Eine Geschichte der Plakatkunst in 574 Bildern: die Sommerauktion bei Swann Galleries in New York
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24.07.2019
Traditionell lockt Swann im August mit Plakaten aus der Zeit von 1890 bis 1990. Dabei wird wieder deutlich, dass die Werbebranche tendenziell von einfallsreichem Design – und weniger einfallsreichen Slogans geprägt ist.
Plakate aus den verschiedensten Sparten und Weltregionen werben für Luxus und Parteien, für Autos und Patriotismus. Bereits das erste der 574 Lose ist ein Ausrufezeichen und wirft uns mitten ins Getümmel des Ersten Weltkriegs. Ungestüm galoppieren die berittenen Pferde durch staubige Landschaft, sprengen den Bildrahmen und scheinen die Werbebotschaft „Army life is great“ überzeugend zu transportieren. Doch auf den zweiten Blick mag sich der Betrachter fragen, warum einige der Pferde unbemannt sind, ob man ihre Reiter bereits aus dem Sattel geschossen hat und ob die Unordnung der Staffel nicht doch eher auf panische Flucht deutet, als auf das Versprechen von Abenteuer, Bildung und gutem Lohn (Taxe 1000 Dollar).
Es sieht fast so aus, als ob die PR-Abteilung der Armee daran glaubt, dass die Liebe zur eigenen Nation ausreicht, um in einen fernen Krieg zu ziehen, so pathetisch wird das Amerikanische beschworen. Doch kaum ist Deutschland besiegt, werden andere Töne angeschlagen. Ein Poster Alfred Leetes von 1919 wirbt mit einem „See the world and get paid for it“ (Taxe 1200 Dollar) und Graham Simmons verspricht sportiv mit Kricket- und Fußballspielern „The army isn’t all work“ (Taxe 1000 Dollar). Vielleicht weil er als offizieller Kriegskünstler manche Schlacht des Ersten Weltkriegs selbst miterlebt hatte, entbehren die Poster des Briten Gerald Spencer Pryse jeglicher Verklärung und können durchaus als antimilitaristisch gelesen werden: „Gestern die Schützengräben“, heißt es auf dem einen, „heute arbeitslos“ auf dem anderen – und beide Motive sind gleichermaßen von Tristesse erfüllt: hier der einsame Soldat in einer zerschossenen Schneelandschaft, dort der gebrochene Mann in Zivil an der Seite seiner Gattin, die ein Neugeborenes vor der Kälte zu schützen sucht (Taxe je 600 Dollar).
Neben alliierter Propaganda ist auch in einem Dreier-Kontingent ein kleines Plakat zu haben, das – finanziert von der deutschen Wirtschaft um Hugo Stinnes – direkt nach Kriegsende den in ihren Augen wahren Schuldigen an Hunger, Tod und Elend anprangert: „Nieder mit dem Bolschewismus“, heißt es da und zeigt einen entschlossenen jungen Mann in weißem Hemd, der herkulisch mit einer schwarzen Schlange kämpft. Das Geld, das man im Antibolschewismusfonds sammelte, floss jedoch nicht nur in martialische Poster, sondern auch in Auftragsmorde wie die an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die Parolen wiederholen sich im nächsten Weltkrieg, wobei die Motive der Plakate nun von einem naturalistischen Heroismus strotzen, der die Filmposter von „Steiner – Das eiserne Kreuz“ bis „Top Gun“ – vorwegnimmt. Rückblickend besonders perfide ist die Botschaft von James Montgomery Flagg an die Japaner aus dem Jahr 1945. Uncle Sam krempelt sich die Ärmel hoch und lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit: Jap … You are next! We’ll finish the Job! (Taxe 800 Dollar).
Den Ärmel hochgekrempelt hat auch der zupackende Arm, der in John Heartfields Statement gegen Nuklearwaffen ein Jahrzehnt später eine weitere Schlange drosselt, die sich um den Globus ringelt und diesmal den Atomkrieg verkörpert. Von starker Arbeiterhand gewürgt, öffnet sie in Panik ihr Maul und offenbart eine Zunge in Form eines Dollarzeichens (Taxe 4000 Dollar). Damit klingt nach gut 100 Losen das bedrohliche Schlachtengetümmel aus und die Kriegsgespenster weichen den heiteren Aspekten des Daseins.
Die Rubriken Zirkus, Theater und Musik sind eher etwas für echte Fans von Charlie Chaplin oder Miles Davis, Duke Ellington oder „The Doors“ (Taxe 300 Dollar) Umso spektakulärer sind die Art-nouveau-Poster, die sich anschließen. Vincente Bocchino hat um 1904 das Lefevre-Kekssortiment in einem Schaufenster drapiert, an dessen Scheibe sich Kinder die Nasen plattdrücken. Dieses wohl bekannteste Motiv des Künstlers ist in gutem Zustand mit 800 Dollar angesetzt. Herausragend ist in dieser Rubrik die Fahrradwerbung vertreten, darunter das Poster einer gerüsteten Amazone, die mit Schwert, Schild und Bike für die Marke „Liberator“ posiert. Wiederholt wird beim Designer Pal (Jean de Paléologue) das Rad zum Vehikel der Befreiung der Frau, die auf zwei Rädern selbstbestimmt das Weite suchen und so bürgerlichen Konventionen entkommen kann, doch derart kämpferisch und zugleich antikisch tritt uns die moderne Emanze sonst nirgendwo entgegen (Taxe 1500 Dollar).
Die perfekte Verbindung von Eleganz, Schoßhündchen-Putzigkeit und brandaktueller Flugbegeisterung – im Juni 1897 hob auf dem Tempelhofer Feld Hermann Wölfert mit einem motorgetriebenen Ballon ab – gelang dem jungen Emil Orlik in seiner Werbung aus demselben Jahr für das damals angesehene Handschuhgeschäft von Leopold Potolowsky, dessen Familienname heute nur noch auf Stolpersteinen präsent ist. In Orliks Invention ist es nicht der Flugpionier in seiner Gondel, sondern ein Mops in einem Handschuh, der mit einem Ballon über der Menschenmenge aufsteigt, die sich nach Hund, Ballon und Handschuh reckt (Taxe 800 Dollar) – eine heitere Hommage an Max Klinger.
Der Nachmittag der Auktion beginnt mit Werbung für Strandmode, Ferienorte und Fluggesellschaften von den 1890er- bis in die 1970er-Jahre. Vor allem Pan-Am- und BOAC-Poster sind zahlreich vertreten – mit Werbung für die großen viermotorigen Flugboote, Clipper genannt, mit denen sie ab 1939 auch über den Atlantik flogen. Ästhetisch anspruchsvoller sind die Plakate der Touristen-Dampfer, darunter das Top-Los „Cote d’Azur“ (1931) vom späteren Harper’s-Bazaar-Designer A. M. Cassandre (Adolphe Mouron), das auf die sonst so beliebte dramatische Untersicht der Ozeanriesen verzichtet und nichts zeigt als einen rauchenden Schiffs-Schornstein (Taxe 7000 Dollar).
Die Innenausstattung solcher Luxusliner übernahm gelegentlich der Architekt Ludwig Hohlwein, von dem auch das für ihn so typische, silhouettenhaft-kontrastreiche Plakat „Summer in Germany is the Perfection of the Beautiful“ stammt, das Mark Twain zitiert und angesichts der jüngsten deutschen Sommer ungeahnte Aktualität erlangt. Vorn ein Glas Weißwein, hinten der Kölner Dom, dazwischen ein mondänes Paar – das ist ganz der distinguierte Stil des wegweisenden Designers, dessen Werbung auch 70 Jahre nach seinem Tod von manchen Firmen noch immer unverändert zum Einsatz kommt.
Die vier Plakate zu den bolivianischen Spielen im August 1938 anlässlich des 400. Gründungsjubiläums von Bogota sind Höhepunkt in der Sektion Sport. Sergio Trujillo Magnenat, Pionier des Modernismus seines Landes, schuf die Motive eines Diskuswerfers, eines Speerwerfers, einer Tennisspielerin und dreier Polospieler in Aktion (Taxe je 2000 Dollar): perfekte Staatskunst eines Landes auf dem Weg in eine sozialistische Diktatur am Vorabend des Zweiten Weltkriegs.
Dass Plakate nicht nur Kunst sein, sondern auch für Kunst werben können, zeigen die letzten 30 Lose der Auktion, darunter neun Poster des Grafikers Tanadori Yokoo (Taxen 600 – 4000 Dollar), in denen die Epoche von Pop und Flower Power aus japanischer Sicht unbändig erblüht. Was den „Rolling Stones“ die herausgestreckte Zunge, ist Yokoo das weit aufgerissene Auge: Seht her, seht genau hin und seht, dass ihr gesehen werdet! Auch das eine durchaus brisante Botschaft für unsere Gegenwart.