Evergreens erzielen auch in späten Abzügen konstant beachtliche Preise, spannend wird es außerhalb des etablierten Kanons
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28.09.2020
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 14
Die Fotografie, das ist ein Allgemeinplatz, ist ein auf Reproduktion angelegtes Medium. Der Markt lässt sich durch die Möglichkeit und Anzahl der Reproduktionen nahezu beliebig ausdehnen – von digitalen Techniken noch gar nicht zu reden –, trotz diverser Versuche, neben allen möglichen Auflagen Kategorien wie „Vintage“, „von Fotograf / Tochter / Sohn / Assistent selbst abgezogen“, „mit Atelierstempel“ usw. einzuführen. Es werden selbst neue Abzüge der Library of Congress (als Repro oder vom Originalnegativ) oder Auflagen der Griffelkunst angeboten. Später, auch posthum, angefertigte Abzüge von Highlights oder Evergreens einer jeden Sammlung, die etwas auf sich hält und so sein will wie alle anderen – etwa Cartier-Bressons Junge mit den beiden Weinflaschen in der „Rue Mouffetard“, Kertész’ Burlesktänzerin, bekannt als „Satiric Dancer“, oder „Môme Bijou“ von Brassaï, um nur einige signifikante Beispiele zu nennen – erzielen mittlerweile konstant beachtliche Preise im vier- bis gelegentlich fünfstelligen Bereich.
Ein solches Highlight ist Richard Avedons „Dovima with Elephants, Evening Dress by Dior, Cirque d’Hiver, Paris“, im August 1955 für Harper’s Bazaar aufgenommen. Als sich in den Siebzigerjahren der Fotomarkt zu etablieren begann, speiste Avedon unterschiedliche Auflagen des Bilds in verschiedenen Größen und Materialien ein. Als eines der berühmtesten Modefotos überhaupt ist es ein Dauerbrenner, oft zu Höchstpreisen. Von einem „Original“ kann man hier nicht mehr sprechen, das Negativ befindet sich im Besitz der Richard Avedon Foundation. Aus deren Besitz stammte auch der bisherige Rekordhalter, ein auf Leinwand aufgezogener Abzug in der Größe von 216,8 mal 166,7 Zentimetern, der lange Zeit im Eingangsbereich von Avedons New Yorker Studio hing und 2010 bei Christie’s in Paris für 700.000 Euro versteigert wurde. Am 10. Juli präsentierte Christie’s nun erneut einen großen, auf Leinwand montierten Abzug, der mit einem Hammerpreis von 1,5 Millionen Dollar (Taxe 800.000 Dollar) den bestehenden Rekord deutlich übertraf. Ein Grund für diese exorbitante Summe dürfte in der Überwindung der Fotografie-Kunst-Schranke liegen, wurde das Objekt doch in einem neuen hybriden, Pandemie-bedingten Format angeboten, von Christie’s „One: A Global Sale of the 20th Century“ genannt. Die Auktionen fanden am 10. Juli gleichzeitig in vier Städten – Hongkong, Paris, London und New York – und, ebenfalls gleichzeitig, live, am Telefon und online statt. Trotz berichteter leichter technischer Probleme ging der Plan weltweiter heftiger Bietergefechte auf. Avedons Bild war die einzige Fotografie im Angebot.
Traditionell ebenfalls dem „Kunst“-Segment zugerechnet werden die „Refotografien“ von Richard Prince, hauptsächlich aus den Siebzigerjahren. Angeregt durch seinen Job bei Time Inc., wo er Belege für Autoren und Kunden aus den im Verlag erscheinenden Zeitschriften heraustrennte, fotografierte er Anzeigen ab und präsentierte diese, beziehungsweise Ausschnitte daraus als Kunstwerke. Vier 1979 solcherart entstandene Brustbilder von Frauen, die alle in dieselbe Richtung blicken, erzielten, aus einer Auflage von 10 Exemplaren, in der Contemporary Art-Auktion von Sotheby’s New York im November letzten Jahres 425.000 Dollar, weit über dem Schätzpreis von 250.000 Dollar.
Fast gleichzeitig zu Christie’s „One“ fand die Auktion „Von Dürer bis Balkenhol – Ausgewählte Werke“ bei Grisebach in Berlin statt. Auch dort gab es eine einzige „echte“ Fotografie, noch dazu erfreulicherweise eine aus dem 19. Jahrhundert. Gustave Le Grays Blick auf den „Pont du Carrousel, vom Pont Royal aus gesehen“, ein goldgetonter Albuminabzug vom großformatigen Glasnegativ, entstanden um 1859, verfehlte leider knapp die Taxe und brachte 8000 Euro – trotz der für die französische Kunst des 19. Jahrhunderts hochinteressanten Entstehungszeit ein Stiefkind, angesichts der sonst angebotenen „Hochkunst“.
Die Bandbreite der Möglichkeiten des Mediums zeigt ein Gegenstück zu der Ikone von Avedon, das nur wenige Tage später, am 14. Juli, bei Sotheby’s in New York für 400.000 Dollar den Besitzer wechselte (Taxe 200.000 Dollar): Es handelt sich um eine zarte, fast abstrakte Komposition, die das Innere einer Kapelle in Tepotzotlán in Mexiko zeigt. Der Abzug auf Platinpapier in der Größe von 24,1 mal 18,9 Zentimeter, den Tina Modotti 1924, kurz nach der Ankunft mit ihrem Geliebten und Mentor Edward Weston in Mexiko, anfertigte, stammt aus der Sammlung der Galeristin Ginny Williams aus Denver. Außer diesem Print sind nur noch vier weitere bekannt.
Zeitlich ungefähr parallel zu Modottis Aufnahme fiel in Deutschland der Plan und das Konzept für das bekannte und einzigartige Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ von August Sander, angelegt auf über 600 Aufnahmen in thematisch gegliederten Abteilungen. Im November 2019 kam bei Grisebach als Spitzenlos der Fotoauktion, mit eigenem Katalog, ein Konvolut mit einer Auswahl von 70 Aufnahmen zum Aufruf, angefertigt 1961 bis 1963 von Gunther Sander noch unter der Ägide seines Vaters für eine geplante Wanderausstellung. Der Schätzpreis war mit 300.000 Euro vergleichsweise niedrig angesetzt, berücksichtigt man bisher erzielte Erlöse auch nur für die bekannten Motive aus dem Projekt, und zwar auch für spätere Abzüge von Gunther Sander. Man wollte das außergewöhnliche Konvolut bei Grisebach nicht trennen. Allerdings war es schon länger auf dem Markt, es stammt aus einem mittlerweile aufgelösten spekulativen Kunst-Investmentfonds, der, auf den Cayman Islands ansässig, ausschließlich mit Fotografie Rendite produzieren wollte. Das hat nicht geklappt. Das Ergebnis von 770.000 Euro rettete eine eigenartige Auktion, bei der beispielsweise Vintageprints von Berenice Abbott aus den Dreißigerjahren bei einer Taxe von 1500 für 375 Euro als Schnäppchen zu haben waren. Das war noch vor Corona.
Dahingegen wies die Auktion vom 9. Juli dieses Jahres – trotz insgesamt moderater Ergebnisse und einer Rückgangsrate von über 40 Prozent – eine überraschende Anzahl an Ausreißern nach oben auf, vorneweg ein Vintage von Werner Mantz mit einer nächtlichen Ansicht des „Hauses der Kölnischen Zeitung auf der internationalen Presse-Ausstellung ‚Pressa‘ bei Nacht“ in Köln 1928, der seine Taxe auf 38.000 Euro fast verzehnfachen konnte. Zwei ausdrucksstarke Selbstporträts des Malers Richard Oelze, eines mit einer Freundin, von 1925 kletterten von jeweils 1000 auf 5000 Euro.
Wer außerhalb des etablierten Kanons sucht, zum Beispiel außergewöhnliche Reisefotografie, wird hauptsächlich, wie üblich, in den USA bei Swann und in Deutschland bei Bassenge fündig. Manchmal jedoch gibt es prominente Ausnahmen, wie zum Beispiel ein am 3. Oktober 2019 bei Sotheby’s in New York für 65.000 Dollar verkauftes Konvolut von 98 Albuminabzügen, dokumentierend die erste Fotoexpedition im Gebiet des oberen Amazonas in den Jahren 1867 / 68. Der Augsburger Fotograf Albert Christoph Frisch, der sich in Rio de Janeiro niedergelassen hatte, war dazu im Auftrag des Inhabers eines Fotoateliers und Verlegers Georg Leuzinger fünf Monate zu Fuß und per Boot unterwegs. Die 98 Albuminabzüge sind nicht nur im Hinblick auf die Sujets hochinteressant, sondern auch hinsichtlich der Technik. Frisch arbeitete im nassen Kollodium-Verfahren und musste deshalb sein Labor immer parat haben. Bei vielen der Aufnahmen wurden Sujet und Hintergrund getrennt aufgenommen und beim Abzug kombiniert, um durchgehende Schärfe und Tonalität zu erreichen. In der vorliegenden Form ist nur noch ein weiteres Exemplar dieser Dokumentation in Wien bekannt.
1907 / 08 unternahm der deutsche Staatssekretär Bernhard Dernburg eine Reise durch die deutschen Kolonien in Afrika, um eine stärker wirtschaftlich ausgerichtete Kolonialpolitik durchzusetzen, was eine Korrektur derselben erforderte. Eine – anonyme – fotografische Dokumentation dieser Reise in drei Alben mit insgesamt etwa 300 Kollodiumpapier-Abzügen erzielte bei Bassenge im Juni 4800 Euro.
Ein weiterer fotografischer Reisebericht, den Swann im Oktober 2019 für 5000 Dollar (Taxe 3000 Dollar) an den Mann oder die Frau brachte, dürfte, anders als die beiden vorherigen, nicht untypisch, aber in diesem Umfang selten sein. Ein deutscher Reisender startete seine Grand Tour 1890 auf dem Dampfer Coromandel in Suez und beendete sie 1891 in Bombay. Auf seinem Weg erwarb er kommerzielle, speziell für Reisende angefertigte Fotografien in Australien, Indonesien, Sri Lanka, China, Hongkong, Indien, Japan, den Philippinen und Singapur. Das Album mit dem Titel „Meine Reise“ enthält über 180 auf den Kartons auf Deutsch beschriftete Albuminabzüge, die japanischen handkoloriert. Manchmal macht die individuelle Zusammenstellung von Massenware den unikaten Charakter aus.
Und manchmal ist es schlicht egal, von wann ein Abzug stammt. Das Porträt von Keith Richards des langjährigen Fotografen beim Rolling Stone Magazin Mark Seliger wurde 2011 aufgenommen, der großformatige Abzug, der bei Grisebach im Juli 15.000 Euro einbrachte, 2018 angefertigt: In diesem Fall ist eindeutig das Motiv Vintage. Das genügt.