Eine Großtat ist vollbracht! Der Bestandskatalog der im Besitz der Nationalgalerie Berlin befindlichen Gemälde des 19. Jahrhunderts ist veröffentlicht: auf Papier und online
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26.06.2017
An die zweitausend Abbildungen und ebenso viele Bildbeschreibungen machen diesen in zwei Bänden präsentierten „Bilder-Atlas der Malerei des 19. Jahrhunderts“ zu einem Nachschlagewerk, das vor allem durch „Sichtbarmachung“ für Kunstliebhaber, Händler, Sammler und Forscher gute Dienste leisten will. Die Siemens Kunststiftung hat das Unternehmen großzügig unterstützt.
Die Handhabung der beiden Bände bereitet allerdings Schwierigkeiten, sie ist für Personen von Normalstatur und Körperkräften kaum zu bewältigen. Bei einer Blattgröße von H 31,5 cm x B 23,5 cm, bei schwerem, gut satiniertem Kunstdruckpapier und einem Umfang von jeweils etwa 500 Seiten entstanden außergewöhnlich großformatige und schwergewichtige Bildbände: Ich bin nicht im Stande, einen davon mit einer Hand zu halten. Für Bücherregale stehen ebenfalls Probleme an.
Über das Informative hinaus ermöglichen die beiden Bildbände reizvolle Einblicke in die im Jahr 1861 mit einer Schenkung des Bankiers Joachim Heinrich Wilhelm Wagener, 1782-1861, beginnende Geschichte der Malerei-Sammlung der Nationalgalerie. Wagener war seit 1820 Alleininhaber des Berliner Handels- und Speditionshauses Anhalt & Wagener mit Sitz in der zum Schloss führenden Brüderstraße. Er war ein erfolgreicher Bankier und ein engagierter, kenntnisreicher Sammler von Gemälden „lebender Künstler“. Wagener hatte im Lauf der Jahre mit „einem Kostenaufwand von 100.000 Thlrn.“ eine Sammlung zusammengetragen, für die er sich kunstgeschichtliches Interesse erhoffte, da sie die aktuelle Kunstentwicklung an Bildern bedeutender Maler anschaulich machte. Er bestimmte testamentarisch, dass die Sammlung nach seinem Tod als Legat an den preußischen Staat gehen sollte.
Durch Erlass vom 27. Februar 1861 nahm Wilhelm I. die Schenkung an. Am Geburtstag des Königs, dem 22. März 1861, wurde die Wagenersche und Nationalgalerie im damaligen Gebäude der Akademie der Künste Unter den Linden eröffnet. Sie wurde zur Gründungs-Sammlung, mit der sich die Nationalgalerie Berlin konstituierte.
Der Nationalgalerie-Bestandskatalog auf Papier ist alphabetisch geordnet, er hat Text- (links) und Bildseiten (rechts). Auf der Textseite stehen die Künstlernamen jeweils mit Geburts-, Todesjahr und Ort, auf der Bildseite sieht man weiträumig platzierte Farbabbildungen der chronologisch geordneten Werke der Künstler, jeweils mit knapper Bildlegende und einprägsamer Beschreibung. Der Umfang der Nationalgalerie-Sammlung an Malerwerken des 19. Jahrhunderts bringt es mit sich, dass die Qualität der Bildbeschreibungen nur stichprobenartig ermittelt werden kann.
Eine Stichprobe beim Berliner Maler Franz Krüger, dessen „Paradebildern“ ich meine Dissertation widmete, brachte ein irritierendes Ergebnis. Die von Birgit Verwiebe verfasste Beschreibung des von Franz Krüger auf der Berliner Akademie Ausstellung von 1830 vorgestellten Gemäldes „Eine Parade“ beginnt mit einer falschen Bezeichnung des Gemälde-Titels: Verwiebe nennt das Bild „Parade auf dem Opernplatz in Berlin“, ein Titel, der Irritationen beruft und Verwechslungen mit später entstandenen „Paradebildern“ Franz Krügers nahelegt. Im Folgetext der Beschreibung des Gemäldes „Eine Parade“ spricht Verwiebe von einem Bildaufbau, der: „den konventionellen Kompositionshierarchien des Ereignisbildes“ widerspricht.
Der Begriff des „Ereignisbildes“, der von Werner Hager im Jahr 1939 als: „Beitrag zur Typologie des weltlichen Geschichtsbildes “ in die Kunstgeschichtsschreibung eingeführt wurde, ist hier fehl am Platz. „Konventionelle Kompositionshierarchien des Ereignisbildes“ können sich eigentlich erst nach dieser Begriffsbildung Hagers entwickelt haben. In seinem Beitrag zur Typologie des weltlichen Geschichtsbildes analysierte Werner Hager die Kunstentwicklung der Umbruchzeit von der Hofkunst (Historienmalerei) die dem Herrscherlob am Beispiel großer historischer Vorbilder diente, zu realitätsorientierten Darstellungen bedeutender Ereignisse der miterlebten Zeit. Hager gab ihnen den Namen „Weltliche Ereignisbilder“. Franz Krügers Bild „Eine Parade“ war ein klassischer Hofkunst-Auftrag. Auftraggeber war Zar Nikolaus I. Von ihm und dem Zarenhof in St. Petersburg erhoffte Krüger sich für die Folgezeit eine zahlungskräftige Klientel.
Diese Voraussetzungen machen Krügers Entschluss, sein Bild „Eine Parade“ ohne Rücksicht auf Hofmalerei-Traditionen und herrscherliche Bilderwartungen für einen Großauftritt der Berliner Bürgerschaft zu nutzen, zu einer Tat von außergewöhnlichem Rang. Das Bild nahm künftige Entwicklungen vorweg, es gab der sich eben formierenden sozialen Gruppierung der „Bürger“ Auftrieb und Selbstbewusstsein. Das sollte in der Bildbeschreibung zum Ausdruck kommen.
Auch auf SMB-digital.de, der Onlinedatenbank der Staatlichen Museen zu Berlin, steht die im Besitz der Nationalgalerie Berlin befindliche Sammlung der Malerei des 19. Jahrhunderts zur Verfügung. In der digitalen Fassung wurde das Bestandsverzeichnis der Gemälde des 19. Jahrhunderts um sämtliche Provenienzen, Literatur und Ausstellungsnachweise ergänzt. Die Bilder sind hochauflösend und detailgenau vergrößerbar. Die Online-Datenbank wird ständig aktualisiert, sodass der Forschung hier ein Nachschlagwerk zur Verfügung steht, das tatsächlich alle jeweils vorhandenen Daten verzeichnet.
Die Online-Datenbank der Staatlichen Museen Berlin fordert vom Nutzer ein gewisses Know-how. Schrittweises Vorgehen ist empfehlenswert: Öffnen der Internetseite www.smb-digital.de. Gehen zu: „Erweiterte Suche“. Dann im Feld: „Volltext-Suche“ „Nationalgalerie“ eingeben, eingrenzen auf „1800-1900“. Dann auf „Suche“ tippen und den gewünschten Künstlernamen eingeben. Unbedingt auf „Hinweise“ achten!
Herausgegeben von Angelika Wesenberg, Birgit Verwiebe und Regina Freyberger. Imhof-Verlag, Hardcover, 24 x 31,5 cm, 2 Bände, zusammen 944 Seiten, 1750 Abbildungen. Einführungspreis: bis zum 31. Dezember 2017 im Museum: 99 Euro, danach 128 Euro, im Buchhandel: 148 Euro, danach 199 Euro.