Shakespeare-Rekord und mehr: Bei den Buchauktionen traf in jüngster Zeit vorzügliche Ware auf eine rege Nachfrage, sodass die Auktionshäuser trotz Corona auf ein sehr gutes Jahr zurückblicken
Von
05.02.2021
/
Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 1
Während die Weltwirtschaft unter den Folgen der Corona-Pandemie ächzt, scheinen die Buchauktionshäuser geradezu aufzublühen. Im November vergangenen Jahres meldete Christie’s New York den Verkauf der Erstausgabe von Shakespeares „Comedies, Histories & Tragedies“ zum Hammerpreis von 8,4 Millionen Dollar. Käufer war der New Yorker Antiquar Stephan Loewentheil aus Brooklyn. Aber auch von den großen deutschen Spezialisten kommen durchweg Erfolgsmeldungen.
Das Angebot an hochwertigen Büchern, illustrierten Prachtwerken, Atlanten, alten Handschriften und Autografen, das Bassenge (Berlin), Ketterer (Hamburg), Venator & Hanstein (Köln), Reiss & Sohn (Königstein), Hartung & Hartung (München) sowie Stargardt (Berlin) anbieten konnten, war überaus qualitätvoll. Aber auch die kleineren deutschen Buchauktionshäuser wie Christian Hesse (Hamburg), Peter Kiefer (Pforzheim), Jeschke / Van Vliet (Berlin), Nosbüsch & Stucke (Berlin), Zisska & Lacher (München) und Dietrich Schneider-Henn (Seefeld bei München) konnten vorzügliche Ware – auch in höheren Preisregionen – offerieren. Die Auktionen fanden weitgehend ohne Saalpublikum statt. Warum die Versteigerungen trotzdem so erfolgreich verliefen, hat Karl-Heinz Knupfer, verantwortlich für die Bücher bei Venator & Hanstein, schlüssig erklärt: „Schon in den Auktionen der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass die Interessenten selten persönlich die Vorbesichtigung wahrnehmen, sondern aus der Ferne zusätzliche Informationen wie Zustandsberichte und Fotos erbitten. Auf Basis dieser Informationen wird geboten. Durch die Corona-Pandemie verhängte Kontaktverbote und Beschränkungen wirken sich daher kaum aus. Wichtig ist es, einen attraktiven Onlinekatalog zu haben und die Versteigerung auf verschiedenen Kanälen live zu übertragen, mit Bild und Ton.“
Clemens Reiss sprach sogar von einem sehr guten Jahr, konnte er insgesamt doch nahezu 100 Prozent der Schätzpreissumme realisieren. Man darf diesen Erfolg auch als schöne Belohnung für die aufwendig erstellten und hervorragend bearbeiteten vier Printkataloge ansehen. Auch Christoph Calaminus, bei Ketterer für die Buchabteilung verantwortlich, war mit einer Verkaufsquote von 95 Prozent (der Schätzpreissumme) sehr zufrieden. Die Exportzahlen unterstreichen die weltweit führende Stellung der deutschen Häuser. Markus Brandis meldet für Bassenge eine Quote von 55 Prozent. Abnehmer waren nicht nur Sammler und Händler aus dem europäischen Ausland – 40 Prozent des Exports gingen nämlich in die USA, nach Kanada, Mexiko und sogar nach China und Indien. Clemens Reiss nannte eine Exportquote von 60 Prozent, bei Ketterer waren es sogar 65 Prozent.
Überraschend hohe Zuschläge gab es immer wieder für Handschriften aus dem Mittelalter. Eine „Biblia latina vulgata“ aus dem 12. Jahrhundert, ein schönes Zeugnis des Übergangs von der romanischen zur gotischen Schrift, kletterte bei Ketterer von 20.000 auf 115.000 Euro. Ovids „Metamorphosen“ in einer gotisch-humanistischen Handschrift von 1462 ging dort für 50.000 Euro weg. Bei Reiss konnten die sogenannten „Hieronymus-Briefe“ aus der Feder des Bischofs Johannes von Neumarkt ihre Taxe mit einem Zuschlag bei 22.000 Euro mehr als verdoppeln. Und ein Stundenbuch aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts für den Gebrauch von Rouen erzielte 15.000 Euro.
Inkunabeln stießen in allen Häusern auf große Zustimmung. Schedels „Weltchronik“ im Koberger-Druck von 1493 wurde sowohl in der ersten lateinischen als auch in der ersten deutschen Ausgabe mehrfach offeriert. Bei Hartung wurden 56.000 Euro für die lateinische Ausgabe bezahlt, bei Ketterer kostete das „Liber chronicarum“ 47.000 Euro. Bei Reiss waren es 42.000 Euro für die lateinische und stattliche 60.000 Euro für die seltenere deutsche Ausgabe. Ein Glanzstück aus dem Angebot der Inkunabeln war die erste Straßburger Ausgabe des „Hortus sanitatis“, die 1497 von der Offizin des Johannes Prüss hergestellt worden ist. Der tadellos erhaltene Band mit den 1060 Holzschnitten war bei Bassenge hart umkämpft, Markus Brandis ließ den Hammer erst bei 55.000 Euro fallen. Ebenfalls aus der Offizin des Johannes Prüss stammt die älteste Sammlung von deutschen Reichsgesetzen, das illustrierte Exemplar der „Bulla aurea“ von 1485 brachte bei Ketterer 40.000 Euro. Bei Hartung gingen die vier Bände der „Summa theologica“ des Antoninus Florentinus im Koberger-Druck von 1479 für 18.000 Euro an einen Sammler. Und Clemens Reiss freute sich über 38.000 Euro für Molitoris’ Werk zum Hexenwesen von 1489, die Taxe hatte bei nur 8000 Euro gelegen.
Heiß begehrt waren die Erstausgaben der wissenschaftlichen Weltliteratur. Bei Bassenge übernahm Londoner Handel für 140.000 Euro Isaac Newtons „Philosophiae naturalis principia mathematica“. Und gleich darauf sicherte sich ein Telefon-Bieter aus England für 75.000 Euro die Erstausgabe von René Descartes „Discours de la méthode“. Und bei Ketterer fiel der Hammer beim Aufruf von Malthus’ „An essay on the principle of population“ erst bei 64.000 Euro.
Illustrierte Prachtwerke aus Botanik, Zoologie und Geologie fanden sich im Angebot aller Häuser. Das schönste Werk über die Wunderwelt der Fische ist Marcus Élieser Blochs „Ichthyologie“. Clemens Reiss offerierte ein komplettes Exemplar mit allen zwölf Bänden und 432 herrlich altkolorierten Kupfertafeln – für 60.000 Euro ging das 1785 in Berlin erschienene Meisterwerk an einen Sammler. Auch Tussacs „Flore des Antilles“ befand sich im Angebot des Königsteiner Hauses: Zuschlag 40.000 Euro. Bei Venator & Hanstein wurden für Hendrik Causés Prachtwerk „De koninglycke hovenier“ mit den leuchtend kolorierten Pflanzendarstellungen 16.000 Euro bewilligt. Und bei Bassenge erzielte William Hamiltons „Campi phlegraei“ über die Vulkane Süditaliens 33.000 Euro.
Starkes Interesse gab es beim Aufruf der Atlanten. Bei Hartung erzielten zwei Bände von Johannes Blaeus „Atlas Maior“ in der spanischen Ausgabe 19.000 Euro, Louis Renards „Atlas de la Navigation“ in der Erstausgabe mit altkolorierten Karten brachte 35.000 Euro. Bei Venator & Hanstein ging ein „Atlas nouveau“ von Jaillot aus dem Jahr 1692 für 17.000 Euro weg. Und Clemens Reiss verkaufte einen bemerkenswerten Sammelatlas mit Karten französischer und holländischer Kartografen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts für 32.000 Euro. Bei Ketterer kam auf der letzten Buchauktion des Jahres Lucas Janszoon Waghenaers altkolorierter Seeatlas von 1586 zum Aufruf. Ein Bieter aus England übernahm die Rarität nach heißem Bietgefecht für 260.000 Euro.
Starke Nachfrage gab es beim Aufruf hochwertiger Städtebücher. Bei Reiss gingen Band 3 und 4 des äußerst seltenen Städtebuchs des Janssonius für 50.000 Euro weg. Ketterer gab das berühmte „Civitates orbis terrarum“ von Braun und Hogenberg im Kölner Druck von 1612 für 55.000 Euro ab. Globen tauchen höchst selten im Handel auf. Ein Globus terrestris von Johann Gabriel Doppelmayr aus dem Jahr 1728 präsentiert die Welt in 24 einzelnen auf die Kugel geklebten Segmenten. Nicht nur die Porträts der bedeutendsten Entdecker jener Zeit, auch ihre Routen sind aufgezeichnet. Bei Bassenge bewilligte ein Bieter 8000 Euro für dieses Rarissimum. Und bei Reiss verzehnfachte ein seltener Himmelsglobus, entworfen und hergestellt im Jahr 1700 in Nürnberg, seine Taxe: Zuschlag 20.000 Euro.
Für die Altmeistergrafik ist nach wie vor Venator & Hanstein die führende Adresse. Holzschnitte und Radierungen von Dürer und Rembrandt fanden ihre Käufer. Und auch das Angebot an moderner Druckgrafik und Künstlerbüchern war ein Genuss. Roy Lichtensteins Farbserigrafie „Red Barn“ brachte erstaunliche 26.000 Euro. Und HAP Grieshabers Holzschnitt „Anwalt“ von 1953 verbesserte sich von 6000 auf 8500 Euro.
Hervorragende Ergebnisse erzielten im abgelaufenen Jahr die Autografen. Bei Stargardt konnte man mehr als zufrieden sein. Wolfgang Mecklenburg, in vierter Generation Inhaber des im Autografenhandel weltweit führenden Hauses, erzielte auf seiner Frühjahrsauktion einen Umsatz von 2,3 Millionen Euro. Die Summe der Schätzpreise hatte bei 1,8 Millionen gelegen. Vor allem die Musikerhandschriften waren stark umkämpft. Albumblätter, Briefe und Billette von Frederyk Chopin gingen für 277.000 Euro weg. Mozarts eigenhändiges Manuskript mit vier vollständigen Kanon-Kompositionen brachte 130.000 Euro. Ein Skizzenblatt Beethovens zu einem späten Streichquartett wurde für 85.000 Euro zugeschlagen. Und Richard Wagners signiertes Musikmanuskript, zehn Blätter mit Orchesterstimmen zum Wesendonck-Lied „Träume“, erzielte 90.000 Euro.
Auch die Autografen großer Dichter und Philosophen fanden engagierte Abnehmer, die hohe Summen bewilligten. Ein eigenhändiges Manuskript Friedrich Schillers kostete 42.000 Euro. Und auch ein Manuskript Friedrich Hölderlins übertraf mit 22.000 Euro die Erwartungen. Ein Brief von Karl Marx überraschte mit 42.000 Euro. Zwei Briefe von Friedrich Nietzsche brachten 20.000 und 14.000 Euro. Und die Korrespondenz Walter Benjamins erreichte 30.000 Euro.
Neben Stargardt hat sich Bassenge bei den Autografen als engagiertes Haus etabliert. Der Katalog der Frühjahrsauktion listete knapp 300 Lose. Zum Aufruf kam unter anderen ein Brief, den der Komponist Robert Schumann am 12. Februar 1854, zwei Wochen vor einem Suizidversuch, geschrieben hat. Den Zuschlag erhielt das Düsseldorfer Heinrich-Heine-Museum bei 12.000 Euro. Herausragend auch Georg Heyms eigenhändig niedergeschriebene Gedichte, für die ein Sammler 30.000 Euro bewilligte. Auch in den unteren Preisregionen gab es eine Fülle hochinteressanter Briefe bekannter Dichter, Komponisten und Wissenschaftler. Aber auch die anderen Häuser konnten erfolgreich Autografen verkaufen. Bei Hartung etwa übernahm ein Sammler einen eigenhändigen Brief Goethes für 18.000 Euro.
Um die Zukunft der deutschen Buchauktionshäuser muss man sich keine Sorgen machen – schon eher um die Zukunft der Stadtantiquare. Für die junge Generation spielt das Buch als Kulturträger keine Rolle mehr. Die jungen Sammler fehlen. Viele Antiquare lehnen bereits den Ankauf von Erstausgaben der deutschen Literatur ab. Ihre Lager sind voll – und kein Kunde fragt mehr danach. Unvergesslich die lapidaren Worte eines Antiquars auf der letzten Leipziger Antiquariatsmesse, mit denen er das Angebot eines Sammlers, der etwas über 1000 Titel der führenden deutschen Nachkriegsautoren verkaufen wollte, ablehnte: „Heben Sie die Bücher gut auf“, meinte er, „nach dem nächsten Weltkrieg sind das wieder Raritäten.“