Heinrich Vogeler

Mehr als bloße Schönheit

Die Gemälde des Malers, Zeichners und Sozialisten Johann Heinrich Vogeler haben sich auf dem Kunstmarkt erheblich verteuert

Von Michael Lassmann
30.04.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 7

Auf die Rolle des Schöngeists wollte er sich nicht beschränken: Johann Heinrich Vogeler (Bremen 1872–1942 Kolchos Budjonny bei Kornejewka, Kasachische SSR), Mitglied der ersten Generation der Künstlerkolonie Worpswede, betätigte sich zunächst als Maler, Zeichner und Grafiker, bald auch als Designer, Innenarchitekt, Dichter, Theoretiker, Pädagoge, Lebensreformer und verhinderter Städteplaner. In der Reformbewegung des Jugendstils und dem umfassenden Gestaltungsanspruch des Gesamtkunstwerks nahm er seinen Anfang, doch die Erfahrung des Ersten Weltkriegs überzeugte ihn, dass die enormen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen der Zeit einem Künstler mehr abverlangten als die Positionierung zu ästhetischen Fragen. In diesem Zusammenhang bezeichnete er den dekorativen Stil seiner Illustrationen für die Zeitschrift „Die Insel“ einmal selbstkritisch als „… uferlose Romantik, hinter aller Wirklichkeit und im Widerspruch zu ihr.“ So führte ihn seine Distanz zum noch von bürgerlichen Idealen getragenen Kunstbegriff seiner Zeit über die Auseinandersetzung mit der sozialen Frage zum Kommunismus und in letzter Konsequenz 1931 zur Übersiedlung in die Sowjetunion.

Nachvollziehbar wird seine persönliche Entwicklung an der Abfolge seiner Stilphasen, die vom lyrischen Romantizismus seiner grazilen Jugendstil-Arbeiten über symbolistisch überhöhte Figurenbilder und unliterarische Landschaftsimpressionen zu den seit 1924 entstandenen Komplexbildern führte – kubistisch und futuristisch inspirierten Kompositionen mit prismenhaft aufgefächerten Einzelszenen zum übergeordneten Bildthema. Die späten, den Dogmen des „Sozialistischen Realismus“ folgenden Arbeiten seiner russischen Jahre versagen sich in ihrer Zweckgebundenheit allerdings einer ästhetischen Bewertung.

Grisebach in Berlin konnte am 28. November 2013 Johann Heinrich Vogelers 1909 datierte Allegorie „Kommender Frühling“ von 40.000 auf 90.000 Euro heben. © Grisebach GmbH, Berlin
Grisebach in Berlin konnte am 28. November 2013 Johann Heinrich Vogelers 1909 datierte Allegorie „Kommender Frühling“ von 40.000 auf 90.000 Euro heben. © Grisebach GmbH, Berlin

Sein in Düsseldorf begonnenes Kunststudium absolvierte der Sohn eines vermögenden Kaufmanns 1894. Noch im gleichen Jahr schloss er sich den Künstlern in Worpswede an. Mit ihnen beteiligte er sich 1895/96 an erfolgreichen Ausstellungen im Münchner Glaspalast. Bibel- und Sagenstoffe in heimischer Landschaft bildeten den Themenschwerpunkt der präraffaelitisch inspirierten Arbeiten dieser Jahre, doch einer breiten Öffentlichkeit wurde Vogel durch seine zahlreichen Buch-Illustrationen bekannt, unter anderem für Gerhard Hauptmanns „Die versunkene Glocke“, sowie für Ausgaben von Oscar Wilde, Hugo von Hofmannsthal und den Gebrüdern Grimm. Daneben widmete er sich Design-Aufgaben – zunächst der Gestaltung von Bucheinbänden, doch nach einem Auftrag zur Raumdekoration der Güldenkammer im Bremer Rathaus erschloss er sich weitere Bereiche der angewandten Kunst. Für Konsumenten mit schmalem Budget entwarf er nun auch Bestecke, Gläser, Porzellan und Möbel zum Verkauf im Kunst- und Gewerbehaus Worpswede, dem von ihm 1907 mitbegründeten Deutschen Werkbund und der von seinem Bruder Franz geführten Worpsweder Werkstätte in Tarnstedt. Aus dem ersten Weltkrieg als geschworener Pazifist und Sozialist hervorgegangen, widmete er seinen Wohnsitz in Worpswede 1919 zur „Kommune und Arbeitsschule Barkenhoff“ um, die Kindern aus sozial schwachen Milieus den Zugang zu Bildung und Kreativität ermöglichen sollte.

Hinter diesen Aktivitäten trat seine Malerei vorübergehend in den Hintergrund, bis er sie mit seinen stilistisch autonomen Komplexbildern, zuletzt mit standardisierten Programmwerken in den Dienst sowjetischer Propaganda stellte. Seine Anpassung bewahrte ihn beim Marsch deutscher Truppen auf Moskau nicht vor der Zwangsumsiedlung nach Kasachstan 1941, wo er im Juni des folgenden Jahres starb.

Nachdem in den Nullerjahren immerhin noch 28 Gemälde auf den Auktionsmarkt gelangt waren, schmolz die Offerte im letzten Jahrzehnt auf 17 Lose, was einem Rückgang um satte 40 Prozent entspricht. Das genügte offenbar, um Käufer zu alarmieren, die leichter zu einer Kaufentscheidung fanden und lediglich drei Lose zurückwiesen; vor 2011 hatten sie sich bei einer Rückgangsquote von 40 Prozent noch ungleich wählerischer gezeigt. Damit korrespondieren auch die Preise, die kräftig angezogen haben. Zwar wurde der Rekordwert von über 400.000 D-Mark zum Auftakt des neuen Jahrtausends bei Grisebach, Berlin, für ein Bildnis von Vogelers Tochter Mascha („Mädchen mit Katze“) seither nicht annähernd mehr erreicht, doch im Durchschnitt haben sich seine Gemälde erheblich verteuert. Das belegen nicht nur die wenigen Zuschläge unter 10.000 Euro, deren Anteil sich halbiert hat, sondern auch der steigende Kurswert der Premium-Qualitäten. Inzwischen liegen 70 Prozent der Transaktionen über 20.000 Euro (vorher knapp 20 Prozent), gut 40 Prozent über 30.000 Euro (zuvor 12 Prozent). Sechsstellige Ergebnisse blieben zwar unverändert außer Reichweite, doch wenigstens gelangen drei Zuschläge über 50.000 Euro – eine Schwelle, die in der vorangegangenen Dekade unerreichbar schien. Allerdings wurden solche Spitzenwerte seit 2013 nicht mehr realisiert.

Johann Heinrich Vogelers 1914 gemalte Ansicht „Hinterm Barkenhoff“ erzielte am 28. November 2015 in der Cuxhavener Auktionshalle taxgerechte 30.000 Euro. © Cuxhavener Auktionshalle
Johann Heinrich Vogelers 1914 gemalte Ansicht „Hinterm Barkenhoff“ erzielte am 28. November 2015 in der Cuxhavener Auktionshalle taxgerechte 30.000 Euro. © Cuxhavener Auktionshalle

Dabei ließ sich das vergangene Jahrzehnt vielversprechend an: Zwar verhieß die Taxe von 8000 Euro für eine „Straßenszene in Kalusz“ im April 2011 bei Stahl, Hamburg, keine Spitzen-Notierung, doch mit einem Höchstgebot von 52.000 Euro gelang überraschend das beste Ergebnis seit mehr als zehn Jahren. Die beiden Top-Werte des Jahrzehnts schrieb allerdings Künstlerrekord-Halter Grisebach, Berlin. Vor allem wohl dank der prominenten Modelle holte dort im Mai 2013 eine intime Szene mit „Martha Vogeler und Paula Modersohn-Becker im Garten schlafend“ statt der erwarteten 25.000 Euro sogar 70.000, sechs Monate später wurde am gleichen Ort die 1909 datierte Allegorie „Kommender Frühling“ von 40.000 auf 90.000 Euro hochgesteigert.

Danach fielen die Zahlen deutlich bescheidener aus: Genau zwei Jahre später kam die 1914 gemalte Ansicht „Hinterm Barkenhoff“ in der Cuxhavener Auktionshalle mit dem Hammerpreis 30.000 Euro nicht über die untere Taxe hinaus. Eine weitere Landschaft wurde im September 2017 bei Neumeister, München, versteigert, die Partie „Am Rand der Heide (Heidelandschaft I)“ wurde von gewohnt günstig geschätzten 10.000 auf 28.000 Euro gehoben. Nur wenige Tage zuvor hatte Bolland & Marotz, Bremen, das Märchen-Motiv „König mit Schäferin“ zum Startpreis von 50.000 Euro offeriert und auch vermittelt – ein für den neuen Eigentümer offenbar optimierbares Ergebnis, denn bereits im darauffolgenden November bekamen die Kunden von Grisebach das Bild nochmals zur Kurskorrektur vorgelegt. Das Ergebnis fiel nicht aus wie erhofft, denn der zweite, wohl auch allzu hastig angegangene Versuch endete mit einem Wertverlust von 10.000 Euro. Im März 2018 präsentierte Sotheby’s, London, einen Karton von 1923 mit dem untersichtig gegebenen „Treppenaufgang zum Barkenhoff“, der sich von 12.000 auf 25.000 Pfund verbesserte, drei Monate später wurde bei Grisebach, Berlin, ein seltenes „Blumenstillleben mit Rhododendron“ von 18.000 auf 30.000 Euro gehoben. Seither war die Offerte spärlich, und im Mai 2019 schrieb Van Ham Köln, denn auch das vorerst letzte Ergebnis für ein Gemälde Vogelers. Das in den Jahren vor der Jahrhundertwende entstandene Großformat „Juninacht“ wechselte für taxgerechte 40.000 Euro den Besitzer.

Das in den Jahren vor der Jahrhundertwende entstandene Großformat „Juninacht“ von Johann Heinrich Vogeler erzielte bei Van Ham in Köln am 29. Mai 2019 den Schätzpreis von 40.000 Euro. © Van Ham, Köln
Das in den Jahren vor der Jahrhundertwende entstandene Großformat „Juninacht“ von Johann Heinrich Vogeler erzielte bei Van Ham in Köln am 29. Mai 2019 den Schätzpreis von 40.000 Euro. © Van Ham, Köln

Das umfangreiche Radier-Werk, nach Vogelers eigenen Worten seine „sociale Malerei“, wird – wie von ihm intendiert – noch zu günstigen Preisen gehandelt. Ein herausragendes Ergebnis erzielte allerdings Ende letzten Jahres bei Lempertz, Köln, ein Exemplar seines selten angebotenen Mappenwerks „An den Frühling“ mit zehn Radierungen, die, wenigstens in der Einschätzung seines Freundes Rainer Maria Rilke, nicht dafür geschaffen waren, „sich an Wände zu wünschen“, gleichwohl „zu den schönsten Offenbarungen seines Werks“ gehörten. Die Mappe wurde für 14.000 Euro vermittelt, verfehlte damit allerdings knapp die Taxe.

Resümee

  • Mit nur 17 Losen ist die Offerte an Gemälden seit 2011 um 40 Prozent geschrumpft; die Quote der Rückgänge sank auf unter 20 Prozent.
  • Mit dem verbesserten Absatz korrespondieren die gestiegenen Preise: die unter 10.000 Euro halbierten sich, die über 30.000 Euro wurden verdreifacht.
  • Erstmals seit 2000 wurden wieder – fast ausschließlich in Deutschland angeboten – drei Werte über 50.000 Euro notiert, zuletzt allerdings 2013.
  • Klare Präferenzen einzelner Schaffensphasen gab es aufgrund der schmalen Offerte nicht; an der Preisspitze fanden sich neben einem Frühwerk vor der Jahrhundertwende Datierungen sowohl vor und nach dem Ersten Weltkrieg

Service

LITERATUR

Heinrich Vogeler-Gesellschaft, „Das künstlerische Werk“, Artikel „Heinrich Vogelers Expressionismus“ und „Die Komplexbilder“ von Bernd Stenzig, Artikel „Symbolismus und Jugendstil in Malerei und Grafik von Heinrich Vogeler“ von Hans H. Hofstätter

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