Materialverknappung im Hochpreissektor, überraschende Ergebnisse im Bereich der Normalofferte, interessante Funde in Nischen – auf dem Kunstmarkt für Barockglas war in den letzten zwölf Monaten alles geboten
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11.09.2020
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 13
Werden interessante Objekte mit ausgezeichneter Provenienz am richtigen Ort aufgerufen, so gibt es in der Regel auch interessante Zuschläge. So geschehen am 21. März bei Dr. Fischer (Heilbronn) im Bereich „Formglas“, als ein deutscher oder niederländischer Kuttrolf des 17. Jahrhunderts aus der ehemaligen Sammlung Helfried Krugs offeriert wurde: Das Objekt mit einer balusterförmigen, teils senkrecht gerippten Wandung, einem vierzügigen, spiralförmigen Hals und einem schalenförmig gestalteten Ausguss, das einen leicht hochgezogenen Scheibenfuß mit Abriss und nach oben (!) umgeschlagenem Rand aufwies, kletterte von 3000 auf 8500 Euro. Eine 20,5 Zentimeter hohe, graustichige Flasche mit Zinnschraubverschluss – Ende des 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts in Deutschland entstanden, verbesserte sich in derselben Auktion von 1000 auf 4500 Euro und ging ins europäische Ausland – in der Oktober-Auktion des Hauses hatte ein etwas höheres Pendant aus grünem Glas, das wohl in der Pharmazie eingesetzt wurde, mit 4000 Euro gerade einmal den Schätzpreis realisiert.
Und dann kam Corona – und mitten in der ersten Infektionswelle ein Auktionsereignis, das nur von Insidern aufgespürt wurde. Solche Insider gibt es aber offenbar doch in größerer Anzahl – denn am 17. Mai war im Auktionssaal bei Osenat in Fontainebleau zwar kein bietfreudiges Publikum anwesend, als ein winziges Ensemble venezianischer Gläser des 17. Jahrhunderts aus der berühmten Sammlung des Kunstsammlers und Bankiers Émile Gaillard (1821 – 1902) aufgerufen wurde. Doch die Taxen der ohne die geringste Marktkenntnis angesetzten Objekte wurden durch zahlreiche Online-Bieter teilweise geradezu pulverisiert: 9600 Euro erzielte beispielsweise ein 35 Zentimeter hohes Kelchglas mit Schlangenstiel aus farbloser Glasmasse und einer Fadenauflage aus blauem Glas, das auf 200 Euro geschätzt war; 15 000 Euro brachte eine mit 300 Euro angesetzte Servierplatte auf flachem Fuß mit einer Emailbordüre und einem emailfarbenen Wappen im Spiegel; und ein extrem seltener, 27 Zentimeter hoher Pokal aus farblosem Glas mit blauen Beerennuppen – eine Art Schlaufenpokal („legged glass“) – kletterte von 300 auf 36 000 Euro.
Etwas Vergleichbares hätte natürlich auch die Sammler von emailbemaltem Glas erfreut – allerdings musste man sich hier 2020 bislang mit ansehnlichen Qualitäten im mittleren Preissegment zufriedengeben. Heftig beboten wurde am 21. März bei Dr. Fischer eine 1618 datierte, 6,5 Zentimeter hohe schlesische oder sächsische Vierkantflasche aus olivgrünem Glas, die in bunter Emailmalerei eine vielfältige Bemalung – Wappen, Buchstabenfolge und Datierung – zeigte: Das Stück kletterte von 500 auf 1300 Euro. Bei Mehlis (Plauen) verbesserte sich im Mai ein aus regionalem Privatbesitz eingeliefertes, 18 Zentimeter hohes Kelchglas mit dem vergoldeten „Familienwappen Reuß“, um 1750 in Thüringen entstanden, von 900 auf 1200 Euro.
In der Auktion vom 25. / 26. März bei Siebers (Stuttgart) realisierte ein 12 Zentimeter hoher Becher mit vielfarbiger Emailmalerei auf farblosem Glas 1700 Euro (Limit 250 Euro) – trotz notierter Altersspuren und partiellem Farbabrieb. Das in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstandene Stück zeigt einen Jäger und ein Mädchen mit Vögeln und Füchsen, umschrieben: „Jungferr mir wohl bewusst, daß ihr zum fuchsen und vogeln hat gut Lust, so hab ich mich einstenß gbedacht, Euch von füchsen und vögeln von Hauß auß etwaß mit gebracht“. Und im April siegte ein Telefonbieter bei Schwab (Mannheim) gegen fünf zugeschaltete Konkurrenten beim Aufruf einer wohl aus Marienwalde stammenden Vierkantflasche mit weißer, grüner, gelber und roter Emailfarbe: Um das mit der Inschrift „Christof Herzogk v Naumburg“, der Datierung „1664“ und einer bürgerlichen Hausmarke versehene Stück zu erwerben, musste das Limit von 240 Euro fast verzehnfacht werden.
Im Oktober 2019 allerdings hatte emailbemaltes Glas bei Dr. Fischer einen fulminanten Auftritt – als bemerkenswerte Objekte aus der ehemaligen Sammlung Dr. Otto Dettmers (Bremen) unter den Hammer kamen, die 1961 im „Museum für Kunst und Gewerbe“ Hamburg ausgestellt war. Nach kleinen Anlaufschwierigkeiten nahm das Auktionsgeschehen rasant an Fahrt auf: Ein restaurierter böhmischer Henkelkrug mit einem von zwei Jagdhunden gestellten Zehnender, 1599 datiert, stieg von 1800 auf 3000 Euro; ein von Adam Götz bemaltes Hofkellereiglas von 1677 mit polychromen Wappen (Hessen / Brandenburg) verbesserte sich von 3000 auf 7000 Euro. Ein 1670 entstandener, 25,5 Zentimeter hoher Kurfürstenhumpen, halbseitig im Hamburger Ausstellungskatalog abgebildet und beschrieben, kletterte von 8000 auf 11 000 Euro. Eine Rechteckflasche von 1719 aus der Hofapotheke Augusts des Starken mit der Inschrift „ESS:PECTOR: WED“ in weißem Flatterband überschritt mit einem Zuschlag bei 8000 Euro den Mindestansatz von 2500 Euro problemlos; zwei sächsische Hofkellereihumpen – einer mit dem großen sächsischen Wappen (1691 dat.), einer mit dem sächsisch-polnischen Wappen (um 1720) – stiegen jeweils von 2500 auf 4000 Euro. Ein überreich und vielfarbig bemalter und mit einer langen Inschrift versehener Ochsenkopfhumpen aus dem Fichtelgebirge (Bischofsgrün), 1714 datiert, realisierte 6500 Euro (Ausruf 3000 Euro).
Insgesamt spielte der konzentriert zusammengestellte Auftritt von acht früheren Dettmers-Objekten bei einer Gesamttaxe von 23 300 Euro und 100-prozentiger Absatzquote eine Zuschlagsumme von 43 800 Euro ein. Ein imposantes Stück allerdings schwächelte überraschenderweise ein wenig: Ein 18 Zentimeter hoher Deckelhumpen in Matt- und Blankschnitt mit teilvergoldeter Silbermontierung (Beschau und Meistermarke unleserlich), der um 1730 in Schlesien entstand, konnte das bescheidene Limit von 2500 Euro mit einem Zuschlag bei 3000 Euro nur recht knapp überschreiten. Die Wandung war 16-fach facettiert und präsentierte ein Wappen mit Helmzier, von reichem Laub- und Bandelwerkdekor umgeben, das die Figuren „Prudentia“ und „Fidelitas“ einschloss. Auf den beiden Vertikalfeldern seitlich des Henkels waren vier Auskugelungen mit kleinen Landschaften graviert. Die Bodeninnenseite zeigte die geschnittene, offenbar von innen zu lesende Inschrift: „Kein Stahl, kein Demanth : zug kann so beständig bleiben Als hertz und Tochter sich des Vaters Hulld Verschreiben“.
Noch aufwendiger gestaltet war ein 19 Zentimeter hoher Münz-Deckelhumpen aus farblosem Glas mit Schliff und Schnitt – dieser mit teilweiser wunderschöner, makellos erhaltener Vergoldung –, der im Mai auf Schloss Ahlden offeriert wurde. Das um 1730 in Potsdam entstandene Objekt besaß einen hohen, zylindrischen Korpus, der schauseitig eine bekrönte Wappenkartusche aus Rocaillen mit einem ligierten Monogramm aufwies, und ruhte auf einem wulstartigen Stand. Seitlich knieten Putti auf einem Landschaftssockel. Der Humpen besaß an den Rändern eine umlaufende Kugelschiffbordüre beziehungsweise einen Spitzblattfries. Der gewölbte Deckel aus vergoldetem Silber war mittig mit einer Medaille auf die Krönung von Friedrich I zum preußischen König 1701 besetzt. Die Nachfrage zeigte sich allerdings kleinlich und übernahm das Objekt für 2500 Euro – unterhalb der taxierten 2800 Euro (dem Erwerber wird angeraten, sich vor der endgültigen Beurteilung des Stückwerts über den „Großen Humpen aus Adelsbesitz“ zu informieren, der im August 2017 in der 84. Auktion bei Mehlis versteigert wurde).
Gänzlich verweigert wurde Ende November bei Schlosser (Bamberg) die Abnahme eines 21 Zentimeter hohen böhmischen Deckelhumpens (um 1730 / 40) aus farblosem Glas mit zinnmontiertem Deckel (Limit 1000 Euro). Auf der Schauseite der zylindrischen Wandung waren zwei bekrönte Medaillons mit Monogrammen zwischen reichem Dekor aus Rollwerk, Blüten und Ranken in Mattschnitt graviert.
Nicht nur böhmische Objekte, auch die sächsischen Pokale aus der Glücksburger Hütte (um 1740 / 50) erzeugen momentan keine euphorische Nachfrage. Charakteristisch für diese Objekte ist eine konische Kuppa mit ausgebauchtem Unterteil, mitunter ein kleiner Nodus samt eingestochener Luftblase sowie ein Hohlbalusterschaft mit Quer- oder Wabenfacettierung; ferner eine große Fußplatte mit nach unten umgeschlagenem Rand, die auf der Unterseite vielfach floral graviert ist.
Bei Bukowskis (Stockholm) erzielte ein 19 Zentimeter hoher Pokal mit einer mattgeschnittenen, gerahmten Darstellung von zwei Händen zwischen einer Krone und einer Kirche – und dem Motto: „Nicht es schöner auss der weldt als wan man freundschaft helt“ – am 3. Juni gerade einmal 10 000 SEK (rund 950 Euro; Limit 4000 SEK). Bei Dr. Fischer fand ein mit 1000 Euro angesetzter, 26,5 Zentimeter hoher Pokal der Zeit um 1730 – mit passendem böhmischen Deckel und dem sehr feinen, teils polierten Wappen der Herzöge zu Sachsen (Weimar-Coburg) – gar kein Interesse. Und auch ein 22,8 Zentimeter hoher Pokal, der eine umlaufende Parklandschaft mit Arkaden, Wasserspielen, Vogelkäfig und figürlichen Darstellungen in teils poliertem Schnitt sowie die Inschrift „Altter laß Daß lieben bleyben, laß eß Junge leutte treyben“ aufwies, konnte am 18. Juli bei Dr. Fischer – wie eigentlich zu erwarten – keinerlei Nachfrage generieren. Der Einlieferer hatte die vorangegangene Negativtendenz allerdings geflissentlich ignoriert und optimistische 2200 Euro für sein Objekt erwartet.
Aber dann gab es doch noch ein bemerkenswertes Ereignis vor der Sommerpause. Am 24. Juni offerierte das Auktionshaus Im Kinsky (Wien) einen 26 Zentimeter hohen, marmorierten Pokal von Johann Kunckel aus der Potsdamer Glashütte – gefertigt aus opakem, vielfarbig marmoriertem Glas, mit der Abrissnarbe unter dem hohen Stand. Die dickwandige konische Kuppa ruhte auf einem mehrfach gegliederten, aus Ringscheiben zusammengesetzten Schaft. Das Stück war Gegenstand langwieriger Auseinandersetzungen zwischen dem Museum Berlin und späteren Eigentümern – in diesem Zusammenhang wurde sogar das Deutsche Zentrum Kulturverluste eingeschaltet. Der Streit konnte aber definitiv zugunsten der neuen Eigentümer beendet werden. Die Rechtssicherheit begünstigte einen Zuschlag bei 25 000 Euro – 15 000 Euro waren für das Objekt veranschlagt worden.