Im Herbst versteigert Sotheby’s in Genf Schmuck, der die Weltgeschichte von der Französischen Revolution bis 1918 schicksalhaft begleitet hat.
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08.08.2018
Die Hektik war groß in den Gemächern von Marie-Antoinette, überall Kisten, Koffer und Schatullen. Die Seidenkleider knisterten. Es roch nach Flucht. Die Königin ließ noch ein letztes Mal die schimmernden Perlentropfen in ihrer Hand hin- und herrollen. Dann reichte sie sie ihrer Hofdame, Madame Campan, die versuchte, den Überblick zu bewahren und die beiden Kinder zu beruhigen. Von ihr stammen die Erinnerungen an diesen Moment: Sorgfältig wickelte sie die Perlen in weiche Baumwolle und verpackte sie in einer Holzbox, in der bereits der diamantbesetzte Perlenanhänger lag. Schwermütig sah die Königin ihre Preziosen verschwinden, ausgeliefert den Schrecknissen jener aufgewühlten Märztage des Jahres 1791.
Wenige Jahre zuvor war Marie-Antoinette in die sogenannte Halsbandaffäre verwickelt gewesen. Der Skandal um ein sündhaft teures Schmuckstück, der in einem peinlichen Prozess mündete, hatte den Volkszorn so heftig gegen sie geschürt, dass Napoleon die Affäre später einen der Auslöser für die Revolution nannte. Nun aber blieb Marie-Antoinette nur noch die Hoffnung, dass ihre Juwelen sicher nach Brüssel in die Obhut ihrer Schwester gelangten, der kunstsinnigen Erzherzogin Marie Christine. So geschah es, der Juwelenschatz fand seinen Weg nach Wien, zu ihrem Neffen, Kaiser Franz I. von Österreich. 1793, neun Monate nach ihrem Gatten, König Louis XVI, wurde Marie-Antoinette durch die Guillotine hingerichtet. Ihr zehnjähriger Sohn starb in Gefangenschaft. Einzig ihre Tochter Marie-Thérèse de France (1778–1851) überlebte den Sturm und wurde nach drei Jahren Einzelhaft im Dezember 1795 nach Wien gebracht. Später „Madame Royale“ genannt, erhielt sie bei ihrer Ankunft den Schmuck der Mutter von ihrem Cousin, dem Kaiser, persönlich überreicht.
Nie zuvor war das Schicksal einer Königin so eng mit Juwelen verknüpft wie das der Marie-Antoinette. Dass ihre Schätze gerettet und durch ihr einziges überlebendes Kind und dessen Erben den Weg in unsere Zeit fanden, hat auch mit politischem Willen zu tun. Denn fortan sollten die Schmuckstücke aus den Fluchtschatullen den Grundstock für eine Kollektion royaler Juwelen bilden und in den dynastisch verbundenen Adelshäusern der Bourbonen, Habsburger und derer von Parma weiteren Zuwachs erfahren. „Jedes einzelne Juwel trägt einen Teil Weltgeschichte in sich“, sagt Daniela Mascetti, Juwelenspezialistin bei Sotheby’s. Das Auktionshaus wird die sensationellen Preziosen aus der Sammlung von König Charles X von Frankreich, den Erzherzögen von Österreich sowie den Herzögen von Parma im Herbst versteigern: mehr als 100 Lose aus zwei Jahrhunderten. So lange war auch Marie-Antoinettes Schmuck der Öffentlichkeit verborgen: Da ihre Tochter Madame Royale keine leiblichen Kinder hatte, vermachte sie einen Teil der Juwelen ihrer Nichte und Adoptivtochter, dem Bourbonen-Spross Louise (1819–1864), Herzogin von Parma und Enkelin König Charles X. Louise wiederum vererbte den Schmuck ihrem Sohn Robert I., dem letzten regierenden Herzog von Parma, der 1907 starb. Aus diesem Erbe stammen die meisten Juwelen dieser Sammlung.
Marie-Antoinettes besondere Passion galt den seltenen Naturperlen. Ein Beleg dafür sind die vielen Porträts, auf denen sie mit Perlenschmuck dargestellt ist. Der Diamantanhänger mit der Prachtperle von 2,6 Zentimetern, der die Spuren von Aristokratie und Revolution gleichermaßen trägt, ist auf ein bis zwei Millionen Dollar geschätzt. Weiteres Zeugnis für die Opulenz, mit der die französische Königin Hof hielt, sind ein Paar Naturperlentropfen (30 000–50 000 Dollar) sowie die 331 Naturperlen, die, später zu einer dreireihigen Halskette gefädelt, auf 200 000 bis 300 000 Dollar taxiert sind.
Allein 95 Hochkaräter mit royaler Geschichte stecken in einer Diamant-Parure der Herzogin Louise von Parma: Fünf Solitär-Diamanten sind aus Marie-Antoinettes Schatz, weitere Steine schmückten zuvor das Schwert des Herzogs von Berry, Sohn von Charles X und Vater von Louise, und ein birnenförmiger Diamant stammt aus der Sammlung der Erzherzogin Isabella von Österreich, Prinzessin von Croÿ. Schätzpreis des Geschmeides: 300 000 bis 500 000 Dollar. Je nach Geschmack und Moden fanden die Kostbarkeiten auch zu neuem Ausdruck. Bei den Habsburgern trug der Wiener Hofjuwelier Köchert ab 1814 wesentlich zur Gestaltung bei. Von ihm stammt das Design einer Diamant-Tiara, die nun bei 80 000 bis 120 000 Dollar aufgerufen wird. Kaiser Franz Joseph gab sie in Auftrag, um sie 1902 seiner Großnichte, der Erzherzogin Maria Anna von Österreich, zur Hochzeit mit Elias von Bourbon-Parma zu schenken. Reich bedacht wurde die Jungvermählte zudem von ihrer Mutter: mit einer Brosche aus einem 30,70-Karat-Saphir aus Ceylon, und zur Geburt ihrer beiden Söhne gab es den 6,89-karätigen Rubin aus Burma, der eine Diamantschleifen-Brosche ziert (Taxe 200 000–300 000 Dollar). Jetzt werden die Juwelen verstreut – und wer weiß? Vielleicht läuten sie als Geschenke anlässlich von Hochzeiten und Geburten neue Dynastien ein.
„Royal Jewels from the Bourbon Parma Family“,
12. November bei Sotheby’s in Genf.
Eine Auswahl der Juwelen wird am 18. September in München und am 21. September in Köln zu sehen sein
Weltkunst Nr. 146/2018