Bei Lempertz kommt die Sammlung Bernard De Leye zum Aufruf – eine außergewöhnliche Kollektion von Gold- und Silberobjekten des 17. und 18. Jahrhunderts
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05.07.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 11
„Ich habe kein Problem damit, mich von Objekten zu trennen. Andererseits, sie zu finden, das extrem seltene Objekt zu finden … das ist meine Freude und mein Stolz“, bekannte Bernard De Leye, einer der international anerkannten Experten und Händler, wenn es um die Kunst der Gold- und Silberschmiede des 17. und 18. Jahrhunderts geht. Von der Freude und dem Stolz, außergewöhnliche Objekte zu finden, erzählt seine Sammlung. Und dass es für ihn unproblematisch sei, sich davon zu trennen, belegt die Auktion am 15. Juli bei Lempertz in Köln mit 266 Losen.
Es ist eine recht individuelle Mischung, die Kurioses wie extrem Teures umfasst. Mit einer Taxe von 500 Euro bieten sich zwei böhmische Pokale, ein vergoldeter Silberbecher aus Straßburg von 1763 und der bronzene Briefbeschwerer des Wiener Bildhauers Michael Drobil (1877 – 1958) mit einer Nackten auf einem überdimensionierten Briefumschlag an. Mindestens eine Million Euro werden dagegen für Kanne und Becken einer vergoldeten Lavabo-Garnitur von Jean-Baptiste-François Chéret erwartet, die Ludwig XV. 1770/71 seiner ehemaligen Mätresse Marguerite Catherine Hainault zur Hochzeit mit dem Marquis de Montmelas schenkte. Bei dem Preis spielt eine Rolle, dass dazu als besondere Rarität vier Entwurfszeichnungen Chérets gehören, aus denen sich ablesen lässt, wie die Garnitur Gestalt gewann.
Zu den ungewöhnlichen Stücken, für die hohe sechsstellige Erlöse erhofft werden, zählen ein Stundenglas und ein Schreibzeug. Das Écritoire schuf François-Thomas Germain, „Orfèvre et Sculpteur du Roi“, 1752 für Jean-Baptiste de Machault d’Arnouville, der dank der Protektion von Madame de Pompadour, einer Vorgängerin der Madame Hainault, Siegelbewahrer des König wurde. Es ist ein silbernes Schiff auf einem goldgefassten Bronzesockel mit einem Spiegel als See, aufgetakelt mit eingerolltem Segel und einer Uhr über dem Steuerruder am Heck. 700.000 Euro soll diese eigenwillige Schreibtischzier bringen.
Und auf 400.000 Euro ist die Sanduhr aus der Hinterlassenschaft von Tammaro De Marinis taxiert, der als Antiquar, Wissenschaftler, Bibliophiler und Sammler als der „Große Vater des italienischen Buchhandels“ gilt. Papst Sixtus V. hatte sie 1589 Ferdinand I. de’ Medici zu seiner Hochzeit mit Christine von Lothringen geschenkt. Dabei handelte es sich um eine höchst anspruchsvolle diplomatische Gabe, bei der, 83 Zentimeter hoch, die beiden Glaskolben mit Sand fast beiläufig den Mittelteil bilden. Denn den viereckigen, leicht eingezogenen Sockel mit Wappen schmücken an den Ecken Faune, über denen Putti mit Sinnsprüchen auf Banderolen sitzen. Gekrönt wird die Stundenglas-Plastik von einem Atlas, der gebeugt die Weltkugel – zugleich eine Uhr mit Stundenanzeige – trägt, was als Hinweis auf den Schenker, der als höchster Kirchenfürst die Last der Welt schultern muss, gedeutet werden kann.
Das Zentrum der Auktion bildet das französische Silber des 17. und 18. Jahrhunderts, das Spezialgebiet von De Leye, der 1977 seinen Kunsthandel in Brüssel begonnen und 2003 seine Galerie geschlossen hatte. Das sind Schlangenhautbecher (zwischen 2000 und 4000 Euro taxiert), Bestecke (zwischen 10.000 und 160.000 Euro taxiert), Leuchterpaare (zwischen 2000 und 90.000 Euro taxiert) und die unterschiedlichsten Teller und Platten – wie die 36 vergoldeten Empire-Teller (Taxe 50.000 Euro).
Mit englischem Silber hatte de Leye nichts im Sinn: „Das ist ganz einfach zu erklären. In Kontinentaleuropa wurde Silberzeug oft eingeschmolzen, um monetäre Schwierigkeiten zu bewältigen. Schöne alte Stücke sind daher relativ selten, insbesondere französisches Silber, das am seltensten und teuersten ist. Die Engländer dagegen verfügten über die wichtigsten Silbervorkommen, machten damit gute Geschäfte. Damals war, anders als heute, das Metall teuer, nicht die Arbeit. Deshalb ist englisches Silber im Überfluss vorhanden … Nichts ist wirklich selten, man findet alles, was man will, während man bei kontinentalem Silber auch mit viel Geld nicht unbedingt das Gesuchte findet.“ Das kann der springende Hirsch aus vergoldetem Silber als Trinkspiel sein, um 1640 von dem Zürcher Goldschmied Hans Caspar Gyger gefertigt. Jetzt für 250.000 Euro angeboten. Oder ein Tischkreuz von 1675 von Guillaume II Loir für 50.000 Euro.
„Man hat den Eindruck, in Frankreich gibt es nach wie vor so viele vermögende Leute, dass man von der Krise nichts verspürt“, meinte Bernard De Leye 2009 nach der Versteigerung der Hinterlassenschaften von Yves Saint Laurent. Im Jahr darauf war dieser Optimismus erst einmal verflogen. Nicht nur bei De Leye verraten die Kataloge und die Messebeteiligungen, dass der Zuspruch der Kunden offenbar in Zurückhaltung umgeschlagen war. In seinem Katalog Chefs-d’Œuvre d’Orfèvrerie Européenne vom Februar 2010 begegnet man bereits dem Ecritoire, der silbernen Plakette mit der Versuchung Christi, die Arent van Bolten, um 1600, zugeschrieben wird (Taxe 10.000 Euro); oder dem Zeremonienstab des Maître d’hôtel von Ludwig XVI., 150 Zentimeter lang, in zwei Teile zu zerlegen und im eigens dafür gefertigten Etui zu verstauen (Taxe 250.000 Euro).
Bei der Brüsseler Brafa 2011 sollte der gut 7,5 Kilo schwere silberne Weinkühler von Jean-Baptiste-Claude Odiot 220.000 Euro kosten. Bei Lempertz liegt der Schätzpreis nun bei 50.000. Er war zusammen mit zwei Heiligen als Reliquienbüsten in Silber über einem Holzkern, die in Neapel um 1710 entstanden sein könnten (Taxe 40.000 Euro), und den beiden Cloches von Johann Friedrich Köpping, 1768, für das sogenannte Petersburger Service von François-Thomas Germain (Taxe je 30.000 Euro), 2016 bei der Pariser Biennale des Antiquaires ausgestellt. Damit bleibt offen, ob sie nicht begehrt waren, oder ob de Leye, der Kenner, sie zwar zeigen, aber sich noch nicht von ihnen trennen wollte. Denn: „Wenn man ein Kenner ist“, warnte Jean-Jacques Rousseau, „darf man keine Sammlung anlegen.“