Ihre vorwiegend weiblichen Kundinnen von europäischen Höfen porträtierte Élisabeth Vigée-Lebrun in individuellen, klassizistischen Arrangements. Die Werke der Pariser Künstlerin erleben seit einigen Jahren eine enorme Verteuerung
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22.11.2020
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 19
In ihrem umfangreichen Œuvre finden sich neben Figürlichem auch Landschaftsdarstellungen, doch vor allem wird Élisabeth Vigée-Lebrun (1755 – 1842 Paris) wahrgenommen als die Porträtistin des späten Ancien Régime – obwohl ihre Karriere die blutige Revolution von 1789 schadlos mehr als vier Jahrzehnte überdauerte. Durch den Umsturz ihrer angestammten Kunden beraubt, suchte sie in den Jahren ihres Auslandsexils mit gewohntem Erfolg an europäischen Höfen neue Auftraggeber, die sie nun zeitgemäß in klassizistischen Arrangements präsentierte.
Ihrer überwiegend weiblichen Zielgruppe blieb sie jedoch weiterhin treu, denn bereits in Paris wäre ihr Aufstieg zur Modemalerin ohne die Gunst adeliger Damen nicht vorstellbar gewesen. Diese wollten nicht nur die Privilegien ihres Standes, sondern auch ihre physischen Reize ins Bild gerückt sehen. Dementsprechend beschränkte die Malerin die bereits gelockerten Repräsentationsformeln des Adelsporträts auf ein Minimum, das Raum ließ für eine informelle, weniger von der gesellschaftlichen Funktion definierte Selbstdarstellung. Und Vigée-Lebrun verstand sich darauf, herben Zügen individuellen Charme, mattem Teint jugendliche Frische und aufwändigen Toiletten die modische Eleganz luxuriöser Anspruchslosigkeit zu verleihen, kurz – so ein späterer Kritiker – sie zeigte ihre Kundinnen so, „wie sie sich träumten“.
Mit diesen malerischen Tugenden hatte sie den Pariser Adel bereits für sich gewonnen, als sie 1778 von der Königin einen ersten Porträtauftrag erhielt, dem viele weitere für den Hof in Versailles folgten. Ihr Aufstieg wurde nicht ohne Skepsis verfolgt: So stimmten die Mitglieder der Académie Royale ihrer Aufnahme 1883 erst nach einem Machtwort Ludwigs XVI. zu. Die Vorteile königlicher Patronage machten sie verdächtig, als die Bourbonen-Dynastie fiel. Vigée-Lebrun floh zunächst nach Italien, wo sie ihre Karriere unbeeinträchtigt fortsetzen konnte. Auf Stationen in Bologna, Rom, Florenz und Neapel folgte 1792 ein ebenso erfolgreicher Aufenthalt in Wien. Dort erreichte die europaweit reputierte Emigrantin drei Jahre später der einträgliche Ruf an den Zarenhof. Erst sechs Jahre später kehrte sie über Berlin nach Paris zurück, um im folgenden Jahr nach London zu gehen. Die geplante Heimreise verzögerte sich durch den Bruch des Friedensvertrags zwischen England und Frankreich um zwei Jahre, sodass sie erst 2005 wieder in Paris eintraf. Einige Jahre später bezog sie ein Landhaus im nahegelegenen Dörfchen Louveciennes, wo sie unvermindert eingehende Porträt-Aufträge abarbeitete und in den letzten Jahren vor ihrem Tod ihre Memoiren verfasste, die unter dem Titel „Souvenirs“ in drei Bänden publiziert wurden.
In Frankreich mochte man Vigée-Lebruns parteiische Referenz an Selbstverständnis und Lebensstil der untergegangenen Adelsklasse mit Rücksicht auf die gebotene politische Korrektheit bislang nicht mit einer eigenen Ausstellung würdigen, doch in der ihr 2016 gewidmeten Schau im New Yorker Metropolitan Museum nahm man die bewegten Jahre ihres Exils zum Anlass, um sie für den heutigen Zeitgeist nun als „europäische“ Künstlerin aufzubereiten. Dieses Konzept ging offenbar auf, denn ihre Bilder sind gefragter als je zuvor. Das motivierte die Anbieter, die mit rund 60 Losen die Offerte seit 2011 verdoppelten.
Ein Zuviel an Durchschnittsware sorgte vorübergehend für einen bedenklichen Anstieg vierstelliger Zuschläge, doch in den letzten fünf Jahren mussten nur noch fünf Gebote unter 20.000 Euro akzeptiert werden. Völlig vergebens waren die Bemühungen der Akquise nur selten, denn trotz größerer Auswahl sank der Anteil der Rückgänge von einem Drittel auf 12 Prozent. In den USA, wo im vorigen Jahrzehnt lediglich zwei Lose angeboten wurden, ist das Interesse derzeit besonders groß, sodass mittlerweile 40 Prozent der Offerte dort verhandelt werden. Frankreich, mit einem Warenanteil von einem Drittel bis 2011 noch der wichtigste Markt, hält nur noch 25 Prozent, deutsche Häuser, die früher ein Viertel der Lose stellten, betreuen nur noch 10 Prozent des Angebots und verfügen zudem selten über aussichtsreiche Qualitäten.
Spitzenware wird bevorzugt den Marktführern Sotheby’s und Christie’s anvertraut, deren Engagement sich der aktuelle Kursanstieg wohl ebenso verdankt wie der Aufwertung durch die New Yorker Ausstellung: Während in den Nullerjahren nur zwei Werte über 100.000 Euro ermittelt wurden, waren es seither bereits 17 – allein 13 seit 2016 und damit 40 Prozent der vermittelten Lose! Seit 2017 wurden erstmals drei Millionenwerte notiert.
Den ersten Zuschlag über 100.000 Euro nach sieben Jahren erhielt bei Audap-Mirabeau, Paris, im November 2011 ein „Porträt der Prinzessin de Lamballe“. Die Vertraute Marie Antoinettes hatte ihre Loyalität zum Königshaus mit der Ermordung durch den Pariser Mob bezahlt, der mit ihrem aufgespießten Kopf vor dem Gefängnis der Königsfamilie aufmarschierte (Zuschlag 105.000 Euro). Ein kleineres Brustbild ihrer Königin wurde im April 2016 bei Christie’s, New York, auf 600.000 Dollar geschätzt, verfehlte die Taxe jedoch um 20.000. Sotheby’s, Paris, vermutete im Juni 2017 in dem „Porträt einer Dame“ die Darstellung der berüchtigten Comtesse de La Motte, der Drahtzieherin eines tolldreisten Gaunerstücks, das als „Halsband-Affäre“ politisch instrumentalisiert wurde, um die unbeteiligte Königsfamilie zu diskreditieren.
Restlos zu überzeugen vermochte die Identifikation der Dargestellten mit der unternehmenden Gräfin jedenfalls nicht, und so brachte das Bild statt der erhofften 150.000 nur 100.000 Euro. Bereits in die Wiener Exiljahre fällt das „Selbstporträt der Künstlerin als Brustbild“, das im folgenden Oktober bei Christie’s, New York, versteigert wurde. Erwartet wurden nur 600.000 Dollar, doch schließlich gelang mit einem Endgebot von 1,25 Millionen der erste siebenstellige Zuschlag überhaupt. Der frische Preisrekord beeinflusste gegen Jahresende bei Metz, Heidelberg, auch die positive Bewertung des ebenfalls in Wien entstandenen „Porträts Maria Franziska Gräfin Pálffy von Erdöd“, das sich unerwartet von 150.000 auf 760.000 Euro verbesserte.
Aufträge für Herren-Bildnisse übernahm Vigée-Lebrun nur selten. Eine der wenigen Ausnahmen machte sie für das ganzfigurige „Porträt Mohammed Derwisch Kam, sein Schwert haltend in einer Landschaft“ von 1788. Der indische Diplomat war in Versailles vorstellig geworden, um im Auftrag des Padischah von Mysore für eine militärische Allianz gegen die feindlichen Engländer zu werben. Er kehrte mit einer Absage in die Heimat zurück, worauf sein erzürnter Gebieter ihn umgehend enthaupten ließ.
Als Sotheby’s, New York, das Werk im Januar letzten Jahres präsentierte, erhielt der anonyme Bieter trotz der vorbildlosen Taxe von 4 Millionen Dollar den Zuschlag erst bei 6,1 Millionen. Auf eine Million hoffte Christie’s, New York, dann im Mai für das „3/4-Porträt der Madame Du Barry in einer Landschaft sitzend“. Ihrem Alter entsprechend, stellte die Malerin die skandalumwitterte Favoritin Ludwigs XV. als ehrbare Matrone dar, konnte das kurz vor Ausbruch der Revolution in Auftrag gegebene Gemälde jedoch erst nach ihrer Rückkehr aus dem Exil vollenden; mit einem Höchstgebot von 800.000 Dollar blieb es deutlich hinter den Erwartungen zurück.
Bildnisse weniger prominenter Modelle werden entsprechend niedriger bewertet: So kam im November 2017 bei Artcurial, Paris, ein anonymes „Kinderporträt als Amor“ nicht über 60.000 Euro hinaus, den gleichen Betrag in Franken erzielte im folgenden März bei Koller, Zürich, das „Porträt eines Mädchens, wohl Mademoiselle Dorion“. Die Behandlung mythologischer Stoffe diente der anerkannten Porträtistin nicht zuletzt als Nachweis, dass sie auch der Aufgabe der großen Historie gewachsen war. Zu dieser heute selten gehandelten Werkgruppe zählt das Großformat „Juno bittet Venus, ihr ihren Zaubergürtel zu leihen“, das im Dezember 2019 bei Sotheby’s, Paris, 1,2 Millionen Euro einspielte.
Joseph Baillio, Katharine Baetjer, Paul Lang: Vigée-Lebrun, Ausst. Kat., New Haven, London 2016