Spitzenwerke aus der Sammlung der Erdöl-Milliardäre Edwin und Ann Cox kommen bei Christie’s als „Geschichte des Impressionismus“ unter den Hammer – darunter Arbeiten von van Gogh, Caillebotte und Monet
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08.11.2021
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 192
Als der 28-jährige Gustave Caillebotte 1876 die zukunftsweisende Pariser Straßenszene „Jeune homme à sa fenêtre“ ausstellte, kritisierte Émile Zola seinen Realismus scharf als „anti-künstlerisch“. Wie hat sich unser Blick gewandelt: Am 11. November ist das Bild Zugpferd unter 25 Meisterwerken des Impressionismus, mit denen Christie’s Auktionsgeschichte schreiben will. Sie kommen aus dem Nachlass von Edwin L. Cox, einem prominenten texanischen Selfmade-Milliardär und Philanthropen, der im vergangenen November im Alter von 99 Jahren verstarb. Cox hatte sich in seinen Firmen auf Erdöl- und Erdgasexploration spezialisiert, nahm aber auch Platz im Vorstand des Dallas Museum of Art.
Experten schwelgen nun in Superlativen. Adrien Meyer, Christie’s Global Head of Private Sales und Co-Chairman Impressionist & Modern Art, schwärmt von „einer mythischen Sammlung, die um die wichtigsten Vertreter des Impressionismus angelegt wurde und der besten Museen würdig ist“. Seit Jahrzehnten sei keine Sammlung dieser Bedeutung auf den Markt gekommen. Und Art Advisor Stephane Connery verweist darauf, dass viele der Gemälde zuletzt vor dem Zweiten Weltkrieg öffentlich gezeigt wurden. Allein drei Werke gehen mit achtstelligen Schätzungen ins Rennen, darunter bedeutende Landschaften von Vincent van Gogh und Paul Cézanne. Mehr als 50 Millionen Dollar soll Caillebotte einspielen – bisher steht sein Rekord bei 16,7 Millionen Pfund (22,2 Millionen Dollar), die eine späte Landschaft 2019 bei Christie’s in London erzielte. Insgesamt soll der New Yorker Abend über 200 Millionen Dollar einspielen.
Edwin Cox und seine Frau Ann begannen in den Siebzigerjahren, neben wichtigen amerikanischen Künstlern des 19. Jahrhunderts auch französische Impressionisten einzukaufen, ein damals äußerst fashionables Sammelgebiet. Vieles bezogen sie über die internationale Kunsthandlung Wildenstein, damals unbestritten erste Adresse für diskret gehandelte Meisterwerke des Impressionismus. „Edwin Cox handelte sich ein Vorkaufsrecht aus und konnte sich so das Allerbeste sichern“, erklärt Meyer. Viele der an Cox vermittelten Werke hatten nur einen oder zwei Vorbesitzer. Innerhalb von weniger als zehn Jahren entstand der Kern der Sammlung. Die Coxes lebten mit ihrer Kunst, integrierten sie in das vom „Goût Rothschild“ inspirierte Interieur ihrer palladianischen Residenz, die in Dallas’ bukolischer Nobel-Enklave Highland Park das alte Europa feierte.
Die von Christie’s mit „The Story of Impressionism“ betitelte Auktion kann die Entwicklung des Stils bis in den Postimpressionismus, und vereinzelt auch darüber hinaus, illustrieren. Eines von Édouard Vuillards späten Society-Porträts, der Pariser Stummfilmstar Jane Renouardt, datiert um 1926. Die ungewöhnliche Komposition zeigt sie kokett hingegossen inmitten verspiegelter Wände, die ihr üppiges ornamentbeladenes Boudoir mehrfach reflektieren. Das großformatige Temperabild soll 1 bis 1,5 Millionen Dollar einspielen. Auch ein Werk der selten angebotenen Impressionistin Berthe Morisot (Taxe 2 bis 3 Millionen Dollar) oder Renoirs auf 700 000 Dollar geschätztes Porträt seines Lieblingsmodells, der Schauspielerin Henriette Henriot, sind dabei.
Das Gros der Sammlung stellen Pleinair gemalte Landschaften, angeführt von Schilderungen des für die Impressionisten so wichtigen Örtchens Argenteuil. Alfred Sisley hielt das beliebte Ziel für Pariser Sonntagsausflügler und Hobbysegler mit „La Seine à Argenteuil“ (2 bis 3 Millionen Dollar) im wichtigen Jahr 1872 fest, Claude Monets „Le bassin d’Argenteuil“ folgt 1874 in lebhafterer Farbgebung. Hier werden mindestens 15 Millionen Dollar erwartet. Zu den innovativsten Landschaftsgemälden der Zeit gehört Paul Cézannes „L’Estaque aux toits rouges“, das um 1884 schon den Kubismus ankündigt und jetzt 35 bis 55 Millionen Dollar einspielen soll. Auch dieses Bild wurde im Jahr 1982 von Wildenstein vermittelt, hatte damals nur einen Vorbesitzer. Dagegen trägt eine der heute hochbezahlten späten Landschaften Vincent van Goghs, „Cabanes de bois parmi les oliviers et cyprès“ von 1889, das begehrte Gütesiegel von Georges Renand, einem der bedeutendsten Sammler französischer Kunst des 19. Jahrhunderts. Hier werden um 40 Millionen Dollar erwartet. Im Juni 1890, einen Monat vor van Goghs Selbstmord, entstand das Bildnis eines sorglosen jungen Burschen, der an einer Kornblume kaut (5 bis 7 Millionen Dollar). Es wurde in frühen Retrospektiven gezeigt, 1905 auch vom Berliner Kunsthändler Paul Cassirer, dem wichtigsten Impulsgeber für van Goghs Markt im wilhelminischen Deutschland.
Der Stolz von Cox’ Sammlung, Caillebottes Rückenansicht eines Mannes, zeigt seinen jüngeren Bruder René am Fenster des eleganten Familienapartments im 8. Arrondissement. Gemeinsam mit dem jungen Mann studieren wir das Treiben am mondänen Boulevard Malesherbes. Wie auch das im folgenden Jahr entstandene atmosphärische Hauptwerk „Rue de Paris, temps de pluie“, eines der Aushängeschilder des Art Institute of Chicago, belegt es Caillebottes Aneignung moderner urbaner Motive. Häufig schilderte er in unkonventionellen Perspektiven die radikale Umgestaltung der Hauptstadt unter Baron Haussmann im Second Empire.
Die Bewunderung für die Zeit ist auch vielen Einrichtungsgegenständen der Cox-Residenz abzulesen: Möbel, Silber, Glas und Porzellan versteigert Christie’s vom 9. bis 19. November in einer Online-Auktion mit dem Titel „High Style in Highland Park: The Collection of Mr. & Mrs. Edwin L. Cox“.