Früher versteigerten hier Künstler spontan ihre Werke am Strand. Heute ist Ahrenshoop ein fester Termin im Kunstsommer
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18.07.2016
Baden verboten? Oder was kann eine gelbe Flagge am Ostseestrand sonst noch bedeuten, wenn sie signalhaft munter im Wind weht? Das Flaggenalphabet der Seefahrt hilft beim Lösen des Rätsels weiter, gelbe Flagge heißt: „An Bord alles gesund, ich bitte um freie Verkehrserlaubnis“. Wie bitte?
Mit dieser charmant mehrdeutigen Bildgeschichte, gemalt vom deutschen Pop-Art-Künstler Jim Avignon, eröffnet die
42. Auktion in Ahrenshoop. Die erste Losnummer soll nicht nur diejenigen locken, die bereits Kunstsammler sind, sondern Herz und Portemonnaie auch bei denen öffnen, die noch keine Erfahrung im Kunstkauf und mit Auktionen haben.
Die ersten kleinen Versteigerungen fanden auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst schon zu DDR-Zeiten statt. Jeweils im Hochsommer und direkt am Strand, aber nicht mit einem Auktionator am Pult, der den Hammer schwingt. Urlaubende Künstler boten in spontanen kleinen Präsentationen ihre Werke an, meist Grafiken, die sie während ihres Aufenthaltes geschaffen hatten. Ahrenshoop hat für Künstler Tradition. Ende des 19. Jahrhunderts gründeten hier einige Maler wie Fritz Grebe oder Elisabeth von Eicken, beeindruckt von der Schönheit der Naturlandschaft, eine Künstlerkolonie. Sie zogen andere wie Marianne von Werefkin oder Alexej von Jawlensky als Besucher nach, die hier ihre Ferien verbrachten.
Verkauft wurde in dieser Zeit allerdings noch nicht. Erst in den 1970er-Jahren wechselten kleine Summen wie 5 Ostmark den Besitzer, der dafür ein Bild direkt vom Künstler erhielt und danach weiter am Strand träumen konnte. Dann begann die Professionalisierung. Jede Auktion wird mit einem Künstlerplakat angekündigt, das dieses Jahr ebenfalls von Jim Avignon ist und die Besucherscharen anlocken soll. Es ist ein poppig bärtiger und natürlich pfeiferauchender Seemann, der durch ein Buddelschiff hindurch in die Ferne schaut.
Die Vorbesichtigung in Ahrenshoop ist schon für sich ein Ereignis. Am Abend vor der Auktion gibt es einen geselligen Empfang, der auf die Versteigerung einstimmt. Und auch während der Auktionspausen am nächsten Tag wird angenehm kühler Weißwein gereicht. Urlaub, Strand, Sonne und Kunst verschmelzen, jedenfalls wenn der Wettergott es will. Aber vor dem Genuss steht die Mühsal der Planung. Vorher anmelden, das ist in Ahrenshoop die Devise. Nur so sind Sitzplatz, Bieternummer und eine Einladung zum Empfang gesichert. In der Ahrenshooper Strandhalle werden die über 400 Besucher zu ihren Plätzen geleitet, und dann geht es los.
Die meisten Werke liegen deutlich unter der 10.000-Euro-Marke, der größte Teil bewegt sich im mittleren vierstelligen Bereich. Und immer wieder sind Trouvaillen im Angebot. Auch für diejenigen, die nicht den großen Namen suchen, sondern das besondere Werk. Dann sind manchmal bis zu sieben Telefone zugeschaltet, die Apparate werden als Leihgaben bereitgestellt, um die Nachfrage zu bewältigen. Aber das ist die Ausnahme. Vielleicht wird das beim Aufruf der Losnummer 23 passieren, einer frühen Bleistiftzeichnung von Lyonel Feininger. Entstanden am 30. August 1901, studiert er mit zarten Strichen und vorsichtigen Flächen den „Südstrand Göhren“, taxiert wird die Arbeit auf 4000 Euro.
Einem Souvenirjäger könnte ebenfalls das expressiv anmutende Ölbild „Inselblick“ von Elisabeth Büchsel gefallen, das um 1913 entstand und gerahmt für ebenfalls 4000 Euro einen neuen Liebhaber finden soll. Das romantisierende „Mondlicht über Stralsund“ von Louis Douzette dürfte alle faszinieren, die sich für raffinierte Licht- und Schattenkompositionen begeistern können. Es ist eines der Hauptwerke von Douzette, erwartet werden dafür etwa 12.000 Euro. Die um 1900 entstandene somnambule „Hafeneinfahrt bei Mondschein“ (Taxe 4000 Euro) des oft als „Barther Mondscheinmaler“ titulierten deutschen Malers wird sicher ebenso schnell seine Bieter finden.
Für die nicht romantisch, sondern eher revolutionär gestimmten Käufer hält das Auktionshaus die 1919 entstandene rote Kreidezeichnung „Ekstatischer Tanz“ von Karl Peter Röhl bereit. Das Haus erwartet dafür etwa 1500 Euro. Fast mediterran wirkt das Gemälde „Terrassen“ des expressionistischen Malers und Grafikers Hans Brass (1885–1959), das er im Jahr 1952 schuf. Dabei handelt es sich um ein seltenes Spätwerk des Künstlers. Er hat die Landschaft in geometrische Formen gebracht. Die einzigartige Arbeit ist auf 6500 bis 8500 Euro geschätzt. In Ahrenshoop ist Brass kein Unbekannter, er lebte hier eine Zeit lang, bis er wieder zu seinem eigentlichen Wohnort Berlin zurückkehrte. Daher taucht der malerische Ort Ahrenshoop auch in einigen seiner Werke auf.
Auch mit der 42. Auktion präsentiert Ahrenshoop also wieder ein erfreulich breites Spektrum an Losnummern. Es reicht von abstrakten Arbeiten, wie dem Bild „Meeresgrund I“ von Wolfgang Frankenstein (Taxe 3000 Euro), über traditionelle Gemälde, wie etwa die weidenden Kühe und Schafe von Oskar Frenzel (4000 Euro), bis hin zu Moritz Götze, der sich mit den Ikonen der DDR-Kunst auseinandersetzt (2500 Euro). Und wer auf Berge und Täler in der Kunst verzichten kann, der hat hier im Bereich der Landschaftsdarstellungen sein Eldorado gefunden.
Bekanntlich ist das Wetter im Norden immer gut, nur stimmt manchmal die Kleidung nicht. Für diesen Fall sei noch das Ahrenshooper Kunstmuseum und der Kunstkaten empfohlen, um mehr über die Künstlerkolonie und die Kulturlandschaft zu erfahren. Und danach lockt wieder der Strand.
Ahrenshooper Auktionshaus