UPDATE: Der Mode-Unternehmer Thomas Rusche lässt seine Sammlung versteigern – der erste Teil mit zeitgenössischer Kunst hat bei Van Ham jetzt schon mehr als 2,5 Millionen Euro eingebracht
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24.04.2019
Die Nachricht schlug vor einigen Wochen wie ein Blitz ein. Thomas Rusche trennt sich von seinem Kunstbesitz: 225 holländische und flämische Gemälde des 17. Jahrhunderts, außerdem mehr als 4000 Werke heutiger Künstler. Sotheby’s ist mit den Altmeistern betraut, den zeitgenössischen Bestand übernimmt Van Ham in Köln, wo man durch die Achenbach-Liquidation Erfahrung mit solch einer Riesenaktion hat. Wer je erlebt hat, wie leidenschaftlich und eloquent Rusche am Stammsitz im westfälischen Oelde oder in seiner Berliner Wohnung durch die Sammlung führte, wie er auf öffentlichen Podien über sein Verhältnis zur Kunst sprach, kann diesen radikalen Schritt kaum begreifen. „Ja, das Herz blutet natürlich“, sagt Rusche am Telefon, aber mehr gibt er von seinem Befinden nicht preis. Stattdessen erläutert er in geschliffener Rhetorik die Entscheidung, die zum Verkauf geführt hat.
Das Mode-Unternehmen SØR, das Rusches Vater Egon in den Fünfzigern als eine Geschäftskette für Herrenmode aus eigener Produktion gründete, reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, als der Urgroßvater mit dem Textilhandel begann. „Er war mit Pferd und Wagen im Münsterland unterwegs und verkaufte Kleidung an Bauern und Adelige. Doch die gaben lieber alte Bilder, Möbel oder verzierte Herdplatten als Bargeld“, erzählt Rusche. So gelangten die ersten barocken Gemälde in Familienbesitz. Seit den Sechzigern baute Egon Rusche aus dieser Erbschaft eine Sammlung niederländischer Kunst des 17. Jahrhunderts auf, die sein Sohn dann erweiterte – bevor er sich fast ausschließlich der Gegenwartskunst widmete.
Der deutschen Textilbranche geht es nicht gut, darauf reagiert die Familienfirma SØR jetzt. „Wir müssen uns der digitalen Transformation stellen. Sie wird alle Bereiche unseres Unternehmens umfassen. Es ist die größte Herausforderung bislang in meinem jahrzehntelangen Managerleben. Sehr große Investitionen kommen auf uns zu“, erklärt Rusche und betont, dass ein Teil der Bilder ohnehin der Firma gehören. Zur Disposition stehen aber auch die privaten Werke. Der Modeverkauf bis hin zu jeder Filiale soll digital erschlossen werden; in dieses Projekt wird der gesamte Auktionserlös fließen.
Wie sich die Kunstflut auf den Markt auswirkt, ist eine andere Frage. Bei den Altmeistern wird ja allseits eine notorische Knappheit an qualitätvollem Nachschub beklagt, da ist solch ein Bestand an marktfrischen Bildern durchaus willkommen. Egon und Thomas Rusche hielten sich an die bürgerliche Kabinettmalerei des 17. Jahrhundert und an die Qualitäten weniger bekannter Meister. Die Genreszene „Junge Musiker mit einem tanzenden Zwerg“ von Jan Miense Molenaer ist so ein Bild: von pointiertem Realismus, witzig in der Erzählung und in einem fein austarierten Stil zwischen Feinmalerei und lockerem Pinselstrich. Auf 40 000 bis 60 000 Pfund ist das Gemälde geschätzt. Auch der „Junge Offizier“ von Willem Cornelisz. Duyster, taxiert auf 20 000 bis 30 000 Pfund, ist solch eine verkannte Kostbarkeit, ein in sich versunkener Jüngling, dem man in berührender Weise nahekommt.
In dieser Preisklasse bewegen sich die meisten der zwanzig Werke, die Sotheby’s am 8. Mai bei seiner „Old Masters“-Auktion in London zum Aufruf bringt. Das Kronjuwel der SØR-Rusche-Kollektion, ein Stillleben der neuerdings hochgeschätzten flämischen Malerin Michaelina Wautier, brachte das Auktionhaus schon im Januar in New York auf den Markt. Mühelos verdreifachte es die Taxe und erzielte mit Aufgeld 471 000 Dollar. Die übrigen Werke der Sammlung verteilt Sotheby’s auf drei Onlineauktionen im Mai, Juli und Oktober. Wer bereit ist, genau hinzuschauen, kann hier zauberhafte Bilder zu moderaten Taxen entdecken.
Van Ham bringt den – sehr viel größeren – zeitgenössischen Bestand ebenfalls in mehreren Tranchen unter den Hammer. Den Auftakt machen am 29. Mai etwa 150 Werke, Gesamttaxe: rund 1 Million. Auch hier zeigt sich Rusches Vorliebe für kleinformatige Bilder: „Je größer, desto teurer: Diese Bewertung wie in einer Fleischerei fand ich bei den Zeitgenossen immer absurd.“
Das Spitzenlos ist Neo Rauchs 35 cm hohes Bild „Pendel“, geschätzt auf 80 000 bis 120 000 Euro. George Condo ist mit einem witzig-surrealen Pseudoporträt dabei (30 000 bis 50 000 Euro), Norbert Tadeusz mit einer lasziv sich räkelnden Nackten (6000 bis 8000 Euro), während Daniel Richters Bild einer brennenden Mauer auf 7000 bis 9000 Euro angesetzt ist. David Schnell, dessen leuchtende Splitterlandschaft „Markt“ 20 000 bis 30 000 Euro bringen soll, gehört zu den Künstlern, die Rusche früh und intensiv gesammelt hat. Das gilt auch für Paule Hammer, Alicja Kwade, Stella Hamberg, Sven Kroner und viele andere.
Man wird in der unerschöpflichen Rusche-Kollektion viele bekannte Namen finden – Marlene Dumas, Norbert Bisky, Stephan Balkenhol, Leiko Ikemura, Martin Eder, Nobuyoshi Araki, Marcel van Eeden, um nur einige zu nennen. Doch hat sich der manische Sammler vor allem auf zahlreiche junge, unbekannte Künstler konzentriert. Sie zur Auktion zu bringen, ist nicht unproblematisch, da die Galeriepreise deutlich unterboten werden. „Gerade bei den jungen Künstlern müssen wir sehr sensibel sein“, sagt Van-Ham-Chef Markus Eisenbeis. Nach dem ersten Angebot im Mai soll die Riesensammlung in mehreren thematisch kuratierten Auktionen präsentiert werden. Eisenbeis wie Rusche erhoffen sich, dass die unbekannteren Künstler vom inhaltlichen Kontext und der Nähe zu etablierten Größen profitieren. Ein Wagnis, denn gewiss ist nur eines: Zu niedrige Taxierung oder empfindliche Rückgänge können einer Künstlerkarriere spürbar schaden.
Sotheby’s, London
8. Mai
Van Ham, Köln
29. Mai