Sie ist Rapperin, veröffentlicht Gedichte und Romane: Die Britin Kate Tempest beherrscht den Londoner Slang genauso wie antike Mythen. Uns verriet sie, welches Gemälde sie bewegt
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19.05.2017
Ich bewundere William Blake. Zu einer Zeit, in der ich gerade begonnen hatte, zu rappen und mich in Sprache zu verlieben, fiel mir sein Buch „Die Vermählung von Himmel und Hölle“ in die Hände. Dieses Buch hat mein Leben verändert. Danach war ich wie besessen von Blake und seiner Kunst. Ich nutzte jede Möglichkeit, seine Werke zu sehen. Neben Virginia Woolf, W.B. Yeats, James Joyce oder Wu-Tang Clan gehört Blake zu den Künstlern, die mich maßgeblich inspirieren. Von Blakes Bildern hatte vor allem „Elohim erschafft Adam“ eine tiefgreifende emotionale Wirkung auf mich. Es hat mich regelrecht erschüttert. Als ich es das erste Mal in der Tate Britain gesehen habe, bin ich in Tränen ausgebrochen. Damals war ich 19 oder 20 Jahre alt.
Ungefähr zur gleichen Zeit habe ich, ebenfalls in der Tate Britain, eine Skulptur entdeckt, die mich auf ganz ähnliche Weise beeindruckt hat wie die Blake-Gemälde: „Jakob und der Engel“ von Sir Jacob Epstein. Es zeigt zwei umschlungene Wesen, eines mit Engelsflügeln. Dieses Ringen um die Seele des Menschen, der Kampf mit Gott und den Teufeln, in der Mitte der Mensch, alle drei verwoben miteinander, hat mich tief bewegt. Die Energie dieser existenziellen Auseinandersetzung habe ich regelrecht physisch erfahren. Beide Werke erscheinen mir sehr wahrhaftig, eine eindrucksvolle künstlerische Übersetzung dafür, wie es sich anfühlt, am Leben zu sein, als Mensch und nicht zuletzt auch als Künstlerin: der stetige Kampf, das konstante Ringen mit inneren und äußeren Kräften. Ich versuche, in meinen Songtexten, Gedichten und Romanen Ähnliches zu erreichen. Das Schreiben hat mir den Glauben an den göttlichen Funken in uns allen gegeben. Ein Funke, der in der Literatur, aber eben auch in diesen beiden Werken spürbar ist.
Bei Rowohlt erschien 2016 Kate Tempests Roman „Worauf du dich verlassen kannst“, Suhrkamp veröffentlichte ihren Gedichtband „Hold Your Own“
WELTKUNST Nr. 127/2017