2020 war ein Porzellanjahr! Schon lange kamen nicht mehr so viele herausragende Objekte aus berühmten Sammlungen auf den Kunstmarkt
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01.12.2020
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 19
Durch den Lockdown aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie im Frühjahr – durch das nahezu vollständige Herunterfahren des öffentlichen Lebens, die rigiden Kontaktbeschränkungen – wurden abrupt alle geregelten Lebensbereiche von einer diffusen Unsicherheit erfasst. Beklommenheit machte sich allenthalben breit. Nicht nur die Wagnerianer, die auf ihre Bayreuther Festspiele verzichten mussten, auch die internationalen Kunstversteigerer waren von dieser Entwicklung betroffen. Ein kurzer Blick zurück zeigt allerdings, dass die Auktionshäuser ruhig und besonnen auf diese schwierige Situation reagierten. Anberaumte Termine wurden zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben. Und mit den ersten Lockerungen der strengen Corona-Maßnahmen nahmen die Häuser ihr Business dann einfach wieder auf. Die zwischenzeitlich völlig zum Erliegen gekommene Akquisition von Kunstobjekten wurde forciert vorangetrieben. Und da Versteigerungen mit Saalpublikum nur bedingt durchgeführt werden konnten, verlagerte sich das Geschäft auf Telefon und Internet.
Und so kann allen pandemiebedingten Widrigkeiten zum Trotz erfreulicherweise festgestellt werden: 2020 war ein (Meissener) Porzellanjahr! Die in großer Zahl angebotenen Objekte waren nahezu durchgängig von guter bis herausragender Qualität. Das war natürlich auch dem Umstand geschuldet, dass viele geschlossene Sammlungen zur Versteigerung kamen, die von profunden Connaisseurs en Porcelain de Saxe zusammengetragen und geformt wurden. Der Markt erhielt dadurch Ware von Rang in verschiedenen Preiskategorien zurück. Die kunst- und kulturhistorischen Highlights fanden auch fast alle ein neues Zuhause und erzielten markante Zuschläge.
Bei Koller in Zürich kam im März die „Sammlung Dr. Paul und Ursula Müller-Frei“ (Zürich) mit frühem Meissener Porzellan zum Aufruf, ergänzt durch qualitätvolle Figuren des Rokoko aus den Manufakturen Frankenthal und Ludwigsburg. Bei einer seltenen und aufgrund ihrer grandiosen, subtil-sinnlichen Staffierung bedeutenden Meissener „Krinolinengruppe“, um 1737 entstanden nach einem Modell von Johann Joachim Kaendler, konnte die moderate Taxe von 50.000 Franken annähernd vervierfacht werden – das Objekt wurde für 175.000 Franken weitergereicht. Die frivol anmutende Kaendler-Gruppe „Sitzendes Liebespaar mit Vogelbauer“ aus derselben Kollektion, ebenso zurückhaltend mit 40.000 Franken taxiert, war einem Bieter 95.000 Franken wert.
Eine weitere erotische Figurengruppe Kaendlers reüssierte in diesem Jahr gleich zweimal: „Der indiskrete Harlekin“, um 1740 ausgeführt, wurde im Oktober bei Metz für 76.000 Euro zugeschlagen, nachdem eine ebenso exzellent bemalte, zudem durch einen Baum ergänzte Version bei Lempertz Ende Mai 70.000 Euro erzielt hatte.
Nach dem Müller-Frei-Coup gelang es Koller dann auch noch, Porzellane aus der Sammlung Dr. Siegfried Ducret zu akquirieren – und Ende September mit großem Erfolg zu verkaufen. Das Haus spielte mit der Auktion netto 183 Prozent der (unteren) Taxsumme ein. Der 1972 verstorbene Dermatologe galt als Doyen der „Porzelliner“. Ducret führte zu allen Objekten aus seiner Kollektion intensive Recherchen durch. Die Ergebnisse publizierte er dann in renommierten Fachzeitschriften – sodass seine Sammlung dem kleinen Kreis der Connaisseurs bestens bekannt war. Die Liste seiner wissenschaftlichen Arbeiten ist lang – Grund dafür, dass ihm die Universität Zürich einen Ehrendoktortitel verlieh. Das Bayerische Nationalmuseum widmete Ducret aus Anlass seines 65. Geburtstags 1966 die legendäre Ausstellung „Meissener Porzellan. 1710 – 1810“, deren zeitloser Katalog mit unglaublichen 1200 Objekttexten von Rainer Rückert allen Sammlern des Weißen Goldes als wertvolles Referenzwerk dient.
Zwei seltene Meissener Elefantenleuchter, die wohl Kaendler um 1733 modellierte, gehörten zweifelsohne zu den herausragendsten Objekten aus Ducrets Sammlung. Zugleich sind sie prachtvolle, repräsentative Schaustücke, wie sie der Kunstmarkt schätzt. Bei Koller wurden die Leuchter getrennt voneinander aufgerufen – zur zaghaften Taxe von je 5000 Franken. Am Ende wechselten beide für über das Achtfache der Schätzung – für 44.000 beziehungsweise 42.000 Franken – den Besitzer. Unter den Objekten Ducrets aus Böttgersteinzeug nahm ein rarer, geschliffener und polierter Augustus-Rex-Teller, der um 1711 gefertigt wurde, mit einem Hammerpreis von 39.000 Franken (Taxe 10.000 Franken) die erste Position ein.
Die hohen Zuschläge für die Kleinkunstwerke aus den Kollektionen Müller-Frei und Ducret belegen: Höchste Qualität, eine herausragende, kontinuierliche Provenienz und ein guter Erhaltungszustand sind die Voraussetzungen für beachtliche Preise. So auch bei Metz in Heidelberg, wo im Oktober, neben anderen beachtlichen Zuschlägen, ein „Glockenteekrügerl“ für 26.000 Euro (Taxe 17.500 Euro) weitergereicht wurde. Eine kleine, um 1710/20 entstandene Pagode, taxiert auf 15.000 Euro, erzielte hier stolze 39.500 Euro. Beide Objekte sind aus Böttgersteinzeug gefertigt, und man sieht: Auch angemessen höhere Schätzungen haben noch Potenzial nach oben.
Ein besonderes Ereignis in diesem Porzellanjahr war es, dass gleich fünf Miniaturbauernhäuser von 1743 – Teil der Dekoration für die Desserttafel „Holländisches Dorf“ des Grafen Brühl für Schloss Pförten – zum Aufruf kamen. Dieser lieblich verspielte Tafelschmuck kann selbst bei wenig emotionsgeladenen Porzellansympathisanten beseelte Begeisterung hervorrufen. Drei dieser Meissener Miniatur-Immobilien wurden bei Koller aus der Ducret-Kollektion offeriert. Sie kletterten in Bietgefechten von je 4000 Franken auf 10 500, 16.000 und 24.000 Franken. Bei Metz in Heidelberg wurde das vierte, mit reichlich Tauben, Hühnern und einem Hasen belebte Häuschen von 14.000 auf 27.000 Euro gehoben, womit sich die bei Koller erzielten Preise bestätigten. Schließlich sprang bei Lempertz, wo am 13. November die bedeutende Sammlung Dreßen versteigert wurde, ein fünftes Bauernhaus von 6000 auf 38.000 Euro. Der Clou dieser Fassung: Mit einer in Paris hinzugefügten Goldbronzemontierung wurde das Architekturmodell zu einem exentrischen Schreibzeug aufgewertet.
Bei Christie’s New York kam am 14. Oktober „The Private Collection of Jayne Wrightsman“ zum Aufruf – mit überwältigenden Ergebnissen. Die Sammlung (und auch die von vielen Museumskuratoren geschätzte Expertise) von Jayne Wrightsman fokussierte sich auf die französische Kunst des 18. Jahrhunderts. Deshalb stach unter den angebotenen Porzellanen ein 66-teiliges Speiseservice der Münchner Manufaktur Nymphenburg hervor. Der Dekor in Trompe-l’Œil-Malerei zeigte einen beige-braunen Holzmaser-Fond mit scheinbar aufgesteckten Landschafts-Kupferstichen. Das Service, das Wrightsman 1996 bei der Pariser Kunsthandlung Kugel erworben hatte, kletterte von 30.000 auf 150.000 Dollar.
Bei Christie’s London kam am 22. Juli im Rahmen der Versteigerung „Gloria: Property from the late Dowager Countess Bathurst“ ein herrliches KPM-Speise- und Dessertservice mit Kurländer Muster und Blumenbemalung aus der Zeit um 1800 zum Verkauf, das die Herzen der Verehrer Berliner Porzellans höher schlagen ließ. Der Überlieferung nach war das Service ein diplomatisches Geschenk des preußischen Königs Friedrich Wilhelms III. an Henry Bathurst, den 3. Earl Bathurst (1762 – 1834). Das Ensemble konnte seine Taxe von 15.000 Pfund fast verdoppeln und wechselte für 28.000 Pfund in eine neue Sammlung.
Auch andere Erzeugnisse der KPM erzielten in den vergangenen zwölf Monaten beachtliche Hammerpreise – die Manufaktur konnte ihre Stellung am Markt, die sie sich in den Jahren zuvor nicht zuletzt durch die international viel beachteten und sehr erfolgreichen Auktionen der Sammlung Cohen bei Lempertz Berlin erworben hatte, demnach verteidigten. So wechselte am 16. Mai in der Preußen-Auktion von Lempertz eine KPM-Tabatiere mit Allegorien der bildenden Künste und einem markanten Porträt Friedrichs II. von Preußen für 23.000 Euro (Taxe 15.000 Euro) den Besitzer. Eine Prinzessinnengruppe aus der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Kronprinzessin Luise und ihrer Schwester Friederike (der Gemahlin von Prinz Friedrich Ludwig Karl) – gefertigt in Biskuitporzellan nach einem Modell von Johann Gottfried Schadow und Friedrich Hagemann aus dem Jahr 1796 – stieg von 2000 auf 6500 Euro. Und eine sehr seltene Tasse mit einem Biskuitbildnis der späteren Königin Luise auf mattblauem Fond mit goldenen Sternen war einem Sammler das Dreifache der Taxe wert – nämlich 4500 Euro.
Insgesamt zeigt sich der Markt für Porzellan – allen Widrigkeiten durch die aktuellen Umstände zum Trotz – stark und entwicklungsfähig. Die Nachfrage auf dem Sektor ist, wie schon in den Jahren zuvor, hoch. Besonders gefragt sind nach wie vor Objekte mit künstlerischer Qualität sowie kunst- und kulturgeschichtlicher Bedeutung – die Kunden der Auktionshäuser, die Sammler und Museen, sind eben weiter anspruchsvoll.