Der Möbelmarkt sendet mit einigen erstaunlichen Top-Zuschlägen positive Signale aus. Doch nach wie vor gibt es ein Gefälle zwischen hochpreisigen Spitzenstücken und charmanten Antiquitäten im vierstelligen Bereich
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10.05.2021
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Kunst und Auktionen Nr. 8
Der Möbelmarkt hebt nicht in allen Preislagen zum Höhenflug ab, aber er hat seine Sternstunden. Eine davon war gewiss die Versteigerung des aparten Kabinetts aus der Werkstatt des Pariser Ebenisten Adam Weisweiler: Nachdem im Oktober 2020 bei Christie’s New York das Bietgefecht um das grazile Möbel mit Pietra-dura-Front geendet hatte, mussten inklusive Aufgeld 1,1 Millionen Dollar bezahlt werden. Das war der Glanzpunkt der Versteigerung des Geschäftsinventars der legendären „Dalva Brothers“ aus New York – und das Auktionshaus hatte einen der raren siebenstelligen Brutto-Erlöse eingefahren, die in den letzten zwölf Monaten weltweit für Möbel gewährt wurden. Will Strafford, Christie’s Senior Spezialist für kontinentale Möbel, analysierte die Situation kurz danach treffend: „Das Ergebnis demonstriert die kontinuierliche Stärke eines Markts der Meisterwerke in Bezug auf französische Möbel des 18. Jahrhunderts.“
Das bedeutet: Potente Sammlerinnen und Sammler bleiben auf Luxuskurs. Die galantesten Ebenisten des 18. und 19. Jahrhunderts sind auch die Favoriten unserer Tage. Die Auflösung mehrerer hochbedeutender Universal-Sammlungen spülte da einiges auf den Markt. Ein unangefochtener Meister dieser Kategorie bleibt André-Charles Boulle, der Hoftischler Ludwigs XIV., der schon um 1700 in ganz Europa für seine Schildpattintarsien und seine prächtigen Bronzebeschläge berühmt war. Sotheby’s New York erzielte mit einem Hammerpreis von 1,6 Millionen Dollar für ein dem Nobelhersteller zugeschriebenes Bureau plat aus der Sammlung Zilkha im November den höchsten Preis des Jahres 2020. Aber auch George Jacob, der im revolutionär rumorenden Frankreich mit strengen Möbeln einen neuen Stil einläutete, ist in die siebenstellige Preiskategorie vorgestoßen. Auf 300.000 Euro hatte Artcurial, Paris, das vierteilige Sitzmöbel-Ensemble geschätzt, das der Ebenist 1778/79 für das Schlafzimmer des Comte d’Artois lieferte. Für 900.000 Euro wurde es im Juli an privat zugeschlagen, mit Aufgeld waren es 1,1 Millionen. Dass auch die brillanten Lackmöbel hoch gehandelt wurden, dafür steht eine außergewöhnlich attraktive Japan-Lack-Kommode aus der Werkstatt Desforges. Das Rokoko-Möbel von 1745 wechselte im November bei Sotheby’s für 500.000 Dollar in neue Hände.
Stücke aus Berlin, Neuwied, aus München und Mainz spielen auf dem internationalen Parkett höchstens eine Nebenrolle. Für sie gilt eine andere Regel: Barock und Klassizismus aus deutschen Werkstätten verkaufen sich am besten in Deutschland. Vor wenigen Wochen versteigerte Neumeister in München für 100.000 Euro einen barocken Aufsatzschreibschrank, der vermutlich das Meisterstück des Mainzer Schreiners Ulrich Sedlmayr ist. Fünf Hände konkurrierten am 14. April um das sogenannte Mainzer „Cantourgen“, das sich durch bewegte Umrisse, geschwungene, intarsierte Flächen und teilweise vom Korpus losgelöste, wie Bänder fließende Lisenen auszeichnet und mit einer Taxe von 20.000 Euro Hoffnung auf einen günstigen Preis machte. Wenn auch in anderen preislichen Dimensionen als in New York: Meisterwerke werden auch hierzulande seit einiger Zeit nicht mehr übersehen. Das bestätigte sich beispielsweise bei Nagel in Stuttgart, bei dem Ende vorigen Jahres ein ähnliches Möbel für 110.000 Euro verkauft wurde.
Nur: Wie auf dem internationalen Markt ist das Gefälle zwischen Topstücken und charmanten Antiquitäten offensichtlich. Lempertz’ stattliches Ergebnis von 28.000 Euro, das der Versteigerer in seiner Berliner „Preußenauktion“ gerade für eine schlesische Barock-Kommode einfuhr, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das eher solide Barock-, Rokoko- und Biedermeier-Möbel vor allem im vierstelligen Euro-Bereich bewegt. Van Ham in Köln erzielte im November für eine dreischübige Kommode von 1740 aus der barocken Möbelhochburg Braunschweig mit geschwungener Front immerhin 8500 Euro, während bei Nagel ein eher unspektakuläres, süddeutsches Zylinderbüro mit parkettähnlicher Furnierung aus dem späten 18. Jahrhundert im Dezember schon für 1100 Euro zu haben war. Selten kamen in den letzten zwölf Monaten Renaissancemöbel auf den Markt. Mit 18.000 Euro für einen etwas rustikalen Nürnberger Bibliothekstisch von 1540 setzte Metz in Heidelberg im Oktober eine beachtliche Marke.
Wie die Sammlerschaft auf Arbeiten aus der exzellentesten deutschen Werkstatt des 18. Jahrhunderts reagiert, hat Lempertz letzten Herbst in Köln gezeigt. Das Traditionshaus versuchte, den Mythos von Abraham und David Roentgen, die von Neuwied aus die Höfe Europas belieferten, noch einmal zu beleben. Beachtlich: Zehn Möbel, sowohl aus der Rokoko-Ära des Vaters als auch aus der frühklassizistischen Periode des Sohnes, kamen zum Aufruf. Respekt: Alle Lose wurden verkauft. Ernüchternd: Ein Feuerwerk war die Auktion nicht. Mit einem Zuschlag von 300.000 Euro wurde entsprechend der Taxe ein ausgewogen proportionierter, reich intarsierter Rokoko-Sekretär das teuerste Objekt. Eine geringfügige Steigerung auf 200.000 Euro erreichte ein vornehm schlichter, streng gegliederter klassizistischer Schreibtisch von 1785, der laut Katalog aus dem Besitz des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. stammen soll. Für Roentgen-Möbel dieser Kategorie sind das derzeit dennoch die höchsten Preise, die man auf dem Auktionsmarkt erzielen kann. Zum Vergleich: Christie’s Verkauf eines Roentgen-Zylinderbüros mit chinoisen Einlegearbeiten für umgerechnet 600.000 Euro liegt bereits neun Jahre zurück.
Die Kehrseite des neuen Interesses an Meisterwerken sind Kunden mit Kennerschaft und scharfem Blick. Die Möbel der Gebrüder Spindler sind ein beredtes Beispiel dafür. Die beiden Ebenisten, die aufgrund ihres hervorragenden Talents vom Preußenkönig Friedrich II. von Bayreuth nach Potsdam geholt wurden, haben den Ruf des Friderizianischen Rokokos entscheidend mitbegründet. Doch selbst unter dem Label Spindler gab es Rückgänge. Wo die Wertschätzung beginnt, das hat Metz in Heidelberg mit einer sehr fein gearbeiteten, eleganten Kommode demonstriert. Er verkaufte einen Spindler-Klassiker für 74.000 Euro. Wo sie enden kann, offenbarte gerade Koller in Zürich. Dort stieß Ende März ein besonders in der Deckplatte brillant intarsiertes Kommodenpaar auf viel Interesse und wurde für 180.000 Franken weitergereicht.
Signaturen, Namen und royale Provenienzen sind als Preisfaktor in einem markengläubigen Umfeld wichtiger denn je geworden. Aber letztlich zählen Eleganz und Noblesse. Das ist nicht nur in der Kategorie rund um die Million zu registrieren. Während die eleganten, um 1740 sehr fein geschnitzten Armlehnsessel des damals sehr prominenten Meisters Louis Cresson bei Christie’s im Oktober 120.000 Dollar einspielten, erzielte ein Paar weniger exzeptionelle Empire-Fauteuils aus der Werkstatt von Jacob Frères bei Christie’s London im letzten Mai 13.000 Pfund. Und während im Januar – bei Christie’s New York – aus der Sammlung „Mrs. and Mr. Gutfreund“ ein rarer Beistelltisch von etwa 1790 des Petersburger Hofebenisten Christian Meyer, dessen spitz zulaufende Beine sich fast über die Tektonik eines Möbels hinwegsetzen, 32.000 Dollar brachte, konnte ein ähnlich konstruiertes, aber längst nicht mit dieser exzessiven Design-Attitüde versehenes Tischchen von Louis Moreau aus derselben Zeit bei Sotheby’s New York im April nur gute 4000 Dollar einhämmern.
Es gibt einen Trend zu kostbaren, aufwendig gearbeiteten Möbeln. Aber darin liegt auch die Tücke des „Markts der Meisterwerke“. Die Grenze zwischen „kostbar“ und „nicht kostbar genug“ ist schwer zu definieren. Bei Koller war die sogenannte „Seckendorff’sche Kommode“ das teuerste Möbel des Jahres 2020. Ein historisch bedeutsames, äußerst repräsentatives Stück von einem sicheren Entwurf und mit schweren Bronzen, um 1730 in Paris bei François Lieutaud gefertigt. Der Zuschlag Mitte Juni bei 135.000 Franken bedeutete dennoch einen Wertverlust. Vor 20 Jahren kostete das Objekt bei Sotheby’s in Zürich noch 250.000 Franken. Für Verluste, die man für die vor 30 Jahren gehypten Louis-Seize- und Biedermeiersekretäre derzeit hinnehmen muss, lieferte Bonhams in London im Dezember ein Beispiel. Ein meisterlicher, wohl Berliner Sekretär aus der Zeit um 1800 wurde bei 25.000 Pfund weitergereicht. Noch vor drei Jahren war er rund 15.000 Pfund teurer. Was nicht heißt, dass Klassizismus keine Potenz hat. Christie’s London verkaufte im November eine mit kannelierten Säulen und frühklassizistischen Bronzefriesen versehene Pariser Louis-Seize-Konsole von Bernard Molitor für 65.000 Pfund. Und Ruef in Landshut sorgte Ende April mit einem sogenannten Schlangenfußtisch für Aufsehen, der laut Auktionshaus wohl um 1820 in Berlin entstand und die gar nicht so rationale Seite des strengen Klassizismus verkörpert. Zuschlag: 50.000 Euro.
Nur die Epoche allein ist im gespaltenen Markt derzeit kein Kriterium für hohe Begeisterung. Die Versteigerung einer Kollektion von Möbeln aus dem Besitz des Pariser Top-Händlers Benjamin Steinitz bei Sotheby’s hat im Juli 2020 erneut gezeigt: Connaisseurs reizt der Esprit eines Stücks mehr als museale Gediegenheit. Von 15.000 auf 60.000 Euro kletterte beispielsweise der Preis eines Seepferdchen-Stuhls aus dem frühen 19. Jahrhundert, der die italienischen Grotto-Möbel auf seine Weise interpretiert. Diesen Trend zum Exzeptionellen berührte im Wiener Dorotheum eine Wiener Empire-Etagere von circa 1810, die wie ein Objekt aus einer Fantasiewelt daherkommt. Wie ein Blütenkelch umschließen geschwungene Holme die sechseckigen Ablageflächen und balancieren über einem kurzen, schlanken Schaft. Das Objekt erzielte Anfang November 16.000 Euro. Das Fazit der letzten zwölf Monate: Da geht doch was!