Rudolf Schlichter zog Inspiration aus seinen diversen sexuellen Deviationen. Liiert war er mit der Schauspielerin Elfriede Elisabeth „Speedy“ Koehler – wer die kühle Blonde mit dem festen Blick ist, die ein Aquarell bei Ketterer (München) zeigt, weiß niemand.
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24.05.2016
Ich sah im Geiste ganze Reihen junger Mädchen mit zierlichen Knopfstiefeln an den Füßen unter dem Kommando einer harten Stimme bis zur Erschöpfung turnen“, schrieb Rudolf Schlichter (1890–1955) in Das widerspenstige Fleisch, Teil 1 seiner Autobiografie von 1932/33. Und weiter: „Ein unstillbarer Durst nach der letzten nie erreichbaren Auslösung packte mich in solchen Augenblicken, ein Schwindel erfasste mein Gehirn, mit gurgelnden nicht mehr menschlichen Brunstschreien, mit tierischem Geheul rannte ich umher.“ „Okay“, würde ein fortschrittlicher Psychotherapeut von heute wohl sagen: „Aber solange Beruf und Partnerschaft nicht darunter zu leiden haben – so what?“ Dass Schlichter aus seinen diversen sexuellen Deviationen – Fetischismus, Masochismus, Voyeurismus – Inspiration zog, ist unbestritten. Ebenso, dass er ab 1927 mit der Schauspielerin Elfriede Elisabeth Koehler, genannt „Speedy“, liiert war – wenn auch in einem höchst unbürgerlichen Rahmen. Und fest steht am Ende zudem: Mit Sensibilität und Mut zur schonungslosen Offenheit – sich selbst und seiner Umwelt gegenüber – wurde der vielseitig begabte Künstler zu einem Seismografen in bewegten Zeiten.
Ketterer (München) versteigert am 9. Juni in der Auktion mit Klassischer Moderne bei 4000 Euro eine 1931 entstandene Bleistiftzeichnung von „Speedy“. Und das 61,3 mal 49,5 Zentimeter große, signierte und 1953 datierte Aquarell einer aparten Anonyma (Abb.) – das Porträt der kühlen Blonden mit dem festen Blick soll mindestens 6000 Euro bringen.
Ketterer, München,
Auktion 9.Juni
Den Vorbericht zu dieser Auktion finden Sie in KUNST UND AUKTIONEN Nr. 9/2016