Auktionen

Wie findet man einen Leonardo, Monsieur Prate?

Nach ihrer Klassifizierung als nationales Kulturgut hatte der französische Staat 30 Monate Zeit, eine Zeichnung von Leonardo zu erwerben. Nun darf das Auktionshaus Tajan sie im Juni 2019 in Paris versteigern. An ihre spektakuläre Auffindung 2016 erinnert sich der Altmeisterexperte Thaddée Prate – sie war schon aufsehenerregend, bevor das Gemälde des „Salvator Mundi“ für 450 Millionen Dollar nach Abu Dhabi verkauft wurde. 

Von Thaddée Prate
10.12.2018

Wir haben jeden Tag Termine mit Sammlern. Oft kommen sie mit vermeintlich wichtigen Zeichnungen, aber es sind tatsächlich nur unbedeutende Radierungen. Ich habe also nicht viel erwartet, als ein Herr 14 Zeichnungen brachte, die in Passepartouts aus der Zeit um 1900 steckten. Sie waren unterschiedlicher Qualität, aber alle hatten ambitionierte Zuschreibungen. Die Tuschezeichnung mit dem heiligen Sebastian war auf Französisch beschriftet: „Michelange“. Ich fand sie interessant und behielt sie für weitere Recherchen. Der Besitzer, ein Arzt im Ruhestand, rechnete vielleicht mit ein paar tausend Euro für all seine Zeichnungen zusammen. Er hatte sie vor mehr als 40 Jahren von seinem Vater, einem Büchersammler, geschenkt bekommen.

Der Experte Patrick de Bayser sah sofort, dass die Zeichnung von einem Linkshänder stammte. „Leonardo!“, dachten wir, denn auch die Rückseite mit seitenverkehrter Schrift und wissenschaftlichen Skizzen sprach für ihn. Diese Entdeckung war so aufregend, dass ich, bis wir die Bestätigung dafür hatten, kaum noch schlafen konnte. Die Leonardo-Expertin Carmen Bambach, Kuratorin am Metropolitan Museum, war kurz darauf in Frankreich und erkannte die Zeichnung als Original des Künstlers an. Sie verglich sie mit anderen Zeichnungen des heiligen Sebastian, eine in Bayonne, eine in der Hamburger Kunsthalle, und datiert das Blatt um 1480.

Jetzt statteten wir dem Besitzer einen Besuch in seinem Haus außerhalb von Paris ab und nannten ihm den Wert: 15 Millionen Euro. Sie können sich vorstellen, wie überrascht er war! Tajan wird die Zeichnung für ihn verkaufen… Dieser Fund ist auf jeden Fall der Höhepunkt meiner Karriere! So etwas wird es nicht noch einmal geben.

Service

Eine Version dieses Beitrags erschien in

Weltkunst Nr. 126/2018

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