Auf dem Auktionsmarkt für Druckgrafik ist das Angebot weiter geschrumpft. Einige hochwertige Kollektionen sorgten dennoch für Zuschläge, die manch Kunst der Moderne alt aussehen ließ
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18.06.2021
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Kunst und Auktionen Nr. 10
Die Pandemie hat den Versteigerern das Frühjahr 2020 verhagelt. Für manche erwies es sich als Glück, dass sie die geplanten Auktionen in die Herbstsaison verlegten. Bei vielen anderen blieben die Auktionssäle leer, sei es durch Reise- und Zugangsbeschränkungen, sei es weil die Sammler von Altmeistergrafik eher zu den vulnerablen Gruppen zählen. Alte Tugenden wie akkurate Katalogbeschreibungen dürften sich für manchen Versteigerer in Form von schriftlichen Geboten ausgezahlt haben. Und wenn die begehrten Plätze für Telefonbieter vergeben waren, wagten viele Sammler erstmals ein Internet-Gebot. Die Infrastruktur dafür hatten viele Versteigerer schon vor der Pandemie geschaffen. Wurde zunächst vor allem niedrig taxierte oder zweitklassige Ware in Online-Only-Auktionen angeboten, war es nun das gesamte Sortiment. Und die Verkaufsquoten waren vergleichsweise gut. Im Frühjahr lagen sie oft bei drei Viertel, im Herbst mitunter bei vier Fünftel. Allerdings blieb gewöhnlich gut Bebotenes oft unter der Taxe. Hier fehlte der volle Saal, dessen Stimmung und Eitelkeiten manchen Bieter bewegen, doch noch einmal die Hand zu heben.
Bereits im Juli 2020 startete Christie’s eine zweiwöchige Online-Auktion mit einer Verkaufsquote von 85 Prozent, im Oktober eine zweiwöchige Spezialauktion mit Goya-Drucken. Ähnlich dem immer länger währenden Nachverkauf stabilisiert dies den Absatz jenseits der Tageslaunen. Im Dezember hatten sich Versteigerer und Käufer dann schon auf die neue Situation eingestellt. Wesentliches Problem blieb aber die ohnehin schon schwierige Akquise. Einlieferer wollten lieber abwarten oder ließen ihre Sammlung über Private Sales vermitteln; ein Format, dessen Umsatz sich bei den Multis im letzten Jahr spartenübergreifend angeblich mehr als ein Drittel steigerte.
Generell ist das Angebot schon in den letzten fünf Jahren geschrumpft – bei einem Spezialversteigerer wie Swann um circa ein Drittel. Und im Herbst 2020 hatte ein Spezialist wie Bassenge, Berlin, noch einmal 15 bis 20 Prozent weniger Lose als zuvor. Zusammen hatten die Versteigerer die letzten Jahre immer rund ein Dutzend Lose mit sechsstelligen Taxen im Angebot, diesmal waren es bloß acht. Alle stammten von Dürer, der sich damit als Goldstandard des Jahres erwies, fünf davon wurden verkauft. Im Preissegment zwischen 50.000 und 100.000 Euro hat sich die Gesamtzahl der Lose seit 2017 halbiert. Immerhin konnten mit über einem Dutzend Zuschlägen fast drei Viertel weitergereicht werden. Der Bereich zwischen 20.000 und 50.000 Euro blieb mit über 50 Losen vergleichsweise stabil, hier verkauften sich 70 Prozent.
Gerettet wurde die Offerte der letzten zwölf Monate allerdings durch hochwertige Kollektionen, die auch anspruchsvollen Sammlern seltene Gelegenheiten boten. Und es gab beachtliche Spitzenergebnisse, zu denen auch der Höchstzuschlag des Jahres zählte. Er fiel im Sommer bei Grisebach, Berlin, in einer Abendauktion. Pandemiebedingt war der Saal nicht voll, die Gebote kamen übers Telefon und die Nachfrage blieb gedämpft – bis ein früher Lebzeitabzug von Dürers „Adam und Eva“ die Klassiker der Moderne alt aussehen ließ. Das marktfrische Blatt, mit dem der Norden an die Renaissance anschließen konnte, stammte aus einer Eberswalder Privatsammlung und wurde in kleinen, aber beständigen Schritten von 80.000 auf 430.000 Euro gehoben; ein neuer Rekordpreis, den ein britischer Bieter bewilligte. Dieser sicherte sich auch die „Melencolia“ für den diesjährigen Bestpreis von 255.000 Euro, fast das Dreifache der Taxe. Der Titel kam insgesamt sechsmal aufs Pult. Im Frühjahr gingen noch zwei Abzüge zurück, den zweithöchsten Zuschlag erzielte Sotheby’s taxgemäß mit 150.000 Pfund. Unter den Dürer-Zuschlägen finden sich im fünfstelligen Spitzenfeld weitere Bildikonen – darunter „Die Apokalyptischen Reiter“, „Das Rhinocerus“ und Meisterstiche wie „Ritter, Tod und Teufel“, „Der hl. Eustachius“ oder „Hieronymus im Gehäuse“.
Bei Rembrandt, dem zweiten Standbein der Altmeistergrafik, war die Nachfrage durchwachsener. Auch hier war der Absatz gut, doch gab es weniger Steigerungen als gewohnt. Teure Verkaufsgaranten wie die Landschaften waren schwach vertreten und blieben von den Ergebnissen her unauffällig. Um so heller glänzten die Porträts: Das „Selbstbildnis mit krausem Haar und weißem Kragen“ von 1630 schlug Sotheby’s für 90.000 Pfund zu – ein erstaunlicher Rekord für das auf 25.000 Pfund geschätzte Blatt. Bisher hatten sich nur seine Selbstbildnisse mit Saskia oder als Zeichner am Fenster in dieser Preisregion bewegt. Ähnliches erfuhr die 5 mal 4,5 Zentimeter große Ausdrucksstudie „Selbstbildnis mit aufgerissenen Augen“, die bei Sotheby’s mit 38.000 Pfund das Zweieinhalbfache der Taxe einspielte. Hingegen zählt das „Bildnis des Jan Lutma“ seit je zur Gruppe der teuersten Rembrandt-Radierungen. Zur vierfachen Taxe wurde der erste Druckzustand im Pariser Drouot von Ferri & Associes im Sommer mit 75.000 Euro zugeschlagen.
Das Blatt gehörte zur legendären Sammlung Marcel Lecomte. Diesem gelang der Spagat, zugleich Händler und Sammler zu sein. Als Grafikexperte übernahm er Bestände von Vollard und führte von den Fünzigern bis in die Achtziger hinein Kunstversteigerungen durch, darunter Auktionen berühmter Sammlungen wie Grosjean-Maupin, Gaston-Dreyfus oder Maurice Loncle. Nun, 25 Jahre nach seinem Tod, kam seine eigene Kollektion unter den Hammer. Zahlreiche Tirages rares et de grande qualité von alten und modernen Meistern mit vorzüglichen Provenienzen entfachten trotz aller Hindernisse Interesse: Insgesamt wurden 85 Prozent der Lose für mehr als 1,2 Millionen Euro verkauft. Jenseits gefragter Drucke wie Hendrick Goltzius’ Chiaroscuro-Holzschnitt „Herkules und Cacus“, der von 3000 auf das Rekordergebnis von 65.000 Euro katapultiert wurde, oder Canalettos Radierung „Ale Porte del Dolo“, die von 3000 auf 10.000 Euro kletterte, konnten vor allem französische Künstler ihren Heimvorteil ausspielen. Die Renaissance mit Jean Duvets seltenem „Hl. Sebastian zwischen Anthonius und Rochus“ (Zuschlag 26.000 Euro), der Barock mit Jacques Bellanges Frühdruck „Melchior, roi de Nubie“ (Zuschlag 24.000 Euro), Callots „Les deux grandes Vues de Paris“ für zusammen 18.000 Euro oder Claude Lorrains „Le Bouvier (Zuschlag 11.000 Euro). Allein Abraham Bosse steuerte 15 Lose bei, darunter „Die fünf Sinne“ in schönen Abzügen für 10.000 Euro. Fragonards „Le Petit Parc, vue de la villa d’Este à Tivoli“ auf einem Blatt mit vollem Rand war auf 2000 Euro geschätzt, wurde aber erst bei 60.000 zugeschlagen. Steil nach oben ging es auch für einen Beobachter des Ancient Regime, Gabriel de Saint-Aubin: „Une conférence des Avocats“ in einem unbeschriebenen Zustand verfünffachte sich (Zuschlag 62.000 Euro), sein „Vue du Salon du Louvre en l’année 1753“ (Zuschlag 31.000 Euro) und „L’Académie Particulière“ (Zuschlag 30.000 Euro) kamen aufs Zehnfache. Einen weiteren Schwerpunkt bildete Dürer, dessen „Herkules am Scheideweg“ 24.000 Euro brachte.
Liebhaber des Nürnbergers kamen aber vor allem im Dezember auf ihre Kosten. Ebenfalls im Drouot versteigerte Remy le Fur die Sammlung des Qualitätsfanatikers Roger Passeron. Jenseits der berühmten Titel holte „Der kleine Kurier“ gute 11.500 Euro, Callots „Les Bohémiens“ 3700 Euro und Brueghels Todsünde „Desidia“ wurde von 1300 auf 11.000 Euro getrieben.
Dass London nach dem Brexit nicht abzuschreiben ist, zeigte zeitgleich Sotheby’s. Walter L. Strauss ist für Grafiksammler ein geläufiger Name. Als Kind mit der Familie vor den Nazis nach New York geflohen, widmete sich der Spielzeugfabrikant in späteren Jahren seiner Leidenschaft für Altmeisterdrucke, edierte die Neuauflage des unentbehrlichen Nachschlagewerks The Illustrated Bartsch und verfasste Standardliteratur zu Goltzius und Dürer, mit dem ihn nicht zuletzt der gemeinsame Geburtsort verband. Im Dezember brachte Sotheby’s London seine und eine weitere bedeutende amerikanische Sammlung zusammen aufs Pult. Drei Viertel der Lose wurden vermittelt. Neben den anfangs genannten Höchstzuschlägen für berühmte Blätter zeigte sich das kennerschaftliche Engagement bei Losen wie Dürers vier Holzschnitten von Knotenornamenten, die mit 45.000 Pfund auf die achtfache Taxe gehoben wurden. Oder bei frühen Drucken wie „Die Heimsuchung“ des Meisters E.S. (Zuschlag 35.000 Pfund) sowie Martin Schongauers großem „Hl. Sebastian“ (Zuschlag 14.000 Pfund): Sie erzielten die doppelte Schätzung, Daniel Hopfers „Der Hl. Georg tötet den Drachen“ die dreifache (Zuschlag 9000 Pfund). Seltener sind frühe Einblattdrucke wie der anonyme kolorierte deutsche Druck aus dem 15. Jahrhundert „Die Jungfrau mit Kind vor einem gestickten Tuch“, der mit 4500 Pfund das Neunfache der Schätzung einspielte.
Die Freunde der romanischen Schulen kamen bei Christie’s London zum Zuge. Im Januar wurden dort für „Christus und die Frau aus Samaria“ nach Michelangelo 30.000 Pfund bewilligt. „Christus in der Vorhölle“ von Leon Davent nach Luca Penni stieg auf 28.000 Pfund, Marco Dentes „Laocoon“ auf 20.000 Pfund sowie „Flora und ihre Nymphen“ von Giulio Bonasone nach Giulio Romano auf 17.000 Pfund. Bemerkenswert auch die 42.000 Pfund, die dort bereits im Juni für die „Die Verkündigung“ Nicolas Beatrizets nach Marcello Venusti erreicht wurden.
Die besten Ergebnisse für italienische Reproduktionsstiche gab es letztjährig allerdings bei Bassenge. Mit Tizians „Schlacht bei Cadore“ sorgte diesmal kein Holzschnitt, sondern eine seltene Radierung von Giulio Fontana für Furore, sie ließ ihre Taxe von 7500 mit 85.000 Euro weit hinter sich. Noch spektakulärer waren die 75.000 Euro für Girolami Fagiuolis „Adam und Eva mit dem Knaben Abel“ nach Salviati. Giorgio Ghisis Kupferstich „Die Vision des Ezechiel“ nach Bertani holte beachtliche 19.000 Euro, Mantegnas „Schlacht der Seegötter“ immerhin 17.000 Euro.
Gute Abnahme fand auch das Angebot an Stichen nach Pieter Brueghel d. Ä. Bei Bassenge stieg der „Esel in der Schule“ von 6000 auf 22.000 Euro. Karl & Faber, München, konnte „Die großen Fische fressen die kleinen“ bei 22.000 Euro weiterreichen, „Die Versuchung des hl. Anthonius“ erzielte gute 17.000 Euro. Dass begehrten Blättern auch Mängel verziehen werden, belegt der Zuschlag bei 8500 Franken für die „Invidia“ bei Koller, Zürich.
Ebenso begehrt bleibt Piranesi, obgleich ganze Folgen ausblieben und eher Einzelblätter offeriert wurden. Von den Losen über 3000 Euro Taxe wurde mehr als zwei Drittel abgesetzt. Taxgerecht konnte Swann 16 „Carceri d’Invenzione“ für 15.000 Dollar absetzen, bei Karl & Faber erzielte allein „Die Treppe mit Trophäen“ 8000 Euro. Dasselbe Gebot erreichte die „Veduta dell’Anfiteatro Flavio“ im Wiener Dorotheum.
Goya hatte erneut keine starke Saison, die Offerte war schwach. Die berühmten Folgen zu Taxen unter 20.000 Euro fanden kaum Zuspruch, lediglich Christie’s konnte mit einer Online-Einzelauktion der „Caprichos“ ein größeres Angebot präsentieren. Hier holte das berühmteste Blatt der Folge, „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“, mit 65.000 Dollar das Fünffache der Schätzung. Generell gab es aber nur wenig fünfstellige Ergebnisse, die Aquatinten über 5000 Euro wurden nur zu 60 Prozent abgesetzt.
Niederländische Kunst des Goldenen Jahrhunderts verkaufte sich unauffällig, aber solide. Das gilt auch für das meist niedrig taxierte deutsche 17. und 18. Jahrhundert. Heraus stach „Jesus reicht den Gläubigen das Abendmahl“, ein Schlüsselwerk von Franz Anton Maulbertsch, das Bassenge für 12.000 statt der avisierten 3000 Euro zuschlug. Einen weiteren Erfolg feierte das österreichische Rokoko dann mit Franz Sigrists „Lot und seine Töchter“ (Taxe 750 Euro / Zuschlag 4600 Euro). Kleine Überraschungen waren Matthias Kochs frühe Lithografie „Ruinenlandschaft“ in der Art Piranesis (Zuschlag 14.000 Euro) sowie „Die Schreibekunst“ von Dietricy bei Karl & Faber (Zuschlag 6000 Euro). Das Fin de Siècle wird zunehmend stärker, was das Angebot und die Ergebnisse betrifft. Die Messlatte bleibt Ernst Klinger. Bei Grisebach erzielte „Ein Handschuh“ 22.000 Euro, bei Karl & Faber konnten Blätter aus „Ein Leben“ Erfolge feiern: „Ins Nichts zurück“ beispielsweise war den Bietern 18.000 Euro wert.