Auktionsrückblick 19. Jahrhundert

Aufwind für die Vormoderne

Der Auktionsmarkt für die Kunst des 19. Jahrhunderts war in den vergangenen zwölf Monaten durch pandemiebedingte Verknappung geprägt. Dennoch gab es positive Überraschungen und den ein oder anderen Künstlerrekord

Von Michael Lassmann
26.03.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 5

Letztes Jahr ist er nun also tatsächlich eingetreten, der oft erwartete, verdrängte und herbeigeredete „Worst Case“: Ausgerechnet bei Claude Monet, dem so planbaren Umsatzgaranten, blieb der Nachschub an „musealen Qualitäten“ aus, die jede Auktion erst zum großen Kino machen. Beständiger als seine Impressionisten-Kollegen hatte seine Marktperformance die Jahresbilanzen für dieses schwächelnde Segment fast immer ein bisschen besser aussehen lassen. Ist der Markt nun endgültig leer gefegt, oder wurden Spitzenqualitäten angesichts der Pandemie vorsorglich zurückgehalten? Zwar gab es fünf Zuschläge im siebenstelligen Bereich, doch im Vergleich zum Vorjahr, in dem allein ebenso viele achtstellige Ergebnisse notiert wurden, waren das allenfalls Peanuts. So reichte am 6. Oktober – im „20th Century Evening Sale“ bei Christie’s New York – ein Höchstgebot von 3,9 Millionen Dollar für seine „Kirche von Vernon“, um den Jahresbestwert zu schreiben – wobei die Taxe sogar knapp verfehlt wurde.

Mit dem vormodernen 19. Jahrhundert konnte man diesen Einbruch kaum auffangen, doch gab es hier einige positive Überraschungen und auch Künstlerrekorde. Für Albert Anker wurde zwar keine neue Bestmarke etabliert, doch immerhin setzte Beurret & Bailly / Galerie Widmer, Basel, am 24. Juni für sein noch sehr akademisch aufgefasstes Genre-Bild „Die Taufe“ die vorgeschlagene Taxe von 1,2 Millionen Franken durch. Sotheby’s London realisierte am 28. Juli für William Turners Landschaftsmotiv „Whally Brücke und Abtei, Lancashire: Färber beim Waschen und Trocknen von Stoffen“ einen Zuschlag bei 1,1 Millionen Pfund, John Constable kam dagegen nicht einmal an eine Viertelmillion heran. Ihr Landsmann, der Landschafts- und Vedutenmaler James Webb, erzielte in der Vergangenheit eher moderate Preise; von 300 Losen kam in den letzten zehn Jahren nur ein Dutzend über 10.000 Euro hinaus.

Am 28. Mai offerierte Van Ham, Köln, seine „Ansicht von Köln mit dem unvollendeten Dom“ zum Schätzpreis von 100.000 Euro, doch um das großformatige Hauptwerk wie geplant dem Kölner Rathaus als Leihgabe überlassen zu können, musste der Käufer nochmals um 25.000 Euro aufstocken – mit Abstand das beste Ergebnis für eine Arbeit Webbs! Im November bot das Haus ein typisches Werk des polnischen Porträt- und Genremalers Ladislaus von Czachórsky an, der an der Münchner Akademie studierte, in Deutschland jedoch nur selten gehandelt wird. Mit dem Ergebnis von 165.000 Euro konnte sein recht konventionelles „Träumendes Mädchen“ die Taxe mehr als verdoppeln. In der gleichen Auktion kam auch das eigentlich aussichtsreiche Genre-Motiv „Zwei Venezianerinnen. Der Ring“ von Eugen von Blaas zum Aufruf, doch wider Erwarten gelangte der amerikanische Käufer bereits 10.000 Euro unterhalb der Taxe von 130.000 ans Ziel; daheim in den USA, wo für von Blaas Höchstpreise bezahlt werden, wäre er vermutlich nicht so preiswert davongekommen; erst im Vorjahr war bei Sotheby’s New York eine recht unternehmend dreinblickende „Rosenverkäuferin“ mit einer halben Million Dollar bewertet worden. Wenigstens hatte sich im Wiener Dorotheum das seltene Interieur „Begrüßung am Morgen“ am 8. Juni von 120.000 auf 150.000 Euro verbessert.

1,2 Millionen Franken erzielte Albert Ankers Ölbild „Die Taufe“ von 1864 am 24. Juni 2020 bei Beurret & Bailly / Galerie Widmer in Basel. © Beurret & Bailly
1,2 Millionen Franken erzielte Albert Ankers Ölbild „Die Taufe“ von 1864 am 24. Juni 2020 bei Beurret & Bailly / Galerie Widmer in Basel. © Beurret & Bailly

Für Carl Spitzweg war 2020 ein Ausnahmejahr. Am 6. Mai realisierte Neumeister, München, für sein Gemälde „Das Auge des Gesetzes (Justitia)“ mit einem Hammerpreis von 550.000 Euro das höchste Ergebnis seit dem hauseigenen Rekord im September 2000. Bereits im Vorfeld der Auktion hatte das wohl unverblümteste Statement des Künstlers zum politischen Klima im Deutschland der Restauration dank einer umfangreichen Dokumentation des Hauses zu seiner Restitutionsgeschichte für Aufsehen gesorgt: 1937 als Notverkauf des jüdischen Kaufmanns und Sammlers Leo Bendel in den Münchner Kunsthandel gelangt, wurde es dort für das geplante „Führermuseum“ in Linz erworben und landete nach dem Krieg auf Umwegen 1961 beim Bund, der es für den Sitz des deutschen Bundespräsidenten anforderte; erst 2019 wurde es an die Erben Bendels restituiert, zusammen mit einem weiteren Hauptwerk Spitzwegs aus dem Bestand der Sammlung Dr. Rudolf August Oetker, dessen Familie es seinerzeit beim gleichen Händler erworben hatte. Mit maßvoll geschätzten 300.000 Dollar wurde „Der Hexenmeister“ am 15. Oktober bei Christie’s New York angeboten und übertraf mit einem Zuschlag bei einer runden Million sogar das Münchner Ergebnis.

Blaas Begrüßung Jahresübersicht Dorotheum
Das seltene Interieur „Begrüßung am Morgen“ von Eugen von Blaas verbesserte sich am 8. Juni im Wiener Dorotheum von 120.000 auf 150.000 Euro. © Dorotheum, Wien

Einen Monat später vermittelte die Londoner Filiale Gustav Bauernfeinds bereits einmal durchgefallene Genre-Szene „Wächter der Moschee, Damaskus“ für 2,2 Millionen Pfund und damit 700.000 über Taxe. Die Offerte an Werken des deutschen Orientalisten war in den zurückliegenden Jahren recht durchwachsen, doch nachdem bei der Versteigerung der Najd-Collection im Vorjahr bei Sotheby’s London zwei Preise um die 3 Millionen Pfund ermittelt worden waren, konnte man dort ein weiteres Spitzenwerk akquirieren; allerdings verfehlte die „Prozession in Jaffa“ mit 1,4 Millionen Pfund knapp die Taxe.

Rares war bei Lempertz, Köln, zu finden: Mit einer Ansicht von „Salt Lake City“ präsentierte man am 21. November – jedenfalls soweit zu ermitteln – das bislang einzige Ölbild des deutschstämmigen Indianermalers Rudolf Cronau, das je auf eine Auktion gelangte. Der Lohn für den abseitigen Fund: Ein Hammerpreis von 16.000 Euro, 10.000 mehr als erwartet. Eine Woche zuvor hatten die Kölner eine „Mühle im Eichtal“ des fast ebenso selten angebotenen Romantikers Ferdinand Oehme versteigert. Die bereits Oehmes realistischer Phase zuzurechnende Landschaft ist das einzige Gemälde, das seit 2014 von ihm auf den Markt kam – auch wenn es im Jahr zuvor bereits 40.000 Euro bei Nagel in Stuttgart geholt hatte. Die angestrebte Aufwertung gleich um das Doppelte schien nach nur 13 Monaten ein wenig forsch, aber immerhin fand sich ein Bieter, der einen Aufpreis von 30.000 Euro akzeptierte.

Anselm Feuerbachs Großformat „Jacob und Rachel“ wurde am gleichen Tag für 100.000 Euro vermittelt. Die unerwartet positive Resonanz auf die seltene alttestamentliche Szene könnte eine Trendwende einleiten, denn seit dem elf Jahre alten Rekordzuschlag von 380.000 Pfund für seine gramgebeugte „Medea“ war keines seiner Gemälde über die Schwelle von 30.000 Euro gelangt. Zehn Lose später kam es für den Bauernmaler Reinhard Sebastian Zimmermann zum bislang höchsten Zuschlag. Meist sind seine anekdotischen Szenen bereits zu vierstelligen Preisen zu haben, doch für eine reich staffierte „Hochzeit in Dachau“ fand sich ein Käufer, der immerhin 5000 Euro über die Taxe von 35.000 hinausging, um seine Mitbieter abzuhängen.

Michael Nehers 1855 entstandenes Gemälde „St. Leonhardskirche in Frankfurt am Main“ brachte am 21. November 2020 bei Arnold in Frankfurt a. M. einen Zuschlag von 110.000 Euro. © Arnold, Frankfurt
Michael Nehers 1855 entstandenes Gemälde „St. Leonhardskirche in Frankfurt am Main“ brachte am 21. November 2020 bei Arnold in Frankfurt a. M. einen Zuschlag von 110.000 Euro. © Arnold, Frankfurt

Michael Nehers Städteansichten mit historischen Architektur-Ensembles besitzen außer feinmalerischem Reiz auch großen dokumentarischen Wert, weshalb sie meist zu soliden Preisen zwischen 50.000 und 100.000 Euro vermittelt werden. Die Hürde von 100.000 Euro fiel jedoch zuletzt vor zehn Jahren. Die scheinbar uninformierte Taxe von 10.000 Euro, die Arnold in Frankfurt / Main am 21. November für einen Blick auf die „St. Leonhardskirche in Frankfurt am Main“ in den Raum stellte, schien kein außergewöhnliches Resultat zu versprechen, doch zweifellos setzte man auf den psychologischen Effekt niedriger Schätzpreise und konnte so am Ende den eigenen Heimvorteil in einen überzeugenden Erfolg umwandeln: Der Hammer fiel erst bei 110.000 Euro.

So erfreulich wie überfällig ist die zunehmende Wertschätzung für den havelländischen Impressionisten Karl Hagemeister. Erst seit etwa zehn Jahren notiert man für ihn Werte über 50.000 Euro, doch 2020 hob Ketterer, München, gleich vier seiner Gemälde über die Schwelle von 100.000 Euro und etablierte damit für ihn ein neues Preisniveau. Am 18. Juli stieg dort ein Motiv mit „Birken im Herbst am Bachlauf“ von betont gemessen geschätzten 10.000 Euro unversehens auf 165.000, was in etwa dem Doppelten dessen entspricht, was für ein Werk von entsprechender Qualität bis dahin zu erhoffen war. Gleich darauf war dieser erdrutschartige Rekord mit einem in engem Bildausschnitt gegebenen „Waldweiher“ bereits wieder eingestellt: Das 1894 datierte Großformat landete bei 175.000 Euro und spielte damit genau das Fünffache der Taxe ein. Diesen unerwarteten Erfolg konnten die Münchner am 2. Dezember mit zwei weiteren Spitzennotierungen bestätigen. Die Schätzung auf 8000 Euro für eine intime „Uferlandschaft mit Kiefern und Seerosen“ beachteten die Bieter nicht weiter und trieben die Arbeit der Jahrhundertwende entschlossen auf 130.000 Euro. Mit dem gleichen Elan wurde die im Anschluss aufgerufene „Bewegte See mit gischtenden Wellenkämmen“ von angedachten 30.000 knapp über die 100.000-Euro-Marke gehoben.

Die Arbeiten des havelländischen Impressionisten Karl Hagemeister sind im Kommen – „Birken im Herbst am Bachlauf“, eine um 1910 entstandene Mischtechnik auf Leinwand, kletterte bei Ketterer in München am 18. Juli 2020 von 10.000 auf 165.000 Euro. © Ketterer Kunst GmbH und Co. KG
Die Arbeiten des havelländischen Impressionisten Karl Hagemeister sind im Kommen – „Birken im Herbst am Bachlauf“, eine um 1910 entstandene Mischtechnik auf Leinwand, kletterte bei Ketterer in München am 18. Juli 2020 von 10.000 auf 165.000 Euro. © Ketterer Kunst GmbH und Co. KG

Für Hagemeisters Mitstreiter in der Berliner Secession Lesser Ury sind sechsstellige Preise bereits seit Langem akzeptiert, doch sein New Yorker Preisrekord von 2010 (Zuschlag 560.000 Dollar) wurde seither nicht mehr erreicht. Immerhin legte Karl & Faber, München, am 16. Juli mit 220.000 Euro für eine Impression vom „Kurfürstendamm bei Nacht“ ein solides Ergebnis vor. Am gleichen Ort gelang im November für den Pionier der Münchner Landschaftsschule Johann Georg von Dillis der höchste Zuschlag seit fünf Jahren: Eine zwischen 1820 und 1830 entstandene „Süddeutsche Landschaft mit Wanderern“ blieb statt der angedachten 20.000 erst bei 30.000 Euro stehen.

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