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Die wunderbare Menagerie des Alain Delon wird versteigert

Internationale Sammler reißen sich um die Tiere von Rembrandt Bugatti. Der Bildhauer mit dem ungewöhnlichen Namen zählt zu den bedeutendsten Künstlern der Moderne – am 22. November kommen bei Christie’s in Paris zwölf Bugatti-Skulpturen aus der Sammlung des französischen Filmstars unter den Hammer. 

Von Lisa Zeitz
15.11.2016

Alain Delon zählt zu den Menschen, die im Leben nichts ausließen – nichts Dunkles, nichts Glanzvolles. Dabei blieb er immer der gefeierte Schauspieler. Dass Delon im Alter eine innige Seelenverbundenheit mit Tieren empfand, wissen nur die wenigsten. „Tiere sind wie Menschen ohne Stimme. Sie lieben Dich. Egal, wer du bist oder was Du hast“, soll er einmal während eines Interviews gesagt haben. Im Lauf der Jahre hat er eine bemerkenswerte Sammlung an Tierplastiken des italienischen Bildhauers Rembrandt Bugatti zusammengetragen. Von einem Großteil trennt er sich nun, im hundertsten Todesjahr des Künstlers. Zwölf der insgesamt 17 Lose stammen aus der Kollektion von Delon, darunter ein majestätisches Leopardenpaar mit einem Schätzwert von 500.000 bis 700.000 Euro. 

Doch wer war eigentlich Rembrandt Bugatti, der dem deutschen Publikum erstmals 2014 in einer großen Ausstellung in der Alten Nationalgalerie begegnete?

Ein schlaksiger junger Mann in Anzug, Fliege und Hut steht auf dem Pariser Gemüsemarkt. „Sechs Köpfe Salat? Schon wieder?“ fragt die Marktfrau mit zusammengekniffenen Augen. Rembrandt Bugatti nickt, packt die Salate in seinen Korb und macht sich auf den Weg in sein Atelier. Es ist noch früher Morgen, die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Er steigt die schmale Treppenstiege hinauf und schließt die Tür auf. Zaghafte Schritte trappeln ihm entgegen über den Holzboden, zwei glänzende Augenpaare schauen ihn an. Was machen zwei senegalesische Antilopen im Juli 1908 in einem Pariser Künstleratelier?
Die Antilopen sind seine Modelle, und der Bildhauer hat vorzügliche Verbindungen zum Zoo in Antwerpen: es handelt sich um Leihgaben. Sie wohnen so lange bei ihm, bis er das lebensgroße Figurenpaar aus Plastilin vollendet hat, an dem er derzeit arbeitet – dann kommen die Antilopen wieder in den Zoo, und das Modell wird zur Gießerei transportiert, um nach dem Prinzip des Wachsausschmelzverfahrens gegossen zu werden. Modelle in Plastilin, dieser geschmeidigen Mischung aus Ton, Wachs und Ölen, die Bugatti für seine Arbeit so schätzt, existieren gar nicht mehr, wohl aber einige Gipse, Marmorskulpturen und natürlich die Bronzeplastiken, die in ihrer Patina von schokoladenbraun bis zu dunklen Grün- oder Rosatönen reichen.  Rund 300 Skulpturen schuf er während seiner kurzen Lebenszeit.

In Paris wurde die Moderne geboren, hier tummelten sich zu dieser Zeit die ungefähr gleichaltrigen Künstler der Avantgarde, Picasso, Braque, Modigliani und viele andere, aber Bugatti zog es in den Zoo. Dort arbeitete er meistens an kleineren Formaten direkt im Freien. Sowohl in Paris als auch in Antwerpen hatte er auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten Zutritt und durfte Gehege betreten, die andere Besucher nur von außen betrachteten. Nicht nur die Antilopen lagen ihm am Herzen, auch die anderen Tiere, die den Antwerpener Zoo bevölkerten. Der Bildhauer liebt die Flamingos, Ameisenbären und Panther, aber auch die einheimischen Kreaturen wie Esel und Störche. Sie alle sind schließlich der Grund dafür, dass er der Künstlermetropole Paris den Rücken kehrt und 1906 nach Antwerpen zieht. Es ist der einzige Grund – nur so hält er es in seinem muffigen Pensionszimmer aus. Unter den Menschen fühlt sich Bugatti oft wie in einer „Wüste zwischen Wilden“. Der Zoo ist sein Trost. Gegründet im Jahr 1843, ist der Antwerpener Zoo um die Jahrhundertwende der größte Europas. In keiner anderen Metropole gibt es mehr exotische Tiere zu sehen als hier, denn aus den belgischen Kolonien in Afrika kommt ständig Nachschub. Nur ein Bruchteil der vielen Tiere, die in der Wildnis gefangen werden, überlebt die Strapazen des Transports. Sind sie einmal im Zoo angekommen, bemüht man sich aber um eine artgerechte Haltung. Ob die Giraffen wohl wirklich „heimatliche Gefühle“ bekamen, als ihnen ein architektonisches Meisterwerk im maurischen Stil errichtet wurde? Bugatti ist von den Formen der exotischen Tiere überwältigt – und er ist der erste europäische Bildhauer überhaupt, der Tiere wie Ameisenbären und Marabus darstellt. „Er geht zu den Tieren, weil ihm die Menschen einen solchen Formenreichtum schlicht nicht bieten können.“ sagt Philipp Demandt, der 2014 zusammen mit Anke Daemgen die erste große Museumsausstellung in der Alten Nationalgalerie kuratierte. „Hier kann Bugatti experimentieren und sein Talent voll ausleben. Was in den Käfigen der Zoos von Paris oder Antwerpen sitzt, das verheißt ihm sozusagen Befreiung von Traditionslast und Geschichte.“

Zu seiner eigenen Zeit war der Außenseiter Rembrandt Bugatti  durchaus bekannt und auch am Markt zeitweise erfolgreich. Doch dann wurde er von der Kunstgeschichte vergessen. Zu wenig passt er in die gängige Entwicklungsgeschichte der Skulptur, die Bögen von Rodin bis Brancusi spannt und von Maillol bis Lipchitz. Der Kunstmarkt dagegen hat ihn schon lange wiederentdeckt: Alain Delon ist sein prominentester Sammler, und auf Auktionen erzielen seine Bronzen regelmäßig Millionenpreise. Der Londoner Sammler und Kunsthändler Edward Horswell und die Pariser Autorin des Werkverzeichnisses, Véronique Fromanger haben immer wieder kleinere Ausstellungen organisiert.

Rembrandt Bugatti wurde 1884 in Mailand als drittes Kind von Carlo und Teresa Bugatti geboren. Schon sein Vorname – wer nennt sein Kind schon Rembrandt? – weist darauf hin, dass seine Familie so kunstsinnig wie unkonventionell war. Der Großvater war Bildhauer und spezialisierte sich auf prächtige Kamine, die er in Mailänder Villen einbaute. Der Vater, Carlo Bugatti, war ein erfindungsreicher Designer, dessen Möbel und Interieurs eine unbändige Phantasie verraten: orientalisch inspiriert, aus Materialien wie Ebenholz und Ziegenleder, wirken sie heute noch, als entstammen sie einer Welt irgendwo zwischen Tausendundeiner Nacht und James Bond. Daneben gestaltete Carlo Bugatti Silberwaren, Musikinstrumente und Rennräder und entwarf seine eigene, exzentrische Kleidung. Im intellektuellen Haushalt der Bugattis gingen Künstler wie der Bildhauer Paul Troubetzkoy und Komponisten wie Giacomo Puccini ein und aus. Von seinem Studium an der Akademie der Brera kannte Carlo den Tiroler Maler Giovanni Segantini, mit dem ihn bald mehr als nur Freundschaft verband, denn Segantini verband sich mit Carlos Schwester und war somit Rembrandts Onkel – und ein künstlerisch prägender Einfluss auf den Jungen.

So herausragend die Kreativität der Bugattis war, so kümmerlich war ihr Geschäftssinn. Der Perfektionismus, den Carlo bei den Materialien seiner Möbel anstrebte, führte manchmal sogar dazu, dass er bei einem Stück draufzahlte. „Liefen die Geschäfte gut,“ berichtet ein Zeitgenosse, „wurde gefeiert. Liefen sie schlecht, wurde monatelang nur von Suppe gelebt.“ Schulden trieben die Bugattis zwischenzeitlich nach Paris. Den sechsjährigen Rembrandt ließen sie zunächst bei Verwandten in Mailand und holten ihn später nach, bald ging es dann wieder nach Italien, und 1903 wieder nach Paris.
Das kreative Umfeld und die Betätigung in der väterlichen Werkstatt wirkte sich früh auf die Kinder aus, besonders auf die beiden Söhne. Der ältere, mit großem Formbewusstsein und Talent für Motoren ausgestattete Ettore schlug die Ingenieurslaufbahn ein – und sollte einige Jahre später zu den berühmtesten Automobilkonstrukteuren der Welt gehören. Den jüngeren Rembrandt dagegen zog es früh zur Bildhauerei. Eines Tages, als er gerade erst 15 Jahre alt war, so will es die Familienlegende, entdeckte Carlo unter einem Tuch eine erstaunliche Skulpturengruppe von ihm, die einen Bauer mit drei Kühen darstellt. Von da an war seine Berufung besiegelt. Eine klassisch-akademische Ausbildung erhielt Rembrandt nicht, aber er hat sich in Mailand sowie in Paris wohl oft im Atelier von Troubetzkoy aufgehalten, der ebenfalls ein großer Tierfreund war. Dieser kannte Auguste Rodin und Medardo Rosso und feierte mit seinen skizzenhaften, quasi impressionistischen Gesellschaftsporträts der Belle Époque Erfolge – zum Beispiel zählte Tolstoi zu Troubetzkoys Fans. Die frühesten erhalten Kleinbronzen von Rembrandt Bugatti bilden Kühe ab, die wie spontane Momentaufnahmen wirken, und dabei eine Lockerheit in der Oberfläche aufweisen, die an den Farbauftrag der Impressionisten erinnert.

Der Künstler war noch ein Teenager, als er seine ersten Menschenporträts schuf, von einem Tenor, einem Professor, einem Industriellen. Aber auch Kamele und Löwen modellierte er spätestens mit neunzehn Jahren. Er studierte sie im Jardin des Plantes in Paris. Das Individuelle eines Tiers interessierte Bugatti stets mehr als das Typische. Zu seinen Frühwerken zählt der dressierte Elefant, der sich auf die Hinterläufe stellt und den Rüssel in die Höhe streckt. Vielleicht ist die kleine Figur als Petschaft für ein Siegel entstanden, aber sie gelangte – Jahre nach dem Tod des Künstlers – auf anderem Weg zu Berühmtheit: als Kühlerfigur des Bugatti Royale.
Schon 1901 präsentierte Rembrandt seine erste Skulptur in Mailand, 1902 stellte er drei Werke auf der Quadriennale in Turin aus, 1903 war er zum ersten Mal auf der Biennale von Venedig vertreten. Besonders weitreichende Folgen für seine Karriere hatte zu dieser Zeit der Kontakt zum Gründer einer besonders qualitätvollen Gießerei in Paris. Adrien-Aurélien Hébrard war auf das Wachsausschmelzverfahren spezialisiert, und er besaß neben seiner Gießerei auch eine Galerie. Obwohl ihm Rembrandt Bugatti aufgrund seines Vornamens zuerst „nach zu viel Ruhm und zu viel Kunst“ klang, ließ er sich von seinen Werken überzeugen und handelte einen Exklusiv-Vertrag aus. Hébrard wurde zum Hauptabnehmer für seine Skulpturen, bestimmte die Auflagenhöhe, limitierte als einer der Ersten überhaupt die verschiedenen Güsse und stellte Bugatti seit 1904 regelmäßig in Paris aus. Der Künstler bekam für seine Modelle pro Tier je nach Größe 80 bis 200 Francs, wobei die monatlichen Zahlungen am Jahresende mit der tatsächlichen Produktion verrechnet wurden. Ein regelmäßiges, wenn auch überschaubares Einkommen für einen so jungen Künstler war eine Seltenheit.

Um die Anatomie der Tiere zu durchdringen, hatten Animaliers – Bildhauer, die auf Tiere spezialisiert sind – ihre Motive meist seziert. Zum Beispiel Antoine Barye, der im 19. Jahrundert auf Kämpfe zwischen Löwen, Schlangen und Alligatoren spezialisiert war und die Kadaver von Pferden und anderen Tieren oft zusammen mit seinem Freund Eugene Delacroix studierte. Nicht so Bugatti. Er fütterte die Elefanten lieber mit Brot, sprach mit Flamingos oder nahm ein Löwenbaby auf den Arm. Dabei beobachtete er die Tiere oft wochenlang, bevor er sie modellierte. Seinem Blick entging kein Detail. So hat der den Körperbau und die Wirbel ihres Fells am lebenden Tier studiert, und zum Beispiel das Bein der verletzten Antilope mit verkümmertem Muskel dargestellt, woran man sieht, dass sie schon eine ganze Weile nicht mehr auftreten konnte.

Dem sensiblen Einzelgänger Rembrandt Bugatti ging es schon vor dem Ersten Weltkrieg nicht gut, weder gesundheitlich noch finanziell. Der Kriegsausbruch bringt die radikale Verschlechterung. Der Kunstmarkt bricht ein. Die Gießerei Hébrard gibt auf. Im Oktober 1914 besetzen die Deutschen Antwerpen, der Zoo wird geschlossen und zum belgisch-französischen Lazarett umfunktioniert. Da es an Futter und Betreuung mangelt, müssen viele Tiere getötet werden – Tiere, deren Bugattis ganze Zuneigung und Bewunderung galt. Der junge Mann meldet sich beim belgischen Roten Kreuz und kommt in direkten Kontakt mit den Grausamkeiten des Krieges, den Verstümmelungen und dem Sterben junger Männer. Er selbst leidet wohl an einer Rippenfellentzündung und Tuberkulose und reist schließlich nach Mailand, wo er seine Familie trifft und ein ganzes Jahr bleibt. Freunden und Verwandten fällt in diesen schrecklichen Kriegsmonaten auf, dass Rembrandt depressiv war. Ein wohlmeinender Aristokrat beauftragt ihn mit einer Christusfigur am Kreuz. Außerdem modelliert Bugatti einen Tiger, der eine Schlange zertritt: Die Schlange ist seit Jahrhunderten ein Symbol des Bösen, der Kampf mit ihr ein Symbol für das menschliche Streben, das Böse zu besiegen: gewiss also eine Anspielung auf den Krieg. Doch hat Rembrandt Bugatti auch hier wieder realistische Beobachtungen eingebracht. Der Tiger wirkt neugierig verspielt, die schmächtige Schlange hat nichts Gefährliches an sich. Kein Vergleich zu dem goldschimmernden Mosaik am Eingang des Antwerpener Zoos, auf dem ein brüllender Tiger mit imposantem Gebiss eine giftspeihende Schlange in den Fängen hat. Das Motiv hat Bugatti wohl hundertmal gesehen, wenn er morgens den Zoo betrat. Bei ihm ist es jedoch nicht der Kampf zweier Giganten, sondern die tragische Begegnung eines starken und eines schwachen Tiers, eine Unbarmherzigkeit, wie es sie sonst in seinem Oeuvre nicht gibt. Im Dezember 1915 reist er nach Paris, arbeitet wohl an diesen letzten Figuren, Schlange, Tiger und Kruzifix. Doch die Arbeit ist ihm kein Trost. Am 8. Januar 1916 kauft er Blumen, zieht seinen besten Anzug an, dreht den Gashahn auf und nimmt sich das Leben – auch er ein Opfer des Ersten Weltkriegs.

Gerade einmal fünfzehn Jahre dauerte Bugattis Karriere. Vor ihm dominierte in der Tierdarstellung meist Pathos – nach ihm, im Art Déco, war das Tier oft Ornament. „Er stilisiert, aber er strebt nicht nach Abstraktion,“ sagt Philipp Demandt. Wenn man die frühesten Werke betrachtet, zum Beispiel die Kühe, dann ist der Impressionismus noch zu spüren, das tastend und knetend die Figur Erschaffende, zusammengesetzt aus lauter kleinen Klümpchen Ton, ein bisschen wie im Pointilismus. Man meint, im Skizzenhaften den Einfluss von Medardo Rosso zu erkennen. Sein “Akt mit Katze” dagegen ist noch mehr ein elegantes Produkt der Belle Époque. Bei den Zootieren verfestigen sich die Figuren, hier findet Bugatti die Formen für seine Kunst, so wie Maillol sie im prallen Frauenakt findet und Lehmbruck im schlanken Jüngling. Als Randfigur der Kunstgeschichte stand Bugatti stets im Abseits des Kanons. Jetzt ist es an der Zeit, ihn als eine eigenwillige Stimme im großen Konzert der Moderne zu erkennen.

ABBILDUNGEN

© Christie’s Images Ltd, 2016

EINE VERSION DIESES BEITRAGES ERSCHIEN IN

WELTKUNST Nr. 84/2014

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