Um 1900 blühten in Wien Malerei und Skulptur, Architektur, Design, Musik und Literatur – und alle trafen sich im Salon von Berta Zuckerkandl. Carl Molls Bild von ihr war mehr als hundert Jahre nicht zu sehen und wurde jetzt für einen Rekordpreis versteigert
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24.02.2021
So muss ein Traum für ein Auktionshaus aussehen: Seit mehr als einem Jahrhundert befand sich Carl Molls „Weißes Interieur“ in der Familie der berühmten Wiener Journalistin Berta Zuckerkandl, die im Bild vom Betrachter abgewandt dargestellt ist. 1905 gemalt und im Sommer desselben Jahres in der Zweiten Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes am Berliner Kurfürstendamm ausgestellt, wurde das Gemälde kurz darauf im Museum Folkwang in Essen und noch einmal 1908 neben Gustav Klimts „Kuss“ im Wiener Konzerthaus gezeigt – seitdem war es vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen.
Schon deshalb war jetzt die Auktion bei Freeman’s in Philadelphia eine Sensation. Die Schätzung von mindestens 300.000 Dollar lag höher als der bisherige Rekordpreis von Carl Moll, doch auch diese Summe wurde unter Geboten von Interessenten aus Deutschland, Österreich und den USA mehr als verzehnfacht: 4,756 Millionen Dollar brachte das Bild schließlich inklusive Aufgeld, ein Rekord für den Wiener Künstler ebenso wie für das amerikanische Auktionshaus. Der Käufer möchte vorerst anonym bleiben, aber auf Nachfrage heißt es beim Auktionshaus, das Werk sei bald in der Neuen Galerie in New York zu sehen, dem Privatmuseum des Kosmetikkonzern-Erben Ronald Lauder.
Berta Zuckerkandl, née Szeps, war die Grande Dame der Wiener Moderne. In ihrem wöchentlichen Salon trafen sich Gustav Klimt und Hugo von Hofmannstahl, Stefan Zweig und Otto Wagner. Alma Schindler, die Stieftochter von Carl Moll, lernte hier ihren zukünftigen Mann, den Komponisten Gustav Mahler kennen. Moll, Mitbegründer der Wiener Sezession, zeigt Berta Zuckerkandl in einem sogenannten Reformkleid, das die Figur weniger einengt als die übliche Mode der Zeit, und auch das Interieur ist hochmodern: Die Inneneinrichtung der Wohnung in der Wiener Nusswaldgasse trägt die klaren Linien des Architekten Josef Hoffmann. Cornelia Cabuk, die zu den Autoren des kürzlich erschienenen Werkverzeichnisses von Carl Moll zählt, weist darauf hin, dass „Weißes Interieur“ auch als Hommage an James Abbott Whistlers Gemälde „Symphony in White“ gelesen werden kann, das Moll 1898 gesehen hat, als es in Wien ausgestellt war.
In den Vitrinen hat Carl Moll ostasiatische Figuren und Porzellan aus der Sammlung von Berta und Emil Zuckerkandl dargestellt, von denen sich einzelne identifizieren lassen, etwa die Göttin Ma-Ku, Beschützerin eines langen Lebens.
Im weiteren Verlauf der Geschichte trennten sich die Wege von Carl Moll und Berta Zuckerkandl. Der Künstler wurde ein überzeugter Nationalsozialist und nahm sich nach dem Sieg der Roten Armee in der Schlacht von Wien 1945 das Leben, zufällig an ihrem 81. Geburtstag. Berta Zuckerkandl war als Jüdin nach dem Anschluss aus Wien geflohen, überlebte die Nazi-Herrschaft in Algiers bei ihrem Sohn und starb im Oktober 1945 in Paris, wo sie auf dem Friedhof Père Lachaise begraben ist.