Walter Gramatté

Aus der Seele gesprochen

Randexistenz der Moderne: Die Werke des 1929 jung verstorbenen Malers und Grafikers Walter Gramatté haben auf dem Kunstmarkt noch kein solides Preisfundament

Von Gabriele Himmelmann
08.04.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 5

„Es ist eine verfluchte Sache, die Kunst, eine Mordsqual, aber es gibt doch Momente, die man für nichts hergeben würde“ – so formuliert es der im Jahr 1929 mit nur 32 Jahren verstorbene Maler, Zeichner und Grafiker Walter Gramatté. In seinem vieldeutigen Werk zeigt sich eindrücklich das Krisenbewusstsein seiner Generation: Der Künstler entwickelte bildliche Chiffren, um überzeitliche existentielle Erfahrungen zu vermitteln.

Geboren 1897 in Berlin, hatte sich Gramatté 1914 als Freiwilliger zum Kriegsdienst verpflichtet. Mit dauerhaft zerrütteter Gesundheit kehrte er schließlich aus dem Krieg zurück. Ein Kunststudium, das er zuvor begonnen hatte, gab er wieder auf – sein subjektives Welterleben sollte unabhängig von akademischen Vorgaben mit einer eigenständigen Bildsprache zur Anschauung gebracht werden. So entstanden Porträts, Selbstbildnisse und andere Figurenbilder, die die Dargestellten fremd und unverbunden vor weiten, trostlosen Landschaften, in beklemmend schmalen Innenräumen oder vor rasant sich verengenden Großstadtstraßen zeigen. Neben der suggestiven Raumbildung wird auch der Farbe erzählerische Bedeutung zugewiesen. Dynamische Kontraste, ein alarmistisches Rot, tiefe Schwärze, aber auch kühles Blaugrau oder fahles Türkis steigern die jeweils intendierte Bildstimmung. Vielfach werden die Porträtierten mit Blumen in Beziehung gesetzt; diese erscheinen als beseelte Gebilde, die die Gefühlszustände der Dargestellten kommentieren und unterstützen. Zerbrechlich zart, schwach und müde neigen sie sich den Menschen entgegen – oder sie spannen sich mit lebendiger Kraft über die Bildfläche und bilden eine Gitterstruktur aus, hinter der die Gezeigten fast verschwinden.

Die Farblithografie „Mädchen am See“ von 1920/21 wurde bei Irene Lehr, Berlin, im Mai 2019 mit 1600 Euro zugeschlagen. © Lehr, Berlin
Die Farblithografie „Mädchen am See“ von 1920/21 wurde bei Irene Lehr, Berlin, im Mai 2019 mit 1600 Euro zugeschlagen. © Lehr, Berlin

Oft malte er seine Ehefrau, die russische Komponistin Sophie-Carmen Fridman-Gramatté. An ihren Bildern zeigt sich noch einmal beispielhaft Gramattés Gestaltungsweise: Die Zeitgenossen beschrieben sie als lebhaft und gesellig, aber in seinen Werken erscheint sie weltabgewandt, einsam und isoliert. An die Stelle des tatsächlich Gegebenen tritt die gefühlte Wirklichkeit des Künstlers.

Auch in Gramattés Landschaften – sogar in seinen Stillleben – sind die Dinge in ihrer stillen Präsenz Mittler subjektiver Verfasstheiten. Es ist eine Kunst, die – wie es die Hamburger Kunsthistorikerin Rosa Schapire schon früh formulierte – „ganz von seelischen Zuständen beherrscht wird.“ An anderer Stelle wird von einer „starken Beziehung zu allem Abgründigen der Seele“ gesprochen. Das Interesse an „seelischen Zuständen“ zeigt sich auch in Gramattés Illustrationen zu literarischen Texten, die einen wichtigen Teil des Gesamtwerks bilden. Es waren nicht nur zeitgenössische Autoren wie Hermann Kasack und Manfred Georg, deren Werke er illustrierte – mit Nikolai Gogol, Georg Büchner und Leo Tolstoi wandte er sich auch Erzählern des 19. Jahrhunderts zu. Die experimentellen Möglichkeiten der verschiedenen Drucktechniken ausnutzend, entwarf er die Eigenheiten der handelnden Figuren – es waren vor allem die gesellschaftlichen Außenseiter, die er gestaltete und mit denen er sich wesensverwandt fühlte.

„Selbst in Barcelona“, ein 1924 entstandenes Aquarell Walter Gramattés, verdoppelte am 26. Oktober 2018 bei Grisebach in Berlin mit einem Zuschlag bei 20.000 Euro die Taxe. © Grisebach, Berlin
„Selbst in Barcelona“, ein 1924 entstandenes Aquarell Walter Gramattés, verdoppelte am 26. Oktober 2018 bei Grisebach in Berlin mit einem Zuschlag bei 20.000 Euro die Taxe. © Grisebach, Berlin

Die Intensität und Aussagekraft von Gramattés Werken wurde auch von seinen Zeitgenossen wahrgenommen und geschätzt, darunter Künstlerkollegen wie Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff. Eine rege Sammlertätigkeit, aber auch eine Fülle von Ausstellungen in Galerien, Kunstvereinen und Museen bezeugen dies. Wenige Jahre nach seinem frühen Tod im Jahr 1929 wurde eine große Gedächtnis-Wanderausstellung eröffnet, die allerdings unter dem Druck der Nationalsozialisten vorzeitig geschlossen wurde. Ab 1936 wurden rund 30 Werke von Walter Gramatté aus deutschen Museen entfernt.

Heute ist Gramatté ein weitgehend vergessener Künstler, dessen Werk es wiederzuentdecken gilt. Dies spiegelt auch der Kunstmarkt. Druckgrafische Arbeiten, Aquarelle und Ölgemälde stehen immer wieder zum Verkauf; die Preise haben sich aber noch nicht gefestigt. So wurde beispielsweise der Holzschnitt „Lauscher“ (1920), der Gramattés virtuosen Umgang mit dem Medium und seinen Möglichkeiten bekundet, bei Kornfeld, Bern, im Juni 2018 bei 800 Franken – unterhalb des Schätzpreises von 1000 Franken – abgegeben. Die Farblithografie „Mädchen am See“ von 1920/21 wurde bei Irene Lehr, Berlin, im Mai 2019 mit 1600 Euro ebenfalls unter dem Schätzpreis (2000 Euro) zugeschlagen. Auch der Holzschnitt „Bildnis Siddi Heckel“ (1919) blieb mit dem Zuschlag bei 1600 Euro Ende September 2020 bei Venator & Hanstein in Köln hinter den Erwartungen (Taxe 2000 Euro).

2400 Euro brachte Walter Gramattés „Selbstbildnis“, eine 1919 entstandene Lithografie, am 6. Juni 2020 bei Bassenge in Berlin. © Bassenge, Berlin
2400 Euro brachte Walter Gramattés „Selbstbildnis“, eine 1919 entstandene Lithografie, am 6. Juni 2020 bei Bassenge in Berlin. © Bassenge, Berlin

Die Lithografie „Selbstbildnis“ von 1919 hingegen konnte ihren Schätzpreis von 800 Euro mit dem Zuschlag bei 2400 Euro im Juni 2020 bei Bassenge in Berlin verdreifachen. Das Aquarell „Selbst in Barcelona“ aus dem Jahr 1924, entstanden während eines längeren Aufenthaltes in Spanien, verkaufte sich bei Grisebach in Berlin Ende Oktober 2018 für 20.000 Euro und verdoppelte damit den Schätzpreis. Den bislang höchsten Zuschlag gab es mit 84.000 Euro (Taxe 60.000 Euro) im Juni 2012 bei Ketterer, München, für das Gemälde „Die große Angst“, eine überaus eindrückliche Gestaltwerdung einer emotionalen Erfahrung.

Die letzten höheren Zuschläge für Ölgemälde wurden in Berlin erzielt. Bei Irene Lehr wurde der „Trinker“ (1922) Ende April 2016 von 40.000 auf 52.000 Euro gesteigert, Grisebach reichte im Dezember 2016 eine „Mondlandschaft mit Pferd“ (1921) bei 40.000 Euro weiter, verfehlte damit jedoch den Schätzpreis um 10.000 Euro. Das Preisniveau ist seit den Neunzigerjahren weitgehend gleich geblieben, ein großer Verkaufserfolg steht noch aus.

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