Fritz Flinte

Dynamische Wirbel

Zu Lebzeiten galt der eigenwillige und unkonventionelle Hamburger Maler Fritz Flinte als Sonderling, doch die hohe Qualität seiner Werke war seit jeher unbestritten. Am Markt wird er bislang vorrangig als lokaler Meister wahrgenommen

Von Gabriele Himmelmann
10.08.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 12

Mit seinem leidgeprägten, zerfurchten Antlitz und dem ungepflegten, zerzausten Bart wirkt der über Achtzigjährige wie eine Gestalt aus den Romanen von Dostojewski oder auch wie ein später Doppelgänger Ernst Barlachs“ – so beschrieb der renommierte Kunsthistoriker Hanns Theodor Flemming den Hamburger Künstler Fritz Flinte im Jahr 1957. Der eigenwillige und unkonventionelle Künstler hatte immer als Sonderling gegolten – unbestritten war allerdings auch die hohe Qualität seiner Werke. Zu seinen Lebzeiten zählte man Flinte zu den herausragenden Malern Norddeutschlands.

Im Jahr 1876 in Hamburg geboren, ging Flinte nach einer Drechsler-Ausbildung zum Studium an die Kunstakademie in Stuttgart. Alfred Lichtwark, der Direktor der Hamburger Kunsthalle und erste Förderer Flintes, hatte dem begabten jungen Künstler ein Stipendium vermittelt.

Flinte kehrte 1905 im Anschluss an seine Akademieausbildung in seine Geburtsstadt zurück, um als Künstler zu reüssieren; sechs Jahre später kam es zu einer ersten Ausstellung seiner Werke in der renommierten Galerie Commeter. In der Tagespresse würdigte man ihn als „ernstes aufstrebendes Talent“; ein anderer Rezensent schrieb voller Euphorie: „Seit langer Zeit begegnet uns unter den Hamburger Malern der jüngeren oder jüngsten Altersklassen endlich wieder ein Künstler, der nicht an den selbstverständlichen Einzelheiten der Gegenstände haftet und eine tiefere Empfänglichkeit für den essentiellen Gehalt, für die malerische Essenz dieser Gegenstände verrät.“

Mit malerischen Mitteln gelang es Flinte, ein hohes Maß an existentieller Intensität anschaulich zu machen. Ein 1949 geschaffenes „Selbstporträt“ in Öl auf Karton, das Stahl am 28. Februar 2015 für 2100 Euro zuschlagen konnte, demonstriert das. © Stahl, Hamburg
Mit malerischen Mitteln gelang es Flinte, ein hohes Maß an existentieller Intensität anschaulich zu machen. Ein 1949 geschaffenes „Selbstporträt“ in Öl auf Karton, das Stahl am 28. Februar 2015 für 2100 Euro zuschlagen konnte, demonstriert das. © Stahl, Hamburg

Hamburg verfügte in diesen Jahren weder über eine Akademie noch über eine gut vernetzte Kunstszene – aber dies sollte sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ändern. Im Jahr 1919 bildete sich die Hamburgische Sezession; Fritz Flinte gehörte zu den Gründungsmitgliedern. Dieser Zusammenschluss von Künstlern und Künstlerinnen verlieh der Kaufmannsstadt in der jungen Weimarer Republik einen bis dahin nie gekannten Glanz als Kunst-Metropole. Regelmäßige Ausstellungen, die schließlich auch überregional Beachtung fanden, bezeugten die ernsthafte Auseinandersetzung der Gruppe mit den Positionen der internationalen Avantgarde. Allerdings kam es intern schnell zu Differenzen, die dazu führten, dass Fritz Flinte die Sezession wieder verließ. In Folge zeigte er seine Werke bei einigen ihrer Ausstellungen als Gastkünstler; schließlich überredete man ihn, der Gruppe wieder beizutreten. Er blieb dann bis zur Selbstauflösung der Sezession im Jahr 1933 dabei.

Dies zeigt, dass der stille, zurückgezogen lebende Flinte doch auch die Interaktion mit der plötzlich so lebendigen Hamburger Kunstszene suchte und seine Fragestellungen in diesem modernen Milieu zur Disposition stellen wollte. Vor diesem zweifellos inspirierenden Hintergrund entwickelte er eine ganz eigene, eindringliche Bildsprache. Seine bevorzugten Gattungen waren das Stillleben und das Selbstbildnis – und mit seinen malerischen Mitteln gelang es Flinte, ein hohes Maß an existentieller Intensität anschaulich zu machen.

Anfang der Dreißigerjahre entstanden in kurzem zeitlichen Abstand drei Selbstbildnisse, die dies verdeutlichen mögen. Alle drei Fassungen zeigen den Künstler in einem unspezifischen Raum, der keine weiteren Informationen zur Person enthält. Flinte zeigt sich in einem weiten Kittel, in dem er zu versinken droht; in den Händen hält er seine Malutensilien. Mit dem sichtbar gebliebenen Pinselstrich erzeugt er dynamische Wirbel und diagonale, horizontale und vertikale Linien, die sich über das gesamte Bild ziehen. So teilt sich malerisch eine Erregung mit, die im Widerspruch zu der Verschlossenheit des Gesichts im Zentrum steht: Die Augen scheinen das Gegenüber im Spiegel zu erfassen, aber der Mund ist bis zur Unkenntlichkeit übermalt. Flintes Ausdrucksmittel ist nicht die Sprache – stattdessen artikuliert sich innere Bewegtheit bei ihm über die genuinen Möglichkeiten der Malerei. Diese spannungsreiche Bildsprache der Moderne bleibt bei Flinte dem Selbstbildnis vorbehalten – in seiner unnachgiebigen Konsequenz hat er es zeitlebens abgelehnt, Porträtaufträge anzunehmen.

Dass es Flinte in seinem Schaffen weniger um die Bilderzählung als vielmehr um die malerischen Möglichkeiten ging, zeigt „Segelboote“ – ein 1909 entstandenes Werk in Öl auf Karton, das am 6. Juni 2009 bei Grisebach für taxgerechte 900 Euro zugeschlagen wurde. © Grisebach GmbH, Berlin
Dass es Flinte in seinem Schaffen weniger um die Bilderzählung als vielmehr um die malerischen Möglichkeiten ging, zeigt „Segelboote“ – ein 1909 entstandenes Werk in Öl auf Karton, das am 6. Juni 2009 bei Grisebach für taxgerechte 900 Euro zugeschlagen wurde. © Grisebach GmbH, Berlin

Dementsprechend begriff er auch das Stillleben als Experimentierfeld. Auf einem schlichten Küchentisch arrangierte Flinte seine Objekte: Krüge, Früchte, Kohlkopf und Artischocke, Flaschen, ein Brot etc. Häufig verband er die unspektakulären Dinge durch ein weißes, weich fallendes Tuch.

Dass es ihm weniger um die Bilderzählung als vielmehr um die malerischen Möglichkeiten ging, wurde auch von den Zeitgenossen wahrgenommen. Hellsichtig schrieb ein Rezensent: „Als Motiv eine ärmliche Angelegenheit, aber daran sehen wir, dass es dem Maler nicht auf die Wiedergabe dieser Gegenstände allein ankommt. Dass sie ihm etwas anderes bedeuten, dass er etwas daraus macht, neuen Raum schafft und ihn mit Leben erfüllt.“

Auch hier ist die Farbe pastos aufgetragen, wieder bleibt der Pinselstrich sichtbar. Die Farbe wird zum konkreten Gestaltwert, ihre Formung verleiht dem Bild ein hohes Maß an Bewegungsenergie, an dynamischer Gespanntheit – konträr zu der zeitenthobenen Ruhe der Gegenstände.

Im Bereich des Stilllebens arrangierte Flinte oft unspektakuläre Objekte auf einem schlichten Küchentisch – wie beim „Tischstillleben mit Früchten“, das sich am 22. Februar 2020 bei Stahl von 2500 auf 3700 Euro verbesserte. © Stahl, Hamburg
Im Bereich des Stilllebens arrangierte Flinte oft unspektakuläre Objekte auf einem schlichten Küchentisch – wie beim „Tischstillleben mit Früchten“, das sich am 22. Februar 2020 bei Stahl von 2500 auf 3700 Euro verbesserte. © Stahl, Hamburg

Der Kunstauffassung der Nationalsozialisten entsprach Flintes Werk nicht – aber einige seiner norddeutschen Landschaftsbilder wurden auch noch nach 1933 in Ausstellungen gezeigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Flinte zu den verbliebenen Mitgliedern der Hamburgischen Sezession. Sie versuchten, die Gruppe wiederzubeleben; an die alten Erfolge konnte man jedoch nicht mehr anknüpfen. Mitte der Fünfzigerjahre gab Flinte das Malen auf – zuvor hatte man seine Werke im Rahmen einer Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle gezeigt und ihn als Repräsentanten der Moderne wiederentdeckt. Eine umfassendere Würdigung des Künstlers steht allerdings immer noch aus.

Dies spiegelt auch der Kunstmarkt. Flinte wurde bislang vorrangig als lokaler Meister wahrgenommen und für zumeist niedrige Preise gehandelt. Ketterer in Hamburg brachte am 28. Oktober 2005 bei 1200 Euro das kleine, um 1909 entstandene Ölbild „Landarbeiter bei Prerow“ zur Auktion, das am Ende 1400 Euro einbrachte. Die kleine Ölskizze „Sitzendes Mädchen“ verkaufte sich am 15. November 2008 im Auktionshaus Satow für 1100 Euro, leicht unter Schätzung. Grisebach in Berlin schlug „Segelboote“ von 1909 am 6. Juni 2009 für taxgerechte 900 Euro zu. Im Hamburger Auktionshaus Stahl, das die mit Abstand meisten Werke des Künstlers zur Auktion brachte, verbesserte sich am 22. Februar 2020 ein „Tischstillleben mit Früchten“ von 2500 auf 3700 Euro. Am 28. Februar 2015 wurde dort ein Selbstbildnis für 2100 Euro zugeschlagen, die Taxe hatte bei 2900 Euro gelegen. „Schiffe auf der Elbe“, ein zurückgenommenes, atmosphärisch dichtes Bild von nur 24 mal 32 Zentimetern in Öl auf Karton, steigerte sich am 14. September 2019 an selber Stelle von 1500 auf 1700 Euro. Und den bisher besten Zuschlag für Flinte konnte das Haus am 23. April 2016 verzeichnen, als das Gemälde „Am Feenteich“ von 9000 auf 11.000 Euro gehoben wurde. Insgesamt ist das Preisniveau aber über die Jahre hinweg weitgehend gleich geblieben.

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