Das Scheinwerferlicht der New Yorker Zeitgenossenauktionen fällt auf historische Werke des afroamerikanischen Pioniers Charles White
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10.11.2019
Diesen November hält zum ersten Mal ungeschminkte Sozialkritik Einzug in das sorgfältig manikürte, glitzernde Konsumfest der Gala-Auktionen. Nachdem Sotheby’s und Christie’s dem Abendpublikum bereits seit einem Jahr erfolgreich angesagte afroamerikanische Jungstars vorstellen, die auch regelmäßig wahre Bietgefechte und Rekordergebnisse produzieren, wagen sie sich nun an etwas schwierigere Kost: Charles White (1918–1979).
Eine längst überfällige Retrospektive, vom Chicagoer Art Institute und dem New Yorker Museum of Modern Art organisiert, die dann auch im Los Angeles County Museum gezeigt wurde, brachte ihn erst im vergangenen Jahr in einer umfangreichen, rundum überraschenden Ausstellung wieder ans Licht. Dabei war White 1979, dem Jahr seines Todes, der wohl bekannteste schwarze Künstler im Land und ein sehr einflussreicher Lehrer. Zu seinen Bewunderern und Schülern am Otis Art Institute in Los Angeles zählten heutige Stars wie David Hammons oder Kerry James Marshall. Aber White selbst wurde jahrzehntelang vom Mainstream-Ausstellungsbetrieb ignoriert. Seine riesigen Formate, sehr detailliert formulierte Kohle- oder Tuschezeichnungen schwarzer Amerikaner, sind von hartem Leben und schwerer Arbeit geprägt. Sie symbolisieren das Streben nach Emanzipation und Respekt. In den 1940ern war White vom sozialistischen Realismus beeinflusst, wollte, dass seine realistische Kunst weltweit verständlich ist. Sotheby’s bietet am 14. November die fast einen Meter hohe, schwermütige Kohlezeichnung „Ye Shall Inherit the Earth“ (1953) an, eines von Whites bekanntesten Werken, das auch in Lithografien verbreitet wurde. Der Titel stammt aus der Bergpredigt im Matthäus-Evangelium: „Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben.“ Sotheby’s erwartet hier mindestens 500 000 Dollar.
Konkurrent Christie’s hält am 13. November mit einem von Whites seltenen Ölbildern dagegen. „Banner for Willie J.“ (1976) belegt den deutlichen Einfluss der Black-Power-Bewegung auf White. Das Bild ist ein Andenken an seinen Cousin, der bei einem Raubüberfall in einer Bar als Unbeteiligter ums Leben kam. Wie die Zeichnung bei Sotheby’s tourte es in Whites Retrospektive 2018 durch die USA. Sollte sich Christie’s’ Erwartung von 1 bis 1,5 Millionen Dollar erfüllen, würde sich Whites derzeitiger Rekordzuschlag von 400 000 Dollar, der bei Swann im vergangenen Jahr fiel, multiplizieren. Das kleinere New Yorker Auktionshaus bedient in erster Linie Sammler von Grafik und Plakaten, besetzt dazu aber seit über zehn Jahren als einziger Anbieter die Nische „African-American Fine Art“. Inzwischen interessiert das Gebiet landesweit.
Nicht nur private Sammler steigen hier ein, sondern auch Museen, wie etwa das Baltimore Museum of Art: Im Mai ließ der Direktor Christopher Bedford, unter anderem über Sotheby’s, sieben Werke weißer Künstler des 20. Jahrhunderts aus der Sammlung verkaufen. Mit dem Erlös von über 10 Millionen Dollar sollen Werke von Minderheiten angeschafft werden. Auch einige der großen New Yorker Galerien, die sich traditionell nicht auf diesem Gebiet engagieren, bemühen sich neuerdings, ihrem Kundenstamm historische Kunst von Afroamerikanern nahezubringen: Der Blue-Chip-Anbieter Mnuchin Gallery auf der Upper East Side etwa präsentierte im September farbfrohe Abstraktionen der Malerin Alma Thomas (1891–1978), die meisten waren Leihgaben aus Museen. David Zwirner hatte in Chelsea schon im Tandem mit der MoMA-Ausstellung riesige Kohlestudien von Whites letztem öffentlichen Auftrag im Jahr 1976 offeriert, einem Wandgemälde für eine Bibliothek in Los Angeles. Auch die bisher eher diskrete Gruppe hipper schwarzer Kunstsammler sucht nun die Öffentlichkeit. So outete Bonhams im Oktober den bekannten Rapper und Musikproduzenten Q-Tip in einer eigenen Ausstellung zum ersten Mal als Sammler junger, meist afroamerikanischer Maler.
Kalifornien hat in dieser Auktionssaison einen besonders starken Auftritt, angeführt bei Christie’s vom schillernden Namen Disney. Die einzige leibliche Tochter von Walt, Diane Disney Miller, und ihr Mann Ron Miller, der im Februar verstorbene Filmproduzent, sammelten breit, von der Moderne bis hin zu amerikanischer Kunst. Ein sicherer Publikumsliebling ist Wayne Thiebauds „Mickey Mouse“ von 1988 (Taxe 400 000 bis 600 000 Dollar): Der Künstler startete seine Karriere einst als Zeichner in den Walt Disney Studios. Ein weiteres Highlight bei Christie’s, Ed Ruschas „Hurting the Word Radio #2″ (1964) mit den großen gelben Lettern RADIO auf türkisfarbenem Grund, hat ebenfalls südkalifornische Provenienz: Es stammt aus der Sammlung des prominenten Rechtsanwalts John „Jack“ Quinn und seiner Frau Joan. Eine Garantie wird dafür sorgen, dass sich der erwartete Rekord von mindestens 30 Millionen Dollar realisiert. Bei Phillips sind Toplose am 14. November wieder in der seit fünf Jahren wachsenden Modernesparte zu finden. Hier führt Joan Mirós verspieltes Bild „Paysan catalan inquiet par le passage d’un vol d’oiseaux“ von 1952, das kurz nach seiner Entstehung für 60 Jahre in eine Familiensammlung verschwand, mit 7 bis 10 Millionen Dollar Taxe das Preisspektrum an.
Christie’s
13. bis 14. November
Sotheby’s
14. bis 15. November
Phillips
13. bis 14. November