brutalen Machtpolitik konnten in den Nachkriegsjahren, soviel steht fest, zum Gütesiegel mutieren.
Die Galerie Henze-Ketterer im schweizerischen Wichtrach, geführt von Roman Norberts Tochter Ingeborg Henze-Ketterer und deren Ehemann Wolfgang Henze, ist im Besitz sämtlicher Protokolle der Stuttgarter Versteigerungen. Das Ehepaar bearbeitet die Anfragen von Museen, von beraubten Familien und irritierten Besitzern geerbter Kunstwerke. Vor allem bei nur rudimentären Angaben gestaltet sich das allerdings oft sehr schwierig und entsprechend langwierig.
Im Jahr 1960 widmete der „Spiegel“ dem „Großauktionator“, wie Roman Norbert Ketterer sich selbst in seinen Memoiren nannte, das Titelbild und eine ausführliche Erfolgsgeschichte, die sich passgenau ins Wirtschaftwunderdeutschland einfügte. Für seine Versteigerungen musste Ketterer mittlerweile wegen des großen Andrangs der aus aller Welt angereisten Käufer den Großen Sendesaal des Südwestdeutschen Rundfunks mieten. Und es wurde, wie er einmal klagte, allmählich schwieriger, an gutes Material zu kommen. Ein früh einsetzendes Lamento, das zum vielstimmig-lauten, nie verklingenden Chor aller Auktionatoren angeschwollen ist. Den Hammerpreisen, dem Gesamtumsatz kam das freilich, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage folgend, schon damals zugute.
Ende 1962, nach seiner 37. Auktion mit wieder einmal bestem Ergebnis, verabschiedete sich Roman Norbert Ketterer abrupt aus dem Versteigerungsgeschäft – und auch aus Deutschland. Vor allem die hohen, seiner Meinung nach überhöhten Abgaben an den Fiskus waren nicht nach seinem Geschmack; gar nicht. Er ging. An der Tür seines Geschäfts hing urplötzlich ein Schild: „Kunstkabinett für immer geschlossen“. Mit seiner Bibliothek, seinen Bildern aus dem Depot, hatte Ketterer sich auf nach Campione d’Italia gemacht, eine italienische Exklave im Schweizer Tessin, die sich nicht nur durch ihre herrliche Lage auszeichnet, sondern sich damals auch eines steuerlich außerordentlich vorteilhaften Sonderstatus erfreute. In der Schweiz, das hatte er wohl eruiert, hätte er seinerzeit nicht so ohne Weiteres eine Erlaubnis zur Geschäftsgründung bekommen.
Fortan publizierte Ketterer Verkaufskataloge, aus dem Auktionator war ein Kunsthändler geworden. Und der Eigentümer des Nachlasses von Ernst Ludwig Kirchner. Er hatte ihn dessen Erben nach kompliziertem Prozedere mit den Schweizer Behörden im selben Jahr seines perfekt geplanten und bis zuletzt genauso perfekt geheim gehaltenen Umzugs abgekauft. Angeblich für einen nicht nur nach heutigem Ermessen ausgesprochen vorteilhaften, bis heute jedoch un- bekannt gebliebenen Preis. Seit 1955 war er bereits als Nachlassverwalter mit großzügiger Handlungsvollmacht eingesetzt und der Werkbestand, den die Schweiz bis dahin als Feindvermögen unter Sequester gestellt hatte, in ein Stuttgarter Depot verbracht. Von Campione aus verwaltete und verkaufte Ketterer nun mit Geschick und wohlüberlegten Marktstrategien die Werke des Expressionisten, platzierte sie in Museen und Sammlungen seines Vertrauens. Falls nötig, stützte er besonnen die Preise durch Ankäufe.
Roman Norberts Tochter Ingeborg hat in Berlin und München Kunstgeschichte studiert, lernte dort ihren späteren Mann Wolfgang Henze kennen und eröffnete 1970 mit ihm zusammen in Campione eine Galerie für moderne Kunst. Die beiden widmen sich gemäß der Familientradition in zahlreichen Verkaufsausstellungen intensiv dem Werk Kirchners, aber auch anderen deutschen Expressionisten, Künstlern wie Eduard Bargheer und Fritz Winter. Henze baute unter ande- rem das maßgebliche wissenschaftliche Kirchner-Archiv auf. Er ist, wie seine Frau und sein Schwager Günther, Vorstandsmitglied der Ernst Ludwig Kirchner Stiftung Davos, die 1982 auf Initiative von Roman Norbert Ketterer und dem Berner Auktionator Eberhard Kornfeld gegründet wurde.
Zweck dieser Stiftung war der Bau eines Museums zur „Förderung des Gedenkens an Ernst Ludwig Kirchner und die Erhaltung seines Werks in der Öffentlichkeit“. Das ist freilich viel mehr noch durch den unermüdlichen und durchaus ertragreichen Einsatz der Familie Ketterer gelungen. Wolfgang Henze schilderte einmal diese Aufgabe, der er sich für das Werk Kirchners, aber auch das anderer Künstler stellte, lapidar und treffend: „Die Galerie bemüht sich langfristig und nachhaltig. Diese Tätigkeit für einen verstorbenen oder bereits arrivierten Künstler unterscheidet sich in nichts von der Propagierung eines lebenden oder neuen Künstlers. Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als ständig etwas dafür zu tun, dass ein Künstler im Gespräch bleibt.“ Klingt einfach, bedarf jedoch großen Geschicks, eines guten Netzwerks, nicht zuletzt einer anerkannten und überdurchschnittlich kundigen Position im Kunstbetrieb. Alles da in Wichtrach.
Manchmal wird diese sorgsame Pflege freilich zur Herausforderung. Beispielsweise wenn es um Erörterungen geht, die für eine eventuelle Restitution relevant sind, um knifflige Fragen und Interpretationen, etwa zur Herkunft eines Kirchner-Bildes („Dünen und Meer“ von 1913), das derzeit (noch) im Kunstmuseum Bern hängt. In der lesenswerten Festschrift, die Ingeborg Henze-Ketterer vor zwei Jahren zum Siebzigsten ihres Mannes herausgegeben hat, äußert sich der Schwiegersohn Marc Triebold, der mit Alexandra, der älteren der beiden Töchter, eine Galerie in Riehen bei Bern betreibt, dennoch sehr fröhlich: „Die Vorfreude auf viele noch kommende Jahre mit Dir und Ingeborg im Dienste Ernst Ludwig Kirchners lässt mich breit grinsen.“ Natürlich lässt sich ohne herausragenden Sachverstand und ohne Präzision im Denken und Urteilen weder ein Nachlass erfolgreich verwalten noch eine Galerie für alle Beteiligten lukrativ führen. Sind die Voraussetzungen nicht gegeben, könnte einem das Grinsen rasch vergehen. Der Berliner Verleger und Publizist Karlheinz Schmid bringt das in dieser Festschrift sehr schön auf den Punkt, indem er Henzes „Gabe“ würdigt, „das wissenschaftlich Sinnvolle und Richtige mit dem wirtschaftlich Notwendigen kombinieren zu können“. Und weiter: „Ohne diesen frühen, letztlich richtungsweisenden Kontakt zum Merkantilen, ohne diese Nähe zur Kaufmannstochter und ihrem mit allen Nachkriegswassern gewaschenen Vater, wäre er womöglich im Museum gelandet.“ Was jetzt keine Katastrophe gewesen wäre, aber doch irgendwie schade.
Und da ist noch der andere Familienzweig. Parallel zu seinem Bruder Roman Norbert, doch mit etwas Zeitverschiebung, erwarb sich auch Wolfgang Ketterer (Jahrgang 1920) eine rasch gefestigte Position im Kunst- und Auktionshandel. Der zunächst im Betrieb seines Bruders mitwirkende gelernte Eisenhändler – Ende 1946 aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt – machte sich mit Zuversicht und einer gut situierten Ehefrau 1953 in Stuttgart selbstständig und verkaufte Druckgrafik. Zwei enorm starke Persönlichkeiten, das hatte zu wenig erbaulichen Spannungen und zu Wolfgangs Ausscheiden aus dem Kunstkabinett geführt. Dennoch kamen die Brüder bis zu Roman Norberts Tod 2002 sehr gut miteinander aus. Familienbande, Respekt und überlappende Geschäftsinteressen wogen schwer.
Im Jahr 1966 verlegte Wolfgang Ketterer seine Geschäfte nach München und eröffnete im Atelier der Villa Stuck, damals noch in Privatbesitz, eine Galerie. Zudem installierte er dort eine Druckwerkstatt, in der er seine anspruchsvoll gestalteten Editionen, später die Auktionskataloge herstellen wird. Autonomie war ihm stets sehr wichtig. Nach kurzer Zeit wandte er sich wieder dem vertrauten Auktionsgeschäft zu. Schon die erste Versteigerung 1968 war erfolgreich, was nicht zuletzt auch daher rührte, dass der Name Ketterer in der Kunstwelt hinlänglich bekannt war und Wolfgang bereits gute Kontakte und ein internationales Netzwerk hatte aufbauen können.
Bald darauf erweiterte er das Spektrum seines Hauses um Kategorien, die bislang in Deutschland vernachlässigt worden waren. Mit seinen Jugendstilversteigerungen etablierte er eine damals fast vergessene Sparte im Markt, es kam zu einer regelrechten Hausse. Präkolumbische und afrikanische Kunst sorgten zwar nicht für enormen Umsatzzuwachs, zogen aber die spezialisierten Sammler aus aller Welt an und beförderten das Renommee des Auktionators beträchtlich. Dass auch Wolfgang seinen großen Presseauftritt bekam – 1971 auf dem Cover des ZEITmagazins – passt ins Bild. Mit der Übernahme des Buch- und Kunstauktionshauses Dörling fasste er 1989 in Hamburg Fuß. Heute versteigert Sohn Robert dort alte Bücher, Landkarten und Druckgrafik.
Wolfgang Ketterer war ein begnadeter Autodidakt mit scharfem Blick und großem Wissen. Sein unprätentiöses Auftreten trug ihm die Sympathie von Sammlern, Kuratoren und Fachleuten ein. Der patriarchalische Führungsstil, gewürzt von einem stürmischen Naturell und nie versiegender schwäbischer Sparsamkeit, sorgte für einen streng durchorganisierten Ablauf. Die Unerschrockenen unter den Mitarbeitern profitierten von seinen Kenntnissen, von der Arbeit mit herausragenden Kunstwerken und der Internationalität des Hauses, vor allem auch vom persönlichen Kontakt mit den Sammlern, den Kustoden großer Sammlungen und Museen, die hierherpilgerten. Das Haus war etwas Besonderes, und die Liste der Ketterer- Absolventen, die sich erfolgreich selbstständig machten, ist lang. Der Galerist Michael Hasenclever gehört ebenso dazu wie die Auktionatorin Ursula Nusser.
Unvergessen sind die rauschenden Feste in den historischen Räumen der Villa Stuck (so etwas heute absolut Unvorstellbares war möglich). Protagonisten des Kunstbetriebs reisten aus aller Welt zur Versteigerung an. Es war nicht Usus, am Telefon zu bieten; der Wettbewerb fand im Saal statt. Und wurde anschließend gebührend gefeiert, auch von den Unterbietern. Übrigens hatte Roman Norbert Ketterer schon 1959 einen Versuch gestartet und ein Telefon auf das Auktionspult gestellt. Das Entsetzen im Saal war damals groß. Wie konnte man denn wissen, wer da tatsächlich mitbot? Einen weiteren Vorstoß gab es in Stuttgart nicht mehr.
Auf ungläubige Verwunderung, ja auch Spott, stieß Wolfgang Ketterer, als er seine Versteigerungen weit früher als alle Kollegen per Computer organisierte und erstmals triumphierend mit einem digital erstellten Protokoll erschien. Nur technikverliebte Spielerei, winkte das amüsierte Publikum im Parkett ab. Ketterer wusste es besser und ließ sich nicht beirren. Beharrlichkeit war neben der Autonomie sein zweites Spezialgebiet.
Wolfgangs Söhne Roman, Philipp und Robert hatten schon sehr jung in der väterlichen Firma mitgearbeitet und waren mit allen Belangen eines Auktionsbetriebs vertraut. 1991 gründete Wolfgang mit ihnen als Gesellschaftern eine KG. Drei Jahre später zog er sich auch als Komplementär zurück und widmete sich in seinem Landhaus im oberbayrischen Kreuth der geliebten Bienenzucht und den Orchideen. Seinem Sohn Robert, der das Haus seit 1997 allein führt – Teamplay, auch mit Brüdern, passt nicht ins Schema eines Ketterer-Sprosses –, blieb Wolfgang Ketterer bis zu seinem Tod 2009 ein erfahrener Gesprächspartner, dem es offenbar ziemlich leicht fiel (was man nie erwartet hätte), die Dinge aus der Ferne zu betrachten und ohne jede Präpotenz zu bewerten.
In Deutschland hatte sich inzwischen die Auktionslandschaft sehr verändert. Lempertz in Köln, Hauswedell & Nolte in Hamburg hatten sich vermehrt der Moderne und der Kunst nach ’45 zugewandt. In Berlin war 1986 mit der Gründung der Villa Grisebach eine ambitionierte Konkurrenz erwachsen. Notwendige Umstrukturierungen standen nach dem Generationswechsel an. Robert schloss die wenig rentablen Abteilungen Afrikana, präkolumbische Kunst, Jugendstil und Design. Man residierte nicht mehr im noblen Karolinenpalais, das der Vater nach der Umwandlung der Villa Stuck zum städtischen Museum bezogen hatte, sondern arbeitete in kostengünstigeren Büroetagen.
Die Versteigerungen fanden in der Hamburger Dependance statt, für die großen Auktionen in München wurden Bankenfoyers angemietet. Diese Entscheidungen zahlen sich allmählich aus. Dazu kommt: Steigenden Hammerpreisen folgen sehr gute Einlieferungsangebote. Die Versteigerung der New Yorker Sammlung Kirshner (2001), zwei Jahre später der legendären Sammlung Tremmel, dazu einige, in Deutschland durchaus nicht übliche Millionenzuschläge sicherten dem Haus wieder einen Platz an der Spitze.
Im Jahr 2008 wurde das neue, den Anforderungen eines modernen Auktionshauses entsprechende 3500-Quadratmeter-Domizil am Münchner Stadtrand bezogen. Wie alle anderen bekam Robert Ketterer die Folgen der Krise zu spüren – aber auch, nach erstaunlich kurzer Schockstarre, ihre spektakulär antreibende Wirkung auf den Kunstmarkt: Investitionsbereitschaft und Preise steigen rasch in Zeiten einer restriktiven Banken- und Zinspolitik, das Spektrum vielversprechender Anlagewerte ist schmal geworden. Die Kunst ist nun anerkannter Bestandteil eines intelligenten Portfolios.
Robert hat das Unternehmen zusammen mit seiner Frau Gudrun im Ranking der deutschen Auktionatoren für alte Meister, moderne und zeitgenössische Kunst ganz nach vorn geführt. Die Konkurrenz unter den Häusern, bisher schon nicht zu unterschätzen, wird härter. Ketterers Politik, die eine oder andere Arbeit anzukaufen und auf eigene Gefahr zu versteigern, zahlt sich aus im Akquisewettbewerb, der Achillesferse des Auktionsgeschäfts. Denn nicht jeder ver- kaufsbereite Kunde kann sich mit der langen Zeitspanne zwischen Einlieferung und Auszahlung nach dem Zuschlag anfreunden.
Hinsichtlich der Entwicklung des Weltmarkts gibt sich Robert Ketterer „zuversichtlich“. Er sieht aber „deutliche Überhitzungstendenzen“, vor allem bei den Preiserwartungen. Für umso wichtiger hält er den „professionellen und ehrlichen Umgang aller Marktteilnehmer mit dem, was uns allen am Wichtigsten ist, die Zukunft der Kunst“. Die Latte mit einem Jahresumsatz von zuletzt knapp 53 Millionen Euro liegt hoch. Nun kommt es darauf an, die an sich großartige, so wunderbar archaische Geschäftsidee der Auktion – der Preis entsteht in Sekundenschnelle durch Zuruf, ist nicht verhandelbar und muss schon gar nicht einen Allzeitwert spiegeln – den sich wandelnden Anforderungen mit Geschick und innovativen Entscheidungen anzupassen. Das gilt freilich nicht nur für die zweite Generation Ketterer. Es gilt für alle, die im härter gewordenen Auktionsbetrieb mithalten wollen.
Ein Mann mit Ausstrahlung: Wolfgang Ketterer, 1971 von Stefan Moses für das ZEITmagazin fotografiert, hatte 1968 in München das Kunstauktionshaus gegründet, das 2015 einen Jahresumsatz von rund 53 Millionen Euro verbuchen konnte. (Foto: Stefan Moses)
„Jubiläums-Ausstellung: Auf Achse zwischen München und Berlin“, 25. Februar – 30. April 2017,
Ketterer Kunst, Fasanenstr. 70, 10719 Berlin
Ausstellungen mit rund 40 Exponaten von Künstern wie Norbert Bisky, Willi Baumeister, MAx Beckmann, Katharina Grosse, Gustav Klimt, Heinz Mack, Otto Mueller, Gabriele Münter, Emil Nolde, Wassily Kandinsky, Max Liebermann, Anselm Reyle, Pierre Soulages, Andy Warhol und Zao Wou-Ki.