Der Kunstmarkt dreht endgültig durch: Ein Kommentar zum Rekordpreis von 110,5 Millionen Dollar für Jean-Michel Basquiat
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19.05.2017
Dass die Preistreiberei um die zeitgenössische Kunst schon längst nichts mehr mit dem Wert der Werke zu tun hat, die ihnen die unbestechliche Selektion der Kunstgeschichte einmal zubilligen wird, das weiß wohl jeder, der im Kunstbetrieb noch einigermaßen klar denken kann. Aber trotzdem hält die Spirale nach oben nicht an, sondern bringt immer neue Rekordmarken hervor. Nun also 110,5 Millionen Dollar (mit Aufgeld) für ein Gemälde von Jean-Michel Basquiat. Hundertzehn Millionen! Der japanische Milliardär Yusaku Maezawa hat es – mit einem anderen Verrückten – gestern bei Sotheby’s in New York so weit emporgesteigert. Jetzt brüstet er sich damit auf Instagram. Verrückt? Ein böses Wort, ist es nicht Kunstleidenschaft, wenn man ein Gemälde um jeden Preis besitzen will? Nein, das hat mit Passion für die hehre Kunst nichts mehr zu tun. Und wenn Passion nur noch mit viel Geld zu tun hat, dann läuft irgendwas absolut schief.
Das tut es ja schon seit Jahren; längst ist der größeren Öffentlichkeit kaum noch zu vermitteln, dass es am Kunstmarkt um mehr geht als nur eine durchgedrehte Jagd nach Rekordpreisen. Und dem Kunstmarkt selbst schaden diese Preishöhen letztlich viel mehr als dass sie ihm nützen. Sammler, Besitzer, Einlieferer, überhaupt jeder Kunstfreund – ihnen allen wird ein völlig falsches Wertgefüge vorgegaukelt. Zahlen sind messbar und vermeintlich objektiv, darum wird die Wertschätzung von Basquiat künftig vor allem an der Tatsache gemessen werden, dass er der teuerste Gegenwartskünstler ist. Dass er 1988 mit 27 Jahren an einer Überdosis Heroin starb, ist dieser Verklärung nur dienlich. Immerhin ist er damit in der berühmten Reihe der im gleichen Alter unter ähnlichen Umständen gestorbenen Popstars wie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain oder zuletzt Amy Winehouse. Das ist tragisch und angesichts all der großen Talente (das war auch Basquiat zweifellos) sehr zu bedauern. Aber es betäubt auch die Wahrnehmung des eigentlichen Werks beträchtlich – wie eben die Preisrekorde.
Bei allem Respekt vor Basquiat: Ein solcher Preis hat mit seiner Bedeutung als Maler nichts mehr zu tun. Er war Teil der weltweiten neoexpressionistischen Strömung der Achtzigerjahre und dabei gewiss eine wichtige Gestalt. Aber ob ihm ein so epochaler Rang gebührt, wie ihn der enorme Preis jetzt suggeriert, ist doch mehr als fraglich. Es gab viele andere Künstler, die das Geschehen in den Achtzigern prägten. Basquiat als einsamer Solitär, noch vor Warhol, der nun wirklich der bedeutendste, innovativste und einflussreichste aller Nachkriegskünstler war? Das Wertesystem am Kunstmarkt und die kunsthistorische Kanonbildung entfernen sich immer mehr voneinander. Eine fatale Schere, die falsche Werte vorgaukelt. Denn am Ende ist die Geschichte doch gnadenlos und unbestechlich. Und eines steht fest: Spätestens in einigen Jahrzehnten (womöglich schon viel früher) werden sich die geldbenebelten Wahrnehmungsschwaden um Basquiat lichten und man kann ihn im größeren Maßstab einordnen und bewerten. Dort, wo er hingehört. Wo genau, darüber lässt sich heute noch streiten und orakeln. Dann jedenfalls – so viel müssen die aufgeputschten Käufer von heute befürchten – werden seine Werke am Markt nur noch ein Bruchteil vom gestrigen Preis wert sein.