Glasauktionen

Wie entwickelt sich der Markt für Barockglas?

Die vielfältigen Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie haben das Messewesen fast vollständig zum Erliegen gebracht, fulminante Bietgefechte in den Auktionssälen verhindert und Glassammlertreffen ersatzlos aus dem Terminkalender gestrichen. Der Markt ist dennoch weiterhin lebendig

Von Hans-Uwe Trauthan
12.08.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 13

Die Corona-Pandemie machte in den letzten zwölf Monaten natürlich auch um die Kunstszene keinen Bogen. Für alle Seiten schwierig waren insbesondere die vielfältigen Kontaktbeschränkungen, die die Akquise zeit- und damit kostenaufwendiger gestalteten, das Messewesen fast vollständig zum Erliegen brachten, fulminante Bietgefechte in den Auktionssälen verhinderten – und freilich auch die Glassammlertreffen ersatzlos aus dem Terminkalender strichen. Und so gibt es diesmal lediglich aus der Herbst-Winter-Saison 2020/21 Nennenswertes zu berichten.

Im Bereich des venezianischen Glases setzte Bonhams in London am 29. September 2020 die beiden ersten Ausrufezeichen. 25.000 Pfund erzielte dort eine um 1500 entstandene venezianische Pilgerflasche. Das typisch flach-eiförmige Objekt mit hohem, schlankem Hals präsentierte auf Vorder- und Rückseite das in Rot, Weiß, Blau und Ocker ausgeführte Wappen der Familie Neril. Derartige Pilgerflaschen mit italienischen Wappen sind rar und scheinen etwas früher hergestellt worden zu sein als vergleichbare Stücke mit germanischen Wappen. Von 20.000 auf 70.000 Pfund kletterte in derselben Auktion ein um 1570/91 gefertigter, 31,5 Zentimeter hoher Vasendeckelpokal aus leicht graustichigem Glas, der zwischen profilierten Schaftgliedern einen vergoldeten, formgeblasenen Schaftbaluster mit zwei vergoldeten Löwenmasken besaß. Das Stück, das zu Recht der Innsbrucker Hofglashütte zugeschrieben und mit ausführlichen Literaturhinweisen versehen war, hatte eine ovale Kuppa mit vergoldeten Himbeernuppen, zwei horizontal verlaufenden Bändern aus Email, diamantgerissenen Bordüren und Rollwerk.

Von 20.000 auf 70.000 Pfund kletterte am 29. September 2020 bei Bonhams ein um 1570/91 gefertigter, 31,5 Zentimeter hoher Vasendeckelpokal der Innsbrucker Hofglashütte. © Bonhams, London
Von 20.000 auf 70.000 Pfund kletterte am 29. September 2020 bei Bonhams ein um 1570/91 gefertigter, 31,5 Zentimeter hoher Vasendeckelpokal der Innsbrucker Hofglashütte. © Bonhams, London

Auf dem Kontinent kamen die investigativ arbeitenden Glassammler aus den Startlöchern, als am 13. Oktober bei Gros & Delettrez in Paris die Kollektion von Barbara Wirth und Alain Weil aufgerufen wurde. Da es zu den 207 offerierten Objekten nicht einmal einen Katalog gab, war ein globales Netzwerk unerlässlich. Die Lose wurden nur online präsentiert, geboten werden durfte ebenfalls nur online. Und dabei wurden die marktfernen Schätzpreise komplett ignoriert: Denn die Stücke waren extrem selten. Etwa ein außergewöhnliches französisches Glas aus der Zeit um 1700 mit einer trichterförmigen, in weißer und gelber Emailmalerei verzierten Kuppa (1). Das Objekt, das aufgrund des fehlenden Fußes auf einem vergoldeten Metallglashalter montiert war, ließ seinen Ansatz von 20.000 Euro mit einem Zuschlag bei 68.000 Euro weit hinter sich. Und die Preisrallye ging weiter: Ein 14 Zentimeter hoher zylindrischer Becher – französisch, frühes 17 Jahrhundert, blau und weiß emailliert – kletterte von 15.000 auf 38.000 Euro. Ein Pokal mit einer Kuppa in Maigeleinform auf einem hohlen Balusterschaft steigerte sich von 8000 auf 29.000 Euro. Und ein 19,5 Zentimeter hoher venezianischer Netzglaspokal („white reticello“), von dem nur 2500 Euro erwartet worden waren, brachte am Ende 10.000 Euro ein.

Auch Lempertz in Köln konnte im November 2020 in diesem sehr speziellen Marktsegment mit einem Zuschlag bei 36.000 Euro für eine auf 4000 Euro geschätzte niederländische Flasche aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts aufwarten, die zwischen den Rippen und um den Hals einen feinen diamantgravierten Blütendekor aufwies. Ebenso überraschend war in der Auktion der Erlös von 25.000 Euro für einen auf 3000 Euro geschätzten Becher „Façon de Venise“ mit einem umlaufend dekorierten Netz aus Emailtupfen über Goldblättchen. Der wenig aussagekräftige Katalogeintrag hatte hier „Venedig oder Nordböhmen, 16. / Anfang 17. Jh.“ gelautet.

Ein außergewöhnliches französisches Glas aus der Zeit um 1700, das aufgrund des fehlenden Fußes auf einem vergoldeten Metallglashalter montiert ist, ließ am 13. Oktober 2020 bei Gros & Delettrez seinen Ansatz von 20.000 Euro mit einem Zuschlag bei 68.000 Euro weit hinter sich. © Gros & Delettrez, Paris
Ein außergewöhnliches französisches Glas aus der Zeit um 1700, das aufgrund des fehlenden Fußes auf einem vergoldeten Metallglashalter montiert ist, ließ am 13. Oktober 2020 bei Gros & Delettrez seinen Ansatz von 20.000 Euro mit einem Zuschlag bei 68.000 Euro weit hinter sich. © Gros & Delettrez, Paris

Im Bereich Formglas stimulierte am 20. März 2021 bei Dr. Fischer in Heilbronn ein exzellent erhaltener rheinischer Krautstrunk aus bläulich-grünlichem Glas mit Abriss und hochgestochenem Boden, einem zweifach umgelegten Fußring und acht abwechselnd von zwei und drei Nuppen belegten Vertikalreihen die Nachfrage. Das um 1520 geschaffene Stück verbesserte sich von 12.000 auf 26.000 Euro. Auch bei einem Maigelein der Zeit um 1600, entstanden in den Niederlanden oder Frankreich, das zwischen den einzelnen Glasschichten mit eingeschmolzenen Glaskröseln in opakem Weiß, Eisenrot, Gelb und durchsichtigem Kobaltblau farbenprächtig daherkam, wurde der Ansatz von lediglich 2000 Euro nach einem rasanten Bietgefecht mit einem Zuschlag bei 13.000 Euro geradezu pulverisiert.

Im ausgedünnten Markt für „Römer“ überraschte am 6. Juli 2021 im Wiener Auktionshaus im Kinsky ein 26 Zentimeter hohes Objekt aus hellgrünem Glas mit hochgestochenem Boden, einem gesponnenen konischen Fuß und einem zylindrischen, oben geöffneten Hohlbalusterschaft mit aufgeschmolzenen Beerennuppen. Das im 17. / 18. Jahrhundert in den Niederlanden entstandene Objekt mit eiförmiger Kuppa, die durch ein umlaufendes, gekerbtes Band zum Schaft hin abgesetzt war, konnte seine Taxe mit dem Zuschlag bei 7000 Euro verdoppeln.

Das Auktionshaus Neumanns in Celle offerierte im Januar 2021 ein zielgerichtet zusammengestelltes Ensemble früher Potsdamer Schnittpokale, die allesamt während eines Sammlerlebens bei Dr. Fischer ersteigert worden waren. Erwartungen von 380, 260 und 1100 Euro wurden mit Zuschlägen bei 1300, 1400 und 3000 Euro deutlich übertroffen: Am Ende gab es einen kleinen „White Glove Sale“ in der Lüneburger Heide!

Im Bereich Formglas stimulierte am 20. März 2021 bei Dr. Fischer ein exzellent erhaltener rheinischer Krautstrunk aus bläulich-grünlichem Glas die Nachfrage – das um 1520 geschaffene Stück verbesserte sich von 12.000 auf 26.000 Euro. © Dr. Fischer, Heilbronn
Im Bereich Formglas stimulierte am 20. März 2021 bei Dr. Fischer ein exzellent erhaltener rheinischer Krautstrunk aus bläulich-grünlichem Glas die Nachfrage – das um 1520 geschaffene Stück verbesserte sich von 12.000 auf 26.000 Euro. © Dr. Fischer, Heilbronn

Ein Erfolg war auch die Versteigerung der Sammlung Dr. Wolf-Horst Röhl am 24. Oktober 2020 bei Dr. Fischer – wenn auch mit Einschränkungen. Denn bei generell sehr optimistischen Schätzpreisen war durchgängig eine Zurückhaltung zu spüren – und das bei einer der bedeutendsten Sammlungen von barocken Gläsern, die seit der Nachkriegszeit in Deutschland angeboten wurde. Von den 95 meist hochkarätigen und mittels eines vortrefflichen Sonderkatalogs präsentierten Objekten entfielen 30 Positionen auf Erzeugnisse niederländischer und englischer Glaskünstler mit bekannten Namen: ein von Röhl behutsam aufgebautes und gepflegtes Segment. Und in diesem Bereich reüssierten dann auch zwei bedeutende, signierte Gläser von Frans Greenwood und David Wolff mit Ergebnissen von 75.000 beziehungsweise 120.000 Euro – die Taxen hatten bei 70.000 und 100.000 Euro gelegen. Doch beispielsweise ein Hermann Schwinger zugeschriebener Nürnberger Hohlbalusterpokal mit Triton und Nereide verbesserte sich nur marginal von 10.000 auf 12.000 Euro, ein Potsdamer Deckelpokal mit Bacchanal von Elias Rosbach aus der Zeit um 1730 von 10.000 auf 14.000 Euro. Ein erstes Ausrufezeichen setzte dann ein aus der Londoner Christie’s-Auktion vom 11. Dezember 2000 bekannter Deckelpokal mit einer Hirschjagd und dem Hirsch des Heiligen Hubertus, um 1740 / 50 in Zechlin ebenfalls von Elias Rosbach veredelt: In London hatte er umgerechnet rund 10.000 Euro erzielt, nun landete er bei 15.000 Euro. Von 20.000 auf 25.000 Euro kletterte ein um 1710 in der schlesischen Werkstatt Friedrich Winters geschaffener Fußbecher mit Putti in hervorragendem Schnittdekor, ehemals im Besitz des Glashändlers Uwe Friedleben. Eine fulminante Steigerung, erzeugt vor allem durch starkes Interesse des Handels, gab es bei einem marktbekannten, in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Braunschweig entstandenen Deckelpokal mit Wappen und Ochsenkarren von Johann Heinrich Balthasar Sang: Die Erwartungen hatten bei 6000 Euro gelegen, zugeschlagen wurde das Stück bei 16.000 Euro. Ein wohlfeil mit 2500 Euro angesetzter Becher mit dem Wappen des Johannes von Milich, entstanden Ende des 17. Jahrhunderts im Riesengebirge, wurde vom Markt abgelehnt – allerdings nur zunächst. Denn in der März-Auktion, in der die Restanten aus der Röhl’schen Sammlung mit konsequent reduzierten Schätzpreisen starteten, waren verschiedene Bieter dann doch bereit, den Becher von 1300 auf 3300 Euro zu heben. Ganz plausibel ist das nicht.

Ein in Dresden ausdrucksstark bemalter Stangenbecher mit sächsisch-polnischem Wappen und Elefantenorden – „F.A.R.P.E.S.“ (Fridericus Augustus Rex Poloniae Elector Saxoniae) monogrammiert und 1701 datiert – verbesserte sich am 13. November 2020 bei Lempertz von 1500 auf marktgerechte 7500 Euro. © Lempertz, Köln
Ein in Dresden ausdrucksstark bemalter Stangenbecher mit sächsisch-polnischem Wappen und Elefantenorden – „F.A.R.P.E.S.“ (Fridericus Augustus Rex Poloniae Elector Saxoniae) monogrammiert und 1701 datiert – verbesserte sich am 13. November 2020 bei Lempertz von 1500 auf marktgerechte 7500 Euro. © Lempertz, Köln

In einer an die Hauptversteigerung der Sammlung Dr. Röhl am 24. Oktober 2020 angeschlossenen Auktion kam in Heilbronn mit der Katalognummer 461 dann ein „Erotika-Pokal, Sachsen, Glücksburger Hütte, Mitte 18. Jh.“ zum Aufruf, der in umlaufendem, teils poliertem Schnitt eine Parklandschaft mit Arkaden, Wasserspielen, Vogelkäfig, figürlichen Darstellungen und der Inschrift „Alter Laß Daß lieben bleyben, laß es Junge leutte treyben“ zeigte. Das auf 2200 Euro taxierte Stück wurde für 1800 Euro zugeschlagen. Aufmerksame Beobachter der vielschichtigen Barockglasszene entdeckten den fraglichen Pokal dann zum Sofortkauf für 3900 Euro auf Ebay, erstmals im März 2021. Und noch im August ließ sich das Stück dort unter der Nummer 363323622524 aufrufen – versehen mit der grob falschen, preistreibenden Angabe „Provenienz Sammlung Dr. Wolf Horst Röhl“. Bei einer solchen Absatzstrategie stellen sich natürlich Fragen vielfältiger Art …

Die beiden herausragenden Ergebnisse der 70 Gläser aus der Sammlung von Renate und Tono Dreßen, die im November 2020 bei Lempertz zum Aufruf kamen und – mit einer Ausnahme – zwischen dem Ende des 17. und der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden waren, fanden sich im Bereich des emailbemalten Glases. Das früheste Objekt der Kollektion, ein überaus reich bemalter, wohl böhmischer Reichsadlerhumpen mit dem Schriftzug „Das Heilige Römisch Reich: Mittsampt Seinen Gliedern 1601“ steigerte sich von 8000 auf 16.000 Euro. Ein Stangenbecher mit sächsisch-polnischem Wappen, dem Elefantenorden, dem Monogramm „F.A.R.P.E.S.“ (Fridericus Augustus Rex Poloniae Elector Saxoniae) und der Datierung „1701“ – in Dresden dezent, aber ausdrucksstark und vielfarbig bemalt – verbesserte sich von 1500 auf marktgerechte 7500 Euro.

Zur Startseite