Die Studiokeramik erlebt eine neue Wertschätzung am Auktionsmarkt und überrascht mit Zuschlägen, wie es sie nie gab. Der Aufschwung gilt aber nur für wenige Künstlerinnen und Künstler
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14.02.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 195
Wer hat 2021 nicht gebannt auf die Sensationsergebnisse für die neue NFT-Kunst sowie die immer noch steigerbaren Summen für Stars der Moderne und der Zeitgenossen geblickt? Doch gab es auch andere Aspekte, die einen nicht weniger zum Staunen bringen konnten. Etwa die Töpferkunst, denn 2021 war ein keramisches Jahr. Da war im September bei Sotheby’s New York die Versteigerung der restituierten Sammlung Oppenheimer. Die außergewöhnlichen Stücke aus der Frühzeit der Meissener Porzellanmanufaktur zündeten ein Bieterfeuerwerk, viele erzielten hohe sechsstellige Summen, einige überschritten sogar die Millionengrenze – eine epochale Auktion.
Aber auch bei der Studiokeramik des 20. Jahrhunderts spielten sich im letzten Jahr Preissteigerungen ab, die zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte. Dabei erfreuen sich künstlerische Unikate, die in den Werkstätten ausgebildeter Keramiker entstehen – das meint der Begriff Studiokeramik in Abgrenzung zur Serienproduktion –, derzeit keiner allgemeinen Nachfrage. Die meisten Keramikerinnen und Keramiker müssen sich für ihre Werke mit dreistelligen, allenfalls niedrigen vierstelligen Summen begnügen. Für Klassiker der Nachkriegszeit wie Jan Bontjes van Beek, Richard Bampi, Karl und Ursula Scheid, Gotlind Weigel oder Horst Kerstan sieht es auf Auktionen oft nicht anders aus.
Unter den Deutschen spielt nur die 2015 gestorbene Beate Kuhn eine Sonderrolle. Ihre fantasiereichen, aus Gefäßformen zusammengefügten Skulpturen bewegen sich seit Jahren in Richtung der 10.000 Euro oder darüber hinaus. Das ist für Studiokeramik schon viel, denn diese kann sich nur schwer aus dem Reservat des Kunsthandwerklichen befreien und auf dem „normalen“ Kunstmarkt etablieren.
Doch gibt es einige Ausnahmen, allen voran Lucie Rie (1902–1995) und Hans Coper (1920–1981), beide aus Österreich beziehungsweise Deutschland vor den Nazis nach England geflohen und dort in der Nachkriegszeit hoch angesehen. Rie wurde sogar von der Queen geadelt. Ihre zarten Schalen mit den charakteristisch konischen Füßen, oft aus Porzellan, bedeckte sie gern mit erdigen Glasuren, in die sie dünne Linienmuster ritzte. Die Stücke sind seit Langem begehrt, erzielen bei britischen und amerikanischen Sammlern zuverlässig über 10.000 oder 20.000 Euro; 2016 stieß eine Schale erstmals in den Bereich von 150.000 Euro vor. Doch das Gros der Werke blieb vierstellig. Analog dazu entwickelten sich die Preise für Copers feinkrustige Gefäße, für die er häufig spatenartige oder archaisch-kykladische Formen aufgriff.
Das Jahr 2021 katapultierte Rie und Coper in ganz neue Gefilde. Wie beim Meissener Porzellan war auch hier der Anlass eine besondere Sammlung. John Driscoll, Eigentümer von Driscoll Babcock, der ältesten Kunsthandlung New Yorks, widmete sich zum privaten Pläsier der britischen Studiokeramik und begnügte sich dabei nur mit erlesenen Stücken. Die Versteigerung nach seinem Tod, in London gemeinsam von Phillips und dem auf Keramik spezialisierten Auktionshaus Maak ausgerichtet, löste im November einen wahren Kaufrausch aus. Drei Meisterwerke Copers fanden für 520.000, 440.000 und 410.000 Pfund neue Besitzer; acht weitere Stücke von ihm erzielten mehr als 100.000 Pfund. Solche Zuschläge hatte die Studiokeramik noch nie erlebt.
Die Toplose von Lucie Rie, die bereits im April bei Sotheby’s New York mit 270.000 Dollar eine neue Rekordhöhe erreicht hatte, kosteten auf der Driscoll-Auktion zwischen 60.000 und 165 000 Pfund netto. Von den Preissteigerungen profitierten auch andere Künstler. So sprang Bernard Leach, Gründerfigur der modernen Keramik Englands, bis auf 77.000 Pfund; ein graviertes, 1962 entstandenes Tongefäß der von ihm verehrten Nigerianerin Ladi Kwali war einem Sammler 105.000 Pfund wert.
Unter den Zeitgenossen ist die britisch-kenianische Keramikerin Magdalene Odundo derzeit das Maß aller Dinge. Ihre gebräunten Terrakottagefäße, in denen sie Formen des weiblichen Körpers aufgreift, erreichten 2020 erstmals 200.000 Pfund, im letzten Juni steigerte sich die Höchstmarke bei Sotheby’s London auf 300.000 Pfund. Diese Entwicklungen in England und Amerika blieb auch in Deutschland nicht ohne Folgen. Zehn Tage nach dem Driscoll-Feuerwerk war die Stimulation bei Schops Turowski in Krefeld, dem einzigen Auktionshaus hierzulande, das regelmäßig Studiokeramik anbietet, deutlich zu spüren. Eine Schale von Lucie Rie sprang von taxierten 6000 auf 100.000 Euro. Und das faszinierendste Werk der Versteigerung, eine Löffelskulptur von Beate Kuhn, verachtfachte die (viel zu tief angesetzte) Schätzung und erzielte die Rekordhöhe von 26.000 Euro – im Grunde immer noch deutlich zu wenig für diese herausragende Künstlerin. Exzellente Werke anderer deutscher Keramiker blieben dagegen im gängigen drei- und vierstelligen Bereich. Der eklatante Preisgraben, der kaum durch entsprechende Qualitätsunterschiede zu erklären ist, gehört zur Bilanz des Keramikjahres. Es ist wie überall am Markt: Wird eine Künstlerin oder ein Künstler erst einmal zur begehrten „Marke“, dann ist alles möglich.