Auf dem Auktionsmarkt für Teppiche ist das Interesse an qualitativ hervorragenden Erzeugnissen groß. Flachgewebe tun sich hingegen momentan schwer
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07.06.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 9
Wie wird sich der Markt für Orientteppiche entwickeln? Wird das Interesse an textiler Kunst überhaupt bestehen bleiben, bei all den Einschränkungen? Und: Werden Präsenzveranstaltungen in absehbarer Zeit wieder möglich sein? Diese Fragen musste man sich vor gut einem Jahr – in Phase eins der Pandemie – stellen. Und dann kam am 27. Oktober 2020 bei Sotheby’s London als Los 448 ein Mamluken-Teppich aus einer europäischen Privatsammlung zum Aufruf, gefertigt vermutlich in der 2. Hälfte des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts in Kairo. Die Spannung war groß, denn diese nahezu quadratische Knüpfarbeit mit einer Breite von 222 und einer Länge von 195 Zentimetern war 2011 und 2012 bei Londoner Auktionen durchgefallen. Es bestand also die akute Gefahr, dass der Teppich „verbrannt“ sein könnte. Und so ist es – gerade angesichts von Covid-19 – schon eine kleine Sensation, dass diese kleinformatige Arbeit, deren Innenfeld durch eine achteckige Medaillenform betont und von einer umlaufenden Rosettenborte eingefasst wird, einen Hammerpreis von 1,5 Millionen Pfund erzielte – und somit den Schätzpreis fast vervierfachen konnte.
Der ab den 1870er-Jahren in München ansässige Georg Hirth hatte den Teppich einst dem Regensburger Schottenkloster abgekauft (ein zweites Exemplar, das er ebenfalls dort erwarb, befindet sich heute in der David Collection in Kopenhagen). Hirth gehörte damals zur Hautevolee Münchens. Zusammen mit seinem Schwager Thomas Knorr hatte er mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung seines Schwiegervaters die Druckerei Knorr & Hirth gegründet, war Mitinhaber der „Münchner Neuesten Nachrichten“ und ab 1896 auch Mitherausgeber der für die Kunst- und Literaturszene maßgeblichen Zeitschrift „Jugend“. Hirth verstarb im März 1916, kurz vor seinem 75. Geburtstag. Im November 1916 und im Juli 1918 versteigerte Hugo Helbing seine gesammelten Kunstwerke.
Der Hirth-Teppich gehört zur seltenen „Sechs-Farben-Gruppe“: Grün und Türkisblau, Goldgelb und Braunschwarz bilden mit Elfenbeinfarbe und Färberlackrot die für diese Mamluken-Teppiche klassische, bunt-leuchtende Farbigkeit aus. Kurt Erdmann hat den Teppich 1940 publiziert. Farbig abgebildet ist er in dem von Otto Bernheimer 1959 veröffentlichten Buch „Alte Teppiche des 16. bis 18. Jahrhunderts der Firma L. Bernheimer“. Öffentlich zu bewundern war das Objekt zuletzt in der dem Maler Paul Klee gewidmeten Ausstellung „Teppiche der Erinnerung“, die 2009 im Zentrum Paul Klee in Bern gezeigt wurde (leider ist die Abbildung im Ausstellungskatalog nicht aussagekräftig).
Es überrascht, dass der Hirth-Teppich nicht in den vier Folio-Bänden genannt wird, die zu der 1910 in München gezeigten, berühmten Ausstellung „Meisterwerke Muhammedanischer Kunst“ von Friedrich Sarre und Frederic Robert Martin herausgegeben wurden. Und übrigens auch nicht sein Pendant in der David Collection. War Hirth nicht daran interessiert, als Leihgeber an dieser epochalen Ausstellung teilzunehmen? Oder entsprachen diese von geometrischen Gestaltungselementen dominierten Teppiche um 1900 einfach nicht dem Zeitgeschmack? Schwer zu sagen …
Unklar ist auch, wo die Mamluken-Teppiche hergestellt wurden und wo ihre Muster herkamen. Allgemein gilt Kairo als Haupterzeugungsort. Doch in jüngerer Zeit verfolgt die Kunstwissenschaft auch andere Theorien – selbst der Maghreb kommt nun infrage. Einigkeit besteht immerhin darin, dass es zwei Zentren gegeben hat. Syrische Werkstätten waren bei der Herstellung dieser textilen Kunstwerke wohl gleichrangig mit den Kairenern am Werk. Kunsthistorische Untersuchungen legen zudem nahe, dass Musterelemente aus der Oberflächengestaltung von Metallobjekten für die Knüpferzeugnisse übernommen wurden.
Nicht immer allerdings erlebten textile Lose in den letzten zwölf Monaten solche Erfolge. In derselben Auktion, lediglich zwei Nummern später, kam ein osmanischer Samt-Behang, ornamentiert mit fünf versetzt-horizontal angeordneten Reihen aus Nelkenformen zum Aufruf. Dieses in das frühe 17. Jahrhundert zu datierende Objekt war bereits im April 2017 bei Sotheby’s London für 350.000 Pfund weitergereicht worden (Taxe 40.000 Pfund). Dieser enorm hohe Betrag scheint mit der Provenienz des Nelkensamts in Verbindung gestanden zu haben – denn der Behang hatte einst Argine Benaki Salvago gehört, einer Schwester von Anton Benaki, dem Gründer des gleichnamigen Museums in Athen. Nun, gut drei Jahre später, erzielte das Objekt dann aber nur noch etwa die Hälfte des damaligen Preises.
Ist es ein Trend, dass die um 1700 im Herrschaftsbereich der Osmanen entstandenen Textilien momentan nicht mehr die Hochachtung genießen, die ihnen noch vor wenigen Jahren – veranlasst durch Ausstellungen etwa zu Süleyman dem Prächtigen – entgegengebracht wurde? Analog könnte dies auch über den anatolischen Kelim gesagt werden – eigentlich über Flachgewebe insgesamt. Denn nur noch besonders bedeutende Stücke mit seltenen Ornamentierungen und hervorragenden Farbkombinationen erzielen heute Beträge, wie sie früher bereits für Stücke mittlerer Qualität bezahlt wurden.
Die in Wien ansässige Austria Auction Company brachte am 24. Oktober 2020 einen Adler Kassak aus der seltenen Gruppe des „Ein-Medaillon-Typs“ zum Aufruf. Diese auch „Tschelabird“ oder „Sunburst“ genannten kaukasischen Teppiche waren in den Neunzigerjahren hoch geschätzt. Ein ehemals vom Münchner Galeristen Eberhart Herrmann publiziertes Exemplar beispielsweise erzielte im Mai 1998 bei Sotheby’s London den damals horrenden Betrag von 89.500 Pfund. Wenn man bedenkt, dass der Wiener „Adler“ mit Aufgeld schließlich nur auf seine Taxe von 25.000 Euro kam (Zuschlag 20.000 Euro), könnte man hier direkt von einem Schnäppchen sprechen.
Dass Schätzpreise aber oft volatil sind, lässt sich an einem chinesischen RKO-Teppich aufzeigen, den Nagel am 23. Oktober 2020 in Stuttgart versteigerte. Mit diesem Typus hat sich Hans König, ein großer Kenner der Materie, vor mehr als 20 Jahren intensiv auseinandergesetzt. Als Herkunftsorte dieser um 1800 geschaffenen Arbeiten gelten die Regionen Khotan, Ningxia und Gansu. Der RKO-Teppich bei Nagel, der farblich bedingt eher der Provinz Gansu zuzuordnen ist, war auf 1500 Euro taxiert – der Hammer fiel bei 14.000.
Es schmerzt natürlich, dass aufgrund der Covid-19-Pandemie strikte Maßnahmen das öffentliche und private Leben einschränken müssen. Es fehlen die persönlichen Begegnungen, etwa bei Vorbesichtigungen in Auktionshäusern. Auch lange geplante Besuche von Ausstellungen, Konzerten, Opernaufführungen konnten nicht stattfinden. Das Leben findet gewissermaßen in einem Schneckenhaus statt. In der Großen Herbstauktion von Rippon Boswell am 5. Dezember 2020 in Wiesbaden hätte sich beispielsweise die schöne Möglichkeit ergeben, einen bislang nicht dokumentierten Tekke-Asmalyk zu studieren. Diese Satteldecken dienten zum Schmuck des Kamels, auf dem die Braut, verborgen in einer Sänfte, der Familie des Bräutigams zugeführt wurde. Im Ritual eines solchen Hochzeitszugs nehmen diese Schabracken, paarweise hergestellt und auf dem Rücken des jeweiligen Tiers festgezurrt, eine besondere Stellung ein.
Es ist zu vermuten, dass der nunmehr bekannt gewordene Asmalyk – im Gegensatz zu späteren, vermutlich in Ateliers gefertigten Decken – in einem familiären Umfeld entstanden ist. Granatäpfel zieren diesen Schmuckbehang als Fruchtbarkeitssymbole, Musikanten spielen zur Freude der Hochzeitsgesellschaft auf. Ein Fest wird gefeiert. Geschätzt auf 18.000 Euro, wurde die Decke bei 22.000 Euro zugeschlagen. Ein Beleg dafür, dass auch in diesen schwierigen Zeiten Interesse an qualitativ hervorragenden, einzigartigen Objekten besteht. Das gibt Anlass zur Hoffnung. Rippon Boswell bittet bereits Ende Mai wieder zur Auktion. Und von ferne schimmern auch schon die „Orient Stars“, die hoffentlich zum angekündigten Termin Anfang Oktober so richtig leuchten werden.