Die Eleganz der Pariser Kunstschreiner sorgt für hochpreisige Erlöse, aber der Markt für historische Möbel bleibt ein Vabanquespiel
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24.06.2019
Es sollte das größte Möbelereignis des Jahres werden. Pünktlich zum 300. Geburtstag von Thomas Chippendale, dem bedeutendsten englischen Möbelhersteller zwischen Rokoko und Klassizismus, hatte Christie’s mehr als ein Dutzend Meisterwerke des Londoner Cabinet Makers zusammengetragen. Mit dabei war die umwerfende Sir-Rowland-Winn-Kommode von 1766 / 69, die Christie’s bereits 1991 für fast eine Million Pfund verkauft hatte und die nun Erwartungen von 3 Millionen schürte. Und auch zwei Exemplare der frühklassizistischen Dundas-Sofas nach Entwürfen Robert Adams kamen im Juli 2018 zum Aufruf. Jedes dieser vergoldeten Prachtmöbel von 1765, die vor zehn Jahren je 2 Millionen Pfund kosteten, sollte nun zumindest den einstigen Einsatz einspielen.
Die Wahrheit über den Möbelmarkt zeigte sich im Auktionssaal. Die Topstücke verkauften sich nicht. Chippendale wird verehrt, gesammelt und gehandelt, aber nicht mehr in diesen Preisregionen. Eine reich intarsierte Ankleide-Kommode, die er fast identisch für sein berühmtestes Ausstattungswerk Harewood House gefertigt hatte, erzielte 350 000 Pfund (Taxe 300 000 Pfund). Ein edler, perfekt proportionierter Mahagoni-Bücherschrank blieb mit einem Zuschlag von 280 000 Pfund knapp unter der Taxe. Das sind hervorragende und mehr als respektable Ergebnisse. Aber sie verraten auch, dass im Moment die Preisspirale nicht ins Unendliche hochzuschrauben ist und Ergebnisse von gestern kein Maßstab für heute sind.
Das Versprechen der Investition, das im Bereich der zeitgenössischen Kunst zu Preishöhenflügen führt, spielt im Möbel-Bereich eine geringere Rolle. Hier bestimmen Connaisseure und Experten das Marktgeschehen. Möbelkunst oder nicht, so heißt die preisbestimmende Frage. Das zeigte vor gut einem Monat das prachtvolle Barock-Kabinett von Pierre Gole. Das Pariser Auktionshaus Pescheteau-Badin veräußerte es für 790 000 Euro. Auf 100 000 Euro taxiert und dem Pariser Hofebenisten nur zugeschrieben, bezeugte die feine Boulle-Marketerie und die tragende Konsole mit den vital geschnitzten Hermenpilastern die Authentizität des Möbels.
Das Kabinett gehört zu den teuersten Stücken der letzten 12 Monate und ist symptomatisch für einen nicht ganz neuen Trend. Die bedeutenden Pariser Ebenisten des Frühbarock und des 18. Jahrhunderts bleiben die Marktführer. Artcurial setzte vor fünf Monaten mit 350 000 Euro (Taxe 200 000 Euro) für eine virtuos geschnitzte Rokoko-Konsole von Sébastien-Antoine Slodtz den hauseigenen Rekord für ein Möbel vor 1900.
Die Eleganz, die Grandezza und außergewöhnliche Qualität solcher Möbel sorgt nicht nur in Frankreich für Topzuschläge. In der Schweiz erzielte Koller 350 000 Franken (Taxe 250 000 Franken) für einen 1715 entstandenen Schrank des Boulle-Konkurrenten Nicolas Sageot. In New York bei Sotheby’s kostete eine zweischübige Louis-XV-Kommode mit furiosen feuervergoldeten Bronzen, 1755 von Mathieu Criaerd gefertigt, 150 000 Dollar (Taxe 120 000 Dollar). Und Christie’s verbuchte am 5. Juli in London 180 000 Pfund für eine von vornehmer frühklassizistischer Zurückhaltung geprägte Kommode des Marie-Antoinette-Lieferanten Adam Weisweiler.
Im fünfstelligen Bereich ist die Dominanz des Französischen nicht viel geringer. Metz in Heidelberg erzielte im Mai letzten Jahres 34 000 Euro (Limit 4500 Euro) für eine Pariser schwarzgrundige, chinoise Lackkommode mit Bronzebeschlägen aus der Zeit um 1760 – eines seiner besten Ergebnisse der letzten Dekade.
Und auch Koller konnte Ende September mit einer künstlerisch herausragenden, frühbarocken, vergoldeten Konsole einen Spitzenpreis von 60 000 Franken einfahren. Bei Nagel animierte ein französischer Kunstkammerschrank von 1560 / 70 die Bieter. Die stark perspektivisch gearbeiteten Reliefs in den Türen dieses Nussbaum-Möbels lenken die Augen in einen scheinbar meterlangen Laubengang. Das war einem Interessenten Ende Februar 17 000 Euro wert (Taxe 8000 Euro).
Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Das Dorotheum in Wien erzielte eines seiner Toppreise mit einem venezianischen Möbel. Der ausladend geschwungene Nussbaum-Aufsatzsekretär des 18. Jahrhunderts mit gesprengtem Giebel und verspiegelten Türen brachte Ende Oktober 35 000 Euro.
Zurückhaltender war im Allgemeinen die Reaktion auf Sitzmöbel. Nur ein Paar Rokoko-Fauteuils aus der Werkstatt Nicolas Heurtauts bei Sotheby’s in New York schaffte einen sechsstelligen Betrag. Die raffiniert geschwungene Linienführung und die delikate Schnitzerei dieser Sessel trieb den Preis von 80 000 auf 100 000 Dollar.
Die Summe macht wieder einmal klar: Ein Stuhl ist in den Augen eines Sammlers vor allem ein Kunstwerk, in dem sich Fantasie und entwerferische Genialität kreuzen. Für einen kühnen Entwurf, wie jenen frühklassizistischen Armlehnstuhl von 1760 / 70, der in seiner archäologisch-ornamentalen Gestaltung vermutlich auf die Ausgrabungen in Pompeji reagierte, zahlen Sammler mitunter 36 000 Euro (Sotheby’s, Paris, 13. November, Taxe 12 000 Euro). Aber die Preisunterschiede können groß sein. Ein Paar provinzielle Louis-XV-Armlehnsessel „à la Reine“ nahm Mitte September bei Koller ein Käufer für weniger als 2000 Franken mit, für ein Paar avantgardistisch wirkende Directoire-Scherenstühle von 1795 nach Entwürfen von Percier & Fontain stieg bei Christie’s der Preis von 12 000 auf 14 000 Euro (Paris, 12. Dezember). Bei Neumeister in München ging im Juli ein russischer neogotischer Prunksessel von 1830 für 9500 Euro weg.
Wie sehr die Möbel der Gebrüder Thonet, die mit ihrer Bugholztechnik um 1850 ein Fenster in die Moderne aufstießen, in einem Zwiespalt zwischen Antiquität und Design verortet sind, hat Van Hams Versteigerung der Sammlung Thillmann im Januar offenbart (s. KUA 1, S. 10). Stühle wie das Modell Nr. 14 mit seinem kreisrunden Sitz oder die Nr. 51 von ca. 1870, die eine geometrisch-schwungvolle Konstruktion aus nur zwei langen Holzstäben vollführt, sind Meilensteine, aber auch die ersten Massenprodukte der Möbelgeschichte. Die Auktion war gleichermaßen von Zurückhaltung und Engagement geprägt. Mit 6800 Euro gehört ein seltenes Exemplar des Schaukelsofas mit Armlehnen zu den teuersten Verkäufen. Eine Ikone wie der Stuhl Nr. 1 brachte 3000 Euro, die Nr. 51 1400 Euro. Honoriert wurde oft ein linear-ornamentaler Gestaltungswille wie beim Tisch Nr. 1 von 1880. Das beschwingte, loopingreiche Belle-Epoque-Gestell brachte 4800 Euro.
Wer das Auktionsgeschehen verfolgt, wird bei vielen Häusern eine Verschlankung im Bereich der Möbel beobachten. Christie’s präsentiert ausgewählte, hochkarätige Möbel in seinen „Exceptionel Sales“. Alles andere landet in der Kategorie „Interior“. Lempertz hat sein Angebot zugunsten von Kunsthandwerk verschoben. Und auch Neumeister hat die Akquisemaßstäbe höher gehängt. Zu viel Mittelmaß weicht die Potenz einer Auktion auf.
Gerade hat das Münchner Traditionshaus für 35 000 Euro einen spätbarocken sächsischen Fassadenschrank an den Handel weitergereicht. Das deutsche Barockmöbel ist also nicht verloren, möchte man sagen. Auch wenn die D-Mark-Preise auf den Rechnungen der Einlieferer den momentanen Wert übersteigen. Für 16 000 Euro (Limit 8500 Euro) veräußerte Schloss Ahlden im September ein sogenanntes Hamburger Schapp, für 20 000 Euro wechselte bei Metz in Heidelberg Mitte Dezember ein Lübecker Dielenschrank von ca. 1700 mit üppig geschnitzten Fruchtbarkeitssymbolen den Besitzer. Einen Schlingerkurs fährt das klassizistische Möbel. Villa Grisebach, Berlin, schlug letzten Mai einen wenig aufregenden frühklassizistischen Spieltisch aus dem Besitz Katharina der Großen für 48 000 Euro zu, während bei Nagel in Stuttgart im Juli ein Empire-Mahagoni-Schrank mit attraktiven Bronzebeschlägen zur Taxe von 4000 Euro zurückging. Lempertz reichte vor einem Jahr in seiner Preußen-Auktion einen Salonstuhl von Karl Friedrich Schinkel von 1828 / 30 für 20 000 Euro weiter, während für den gleichen Preis im Dorotheum ein Wiener Lyra-Sekretär zu haben war.
Pracht scheint mehr gefragt zu sein als das noble Understatement des Klassizismus. Der Historismus hat wieder Charme. Die Welle ist in Deutschland angekommen. Schloss Ahlden hämmerte im Dezember mit einem Neorenaissance-Möbel-Ensemble aus dem Berliner Kaiser-Friedrich-Palais (aufgeteilt auf sechs Positionen) über 40 000 Euro zusammen. Sotheby’s zeigte, welche Potenz in Prunkmöbeln der letzten Mâitres de Menuiserie tatsächlich steckt: 415 000 Euro (Taxe 300 000 Euro) schlugen zu Buche, als das mit Jaspis und Lapizlazuli verzierte pseudobarocke Ebenholz-Aufsatzmöbel von Louis-Auguste Beurdeley aus dem Jahr 1867 am 13. November in Paris unter den Hammer kam. Der ungeschlagene König der Revivals aber ist seit 2008 François Linke (1855 – 1946) mit 1,6 Millionen Euro für eine königliche Bibliothek.