Das Œuvre Carl Blechens ist aufgrund seiner kurzen Schaffenszeit überschaubar, entsprechend knapp war die Offerte auf dem Kunstmarkt in den vergangenen zehn Jahren. Im 19. Jahrhundert stießen seine veristischen Gemälde auf Unverständnis
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02.06.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 9
Der in geistiger Umnachtung gestorbene Berliner Landschaftsmaler Carl Blechen (Cottbus 1798–1840 Berlin) verkörperte mit seiner tragischen Biografie beispielhaft das romantisch inspirierte und im späten 19. Jahrhundert zunehmend auch wissenschaftlich akzeptierte Narrativ vom gefährdeten Genie, das seine Sonderbegabung mit einem psychischen Leiden bezahlt. Entscheidend für die spätere Rezeption seines Schaffens war jedoch die Fortschrittlichkeit seiner Landschaftsauffassung, die sich überwiegend in den italienischen Zeichnungen und Ölstudien der Dreißigerjahre verrät. Nun geben vor Ort erstellte Entwürfe den Natureindruck ohnehin meist authentischer wieder als das im Zeitgeschmack optimierte, oft auch komponierte Atelierbild; gerade bei vormodernen Künstlern werden sie darum bevorzugt zur Auswertung herangezogen, sofern sie wenigstens in Teilaspekten einen neuen Zugang zum Werk versprechen. Doch was war neu an Blechens Ansatz?
Das Malen in freier Natur hat er gewiss nicht erfunden, und auch die eingehende Beobachtung atmosphärischer Vorgänge hatten spätestens eine Generation vor ihm Turner und Constable als Standard in die europäische Landschaftsmalerei eingeführt. Ein Abgleich mit den bekannten Atelierbildern Blechens ergibt, dass seine spontan in Skizzenbüchern, auf Karton, Leinwand oder Holz ausgeführten Improvisationen nicht notwendig im Hinblick auf eine geplante Endfassung entstanden sind. In ihrem Selbstzweck waren sie damit nicht nur von autonomem Wert, sondern hinterfragten in der Flüchtigkeit der Detailbehandlung wie der grundsätzlichen Betonung des Momenthaften, wann ein Bild als vollendet gelten darf. Selbst wo solche Skizzen nachweislich zur Vorbereitung von Verkaufsbildern dienten, zeigten sie im Motivischen zum Teil erhebliche Abweichungen vom korrespondierenden Gemälde, das je nach Kundenwunsch sogar mit Faunen und anderen mythologischen Figuren staffiert sein konnte.
Meist zeigte sich Blechen jedoch weder an historischen Settings noch an markanten Blickachsen interessiert und bevorzugte nach damaligem Verständnis unmalerische Motive, die häufig als intime, in sich abgeschlossene Landschaftsinterieurs gegeben waren. Bäume setzte er niemals in dekorativer Funktion und nahm auch ungerührt in Kauf, wenn sie im beiläufigen Bildausschnitt ärgerlich einen schönen Ausblick verdarben. Auch versteifte er sich nicht auf das warme Nachmittagslicht, das für andere Italien-Spezialisten unverhandelbar blieb, sondern arbeitete ebenso in unbarmherzig sengender, Farben und Umrisse schluckender Mittagssonne. „Auch hier wird das Auge geohrfeigt …“, kommentierte ein Kritiker bissig eine bald nach Blechens Italienaufenthalt entstandene „Ansicht vom Park der Villa D’Este“, und auch das breite Publikum, das seine Vorstellung eines arkadischen Sehnsuchtsorts voller touristischer Sehenswürdigkeiten bedient sehen wollte, reagierte auf Blechens schwer konsumierbaren Verismus mit Unverständnis.
Immerhin aber gewann der von seiner Zeit so wenig verstandene Maler mit seinem Ansatz prominente Fürsprecherinnen wie Bettina von Arnim, hoch vermögende Kunden wie Friedrich Wilhelm III. und schließlich in Friedrich Schinkel einen einflussreichen Förderer, dessen Vermittlung ihm 1831 den Lehrstuhl für Landschaftsmalerei an der Berliner Akademie sicherte – „seiner sehr genialen Art der Naturauffassung wegen“, wie Schinkel seine Empfehlung in einem Schreiben an den preußischen Kultusminister begründete.
Aufgrund der nur kurzen Schaffenszeit des Malers ist sein hinterlassenes Œuvre überschaubar, und entsprechend knapp blieb die Auswahl an Gemälden. Mit 16 Losen seit 2011 war sie sogar etwas großzügiger als in der vorangegangenen Dekade, und mit einer Ausnahme wurden alle vermittelt. Nachdem seine Gemälde seltener in London gehandelt werden, konzentriert sich die Offerte nun größtenteils auf den deutschsprachigen Raum; deutsche Häuser steigerten ihren Warenanteil von der Hälfte auf 75 Prozent. Die realisierten Preise signalisieren auf den ersten Blick einen Kursrückgang: Immerhin ein Viertel der vermittelten Lose kam nicht über die Schwelle von 10.000 Euro, während statt zuvor vier nur noch ein Los mit mehr als 50.000 Euro bewertet wurde.
Doch angesichts des schmalen Angebots verlieren solche Trendanalysen an Aussagekraft, denn die ermittelten Zahlen bleiben abhängig von der schwankenden Qualität der Ware, die dem Markt zur Verfügung steht: In der Überzahl waren es kleine, auf Papier ausgeführte und vermutlich Skizzenbüchern entnommene Ölstudien, während größere Formate die Ausnahme blieben. Das zurückliegende Jahrzehnt begann auf vielversprechendem Niveau, als im November 2011 bei Grisebach, Berlin, eine während Blechens Italien-Aufenthalt 1828/29 entstandene Papierarbeit mit einer „Ansicht von Terracina“ von vorgeschlagenen 20.000 auf 48.000 Euro hochgesteigert wurde. Bereits ein halbes Jahr darauf ermittelte Sotheby’s, London, den ersten sechsstelligen Wert (in Euro) seit 1999. Eine durch prononciertes Gegenlicht ausgeleuchtete Partie aus einem „Wald mit kleinem Weiher“ war lediglich auf 20.000 Pfund geschätzt, stieg mit einem letzten Gebot von 90.000 jedoch unerwartet auf mehr als das Vierfache der Taxe. Ein kleiner, nicht einmal EC-Karten-großer Karton mit einer „Abendlichen Waldlandschaft“ erfüllte im Juni 2013 bei Schmidt, Dresden, mit einem Zuschlag bei 15.000 Euro immerhin die Taxe, während 12 Monate später bei Beurret & Bailly, Basel, eine in der expressiven Farbgebung bereits in die Moderne weisende „Landschaft mit Sonnenuntergang“ erst bei 50.000 Franken stehenblieb und damit 30.000 über Taxe abschloss. Eine in exaltiertem Wettergeschehen erfasste Überblickslandschaft mit titelgebendem „Mönch auf der Terrasse“ im Vordergrund kam im November 2016 bei Ketterer, München, allerdings über die Taxe von 20.000 Euro nicht hinaus. Im Mai 2018 wurde bei Bassenge, Berlin, das Frühwerk „Gotische Kirchenruine im Morgenlicht“ aufgerufen, das mit der vorgeschlagenen Datierung um 1820 die Anfänge Blechens in der Tradition der Dresdener Romantik dokumentiert; mit dem Hammerpreis von 9500 Euro konnte es die Schätzung leicht nach oben korrigieren. Noch im gleichen Jahr versteigerte Grisebach, Berlin, eine 1835 gemalte „Erinnerung an Amalfi“, die sich von 25.000 auf 38.000 Euro verbesserte.
Motive aus der Umgebung Neapels tauchen im Vergleich selten auf, und erst recht so bekannte Ansichten wie diese: Im Oktober 2019 konnte Neumeister, München, eine Papierarbeit mit dem wegen des grandiosen Panoramas häufig gemalten Blick auf den „Golf von Neapel vom Posilipp aus“ anbieten, der zwar von 15.000 auf 22.000 Euro stieg, eigentlich aber sogar besser hätte abschneiden müssen. Vorgeblich nur 15.000 Franken erwartete man bei Sotheby’s in der Online-Auktion am 30. Juni vergangenen Jahres für die gleichmäßig ausgeleuchtete „Berglandschaft von Piediluco mit Prozession“, doch am Ende verdreifachte das mit 23 mal 30 Zentimeter bereits ungewöhnlich große Gemälde die Taxe.
Im Gegensatz zu den Gemälden zeigte die Preisentwicklung bei den Zeichnungen trotz der um mehr als 50 Prozent gewachsenen Offerte nach oben. Unabhängig von Motiv-Vorlieben war hier der Standard der Ausführung preisbestimmend, während die Technik für die Bewertung von untergeordneter Bedeutung blieb – die drei am höchsten bewerteten Blätter sind alle unterschiedlichen Medien zuzuordnen: Ende 2014 brachte bei Sotheby’s, London, die Federzeichnung „Fahrweg am Eichwald, ein Berg in der Ferne“ mit dem Höchstgebot von 28.000 Pfund das Neunfache der Katalogtaxe, erst im vergangenen November schnitt bei Bassenge, Berlin, die frühe und noch sehr dezidierte Bleistift-Arbeit „Das Kloster im Walde“ mit 34.000 Euro ebenfalls deutlich besser ab als erwartet (Taxe 12.000 Euro). Den bisherigen Top-Preis in diesem Segment realisierte dagegen Grisebach, Berlin, im Mai 2018 für das Aquarell „Teich mit Wald und Häusern“, das trotz der moderaten Schätzung auf 25.000 Euro erst für 70.000 zugeschlagen werden konnte.
Resümee
Mit 16 Gemälden und 18 Zeichnungen blieb das Angebot begrenzt, wobei insgesamt nur drei Rückgänge zu verzeichnen waren.
Die Offerte konzentrierte sich zunehmend auf den deutschen Markt, wo mittlerweile drei Viertel der Lose versteigert werden.
2012 wurde erstmals seit 1999 wieder ein sechsstelliges Ergebnis (in Euro) notiert; die Zahl der Zuschläge bis 10.000 Euro hat sich vervierfacht, jedoch wurde nur ein Ergebnis (statt zuvor vier) über 50.000 Euro realisiert.
Blechens Zeichnungen haben im Kurswert aufgeholt; 2018 kam es mit 70.000 Euro zum bislang höchsten Hammerpreis in diesem Segment.
„Preußens Künstlerrepublik von Blechen bis Liebermann“,
Gisold Lammel,
Verlag Bauwesen, Berlin 1995