Kunstwissen

Kunst im Netz - Der Künstler hat das Wort

Open Access für Oral history

Von Peter Dittmar
25.04.2017

Wenn Tadel gefragt sind, ist Goethe stets ein beliebter Richter. Sein „Bilde, Künstler, rede nicht!“ wird gern in die Debatte geworfen, wenn Kunstwerke wortreicher Interpretationen bedürfen, um Bedeutsamkeit zu gewinnen. Aber manchmal interessiert durchaus, was sie zu sagen haben. Künstlerbriefe waren deshalb in den vor-digitalen Jahrhunderten eine geschätzte Lektüre, weil sie das Werk gleichsam rahmen und damit anschaulicher machen konnten. Diese Aufgabe hat in der Nachkriegszeit das Tonband übernommen. Und inzwischen schlucken und bewahren Chips, was zum Ent- und Verstehen eines Kunstobjektes hilfreich sein könnte. Das darf man oftmals auf Zeitungsseiten oder in Büchern „Schwarz auf Weiß nach Hause tragen“. Aber die Niederschrift vermag den O-Ton nicht zu ersetzen. Deshalb hat trotz und wegen ihrer Subjektivität die Oral history, manchmal als Video, oft jedoch bildlos, ihren besonderen Reiz.

In Deutschland fällt die Ausbeute allerdings recht karg aus. Gewöhnlich sind die Interviews nur Beiwerk zu Ausstellungen, wie die fünf mit Bernhard Heisig, Wilfried Frankenthal, Hans-Hendrik Grimmling, Uwe Pfeifer und Heidrum Hegewald für die Ausstellung „Auftrag: Kunst“ im Deutschen Historischen Museum (https://www.bildatlas-ddr-kunst.de/interview/) Dasselbe gilt für das ZKM in Karlsruhe (http://zkm.de/) oder Städel, Schirn und Liebieghaus in Frankfurt. Ein zentrales via Internet abzurufendes Archiv gibt es dafür jedoch nicht.

In London ist das anders. Da versammelt die British Library (http://sounds.bl.uk/Oral-history) zahlreiche Gespräche mit Künstlern wie Kunstvermittlern zu Architektur, Kunst, Kunsthandwerk, „Curator’s Choice“ oder Fotografie. Darunter sind – neben vielen jenseits des Kanals Unbekannten – unter anderem Helmut Gernsheim, Annely Juda, Elisabeth Frink, Eduardo Paolozzi, Sam Haskins oder Ines Van Lamsweerde. Nicht weniger reichhaltig präsentiert sich Amerika. Die Smithonian Institution sammelt systematisch solche Audiodokumente und macht sie jedermann zugänglich (http://s.si.edu/2oamKk5). Da kann man nicht nur nach Namen suchen, sondern auch nach den „occupations“ – wo man auf 83 Museumsdirektoren, 272 Lehrende und 175 Kritiker trifft. Die „topics“ reichen von „AIDS (Disease) and the arts“ über „Kunst und Krieg“ wie „Kunstschätze im Krieg“ bis zu Bildhauerinnen. Die „Themen“ verweisen unter den insgesamt 2535 Interviews auf 461 Frauen – beispielsweise Magdalena Abakanowicz, Louise Bourgeois oder die Guerilla Girls. Aber auch Galeristen wie Leo Castelli und Sidney Janis oder Kritiker wie Arthur Danto kommen zu Wort. Und dass man Rembrandt oder Matisse in der Namensliste findet, hat nichts mit Totenbeschwörungen zu tun – obwohl die ältesten Interviews Anfang der 1960er-Jahre aufgenommen wurden. Es verrät nur, dass das Register auch jene verzeichnet, die in den Gesprächen erwähnt werden.

Zwar findet man Louise Bourgeois und Magdalena Abakanowicz ebenfalls in der „Oral History Collection“ des Getty Research Instituts (GRI). Doch die überwiegende Zahl der oft langen Interviews können nur im GRI abgehört werden. Zu den gut hundert Ausnahmen mit open access gehören Frank Gehry, Ed Ruscha, Judy Chicago oder Robert Motherwell mit einem Vier-Stunden-Gespräch von 1969. Das kann man direkt abrufen (http://bit.ly/2nL4vyw) oder über den Getty Research Institute YouTube-Kanal (http://bit.ly/2nLkEnu), wo neben wissenschaftlichen Vorträgen und Aufzeichnungen von Diskussionen die Oral history-Aufzeichnungen stehen: redlich, redewillig, redefreudig und auch redundant.

Service

Dieser Beitrag erschien in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 7/2017

Zur Startseite