Auf dem Auktionsmarkt für Bücher sind Inkunabeln und mittelalterliche Manuskripte gefragt wie eh und je, aber auch Erstausgaben berühmter Klassiker – und „Harry Potter“
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19.01.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 1/22
„Mein Papier, du bist ein herrlich Sach!“ Solches Lob wirkt in Zeiten des Smartphones und verwandter Lesekrücken recht nostalgisch. Noch dazu, wenn es zugleich „ein Werkzeug des Gelehrten“ und „Ein Erhalter der menschlichen Freundschaft“ genannt wird. Trotzdem ist nicht zu verkennen, dass eine beachtliche Zahl von Leuten diesen Sentenzen von Abraham a Sancta Clara, mögen sie auch gut dreihundert Jahre alt sein, zustimmen. Das verrät ein Blick auf den Auktionsmarkt für Bücher anno 2021. Denn mit 41 Millionen Dollar (Taxe 15 Millionen) für die sechs Seiten des ersten Drucks der amerikanischen Verfassung, von dem nur noch zwölf Kopien überliefert sind, konnte Sotheby’s am 18. November 2021 in New York eine neue Rekordmarke für Gedrucktes verbuchen. Der Vorbesitzer hatte dieses Exemplar 1988 für 165.000 Dollar ersteigert.
Das zweitteuerste Buch in diesem Jahr – und zugleich das zweitteuerste hebräische Manuskript – wurde mit 7 Millionen Dollar (Taxe 4 Millionen) der „Luzzatto Machsor“, eine illuminierte süddeutsche Handschrift mit den Gebeten für die Hohen Feiertage aus dem 13./14. Jahrhundert, benannt nach dem italienischen Wissenschaftler und Dichter Samuel David Luzzatto, aus dessen Nachlass es 1870 die Alliance Israélite Universelle zusammen mit anderen Werken für 3600 Francs erwarb. Nun lieferte sie es im Oktober bei Sotheby’s New York ein.
Den dritthöchsten Zuschlag erzielte Christie’s mit 3 Millionen Dollar (Taxe 1,5 Millionen) für ein Stundenbuch des Pariser Meisters Bartholomeus Anglicus, das zwischen 1430 und 1450 in Latein und Französisch geschrieben worden war. Aus dem Besitz von Chester Beatty wurde es 1968 für 17.000 Pfund versteigert. 1977 ging es für 67.000 Pfund an den New Yorker Antiquar H. P. Kraus, von dem es dann Elaine und Alexandre Rosenberg für 200.000 Dollar erwarben. Zu deren Sammlung gehörten auch 16 mittelalterliche Handschriften mit Miniaturen und zahlreiche Inkunabeln, die im April in New York versteigert wurden. 12,4 Millionen Dollar trugen die insgesamt 209 Lose ein.
Darunter waren auch zwei lateinische Ausgaben des „Stultifera navis“, des „Narrenschiffs“ von Sebastian Brant, die mit 20.000 und 24.000 Dollar ihre Schätzungen verdoppeln konnten. Reiss & Sohn, die jetzt im Oktober in Königstein von einer Taxe von 15.000 Euro ausgingen, erzielten zwar nur 12.000 Euro, übertrafen damit jedoch Bonhams, die im selben Monat in New York lediglich auf 4000 Dollar kamen. Wie stark die Zuschläge abhängig vom Zustand, aber auch von dem Interesse der Käufer, sein können, belegen auch Schedels „Liber chronicarum“ wie die fünf Monate später erschienene deutsche Version „Das Buch der Chroniken und Geschichten“ von 1493. Zwischen 1991 und 2000 bewegten sich die Preise um (umgerechnet) 17./18.000 Euro. Allerdings wurden bereits 1999 daraus im Dorotheum 72.000 Euro. Und in den folgenden Jahren pendelten die Preise um 50./60.000 Euro, ehe Ketterer für die deutsche Ausgabe 2010 mit 220.000 Euro eine neue Höchstmarke setzte. 2021 mussten sich Sotheby’s, Christie’s und Bonhams bei sieben Angeboten allerdings mit Zuschlägen zwischen (umgerechnet) 20.000 und 60.000 Euro bescheiden.
Zu den aktuellen Spitzenzuschlägen gehörten außerdem die Opera von Platon in der Übersetzung von Marsilio Ficino von 1484, die im April bei Christie’s von 200.000 auf 830.000 Dollar stiegen, sowie das Storyboard von „Dune“ von 1975, mit dem Alejandro Jodorowsky Finanziers für einen dystopischen Science-Fiction-Film nach dem Roman „Der Wüstenplanet“ von Frank Herbert zu gewinnen hoffte. Allerdings vergeblich, obwohl die Geschichten um den trostlosen Planeten Arrakis als „Inkunabel“ der Zukunfts-Weltuntergangsliteratur gelten. Wegen der mehr als 250 Zeichnungen von Christopher Foss, Jean Giraud (Moebius) und H. R. Giger stieg das höchstens in 20 Exemplaren gedruckte Querformat im November bei Christie’s in Paris von 25.000 auf 2,2 Millionen Euro. Dabei mag eine Rolle gespielt haben, dass der Roman – nach dem Film von David Lynch 1980 und der Fernsehserie von 2000 – erneut verfilmt gerade durch die Kinos zieht.
Auf 2,2 Millionen Euro hoffte auch das Antiquariat von Jörn Günther, das den zweiten Band der französischen Übersetzung der „Vita Christi“ von Ludolphus Carthusiensis im Katalog der Stuttgarter Antiquariatsmesse anbot. Bemerkenswert ist bei dieser 1506/08 in Paris von dem „Meister der Chronique scandaleuse“ mit 81 Miniaturen geschmückten Handschrift, dass sie nach einer gedruckten Ausgabe geschrieben wurde. Wiewohl Günther außerdem einen „Theuerdank“ von 1517 für 850.000 Euro, Inlibris aus Wien Vesalius’ „De humani corporis fabrica“ von 1543 für 950.000 Euro im Repertoire hatten, hielten sich sonst die sechsstelligen Erwartungen in Grenzen. In Stuttgart wie auch bei der parallelen Ludwigsburger „Antiquaria“, beide auf online zurückgeworfen, gaben meist Drei- und Vierstelliges den Ton an.
Den deutschen Auktionshäusern gelang es nicht, in Millionen-Höhen vorzustoßen. Zwar hatten Reiss & Sohn im Oktober das „Rudimentum novitiorum“ von 1475 aus der Lübecker Offizin von Lucas Brandis auf 1,2 Millionen Euro geschätzt. Von dem Werk, das mit der ersten gedruckten Weltkarte wie der ersten Karte des Heiligen Landes und rund 150 Holzschnitten als Vorgänger von Schedels Weltchronik gilt, war seit 1951 bei Hauswedell & Nolte kein vollständiges Exemplar im Handel. Trotzdem mochte der letzte Bieter nicht über 900.000 Euro hinausgehen.