Paul Scheurichs Meisterwerke aus Meissen: Bonhams versteigert in Paris die unvergleichliche Porzellansammlung Rafael
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12.04.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 6/22
Paris 1900, Weltausstellung. Die Porzellanmanufaktur Meissen zog alle Rokoko-Register, um das Publikum zu beeindrucken. Doch anstelle von Beifall gab es von den angereisten Kritikern nur eines: eine Watsch’n. Künstlerische Rückständigkeit wurde attestiert im Vergleich zu den fortschrittlichen Tendenzen aus Skandinavien und Frankreich. Was für eine Blamage! In den Folgejahren wurde die Diskussion über eine moderne Porzellankunst daher intensiv geführt und die Staatsmanufakturen wie privaten Fabriken suchten ihre jeweiligen Positionen.
Die Zeit war somit reif für gute Ideen – und eine der besten hatte Max Adolf Pfeiffer, als er 1909 die Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst gründete. Als leidenschaftlicher Apologet des Porzellans, das er für den „schönsten Werkstoff, den der Mensch sich selbst geschaffen hat“, hielt, setzte er durch die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern Maßstäbe. Pfeiffer wollte ein zeitgemäßes künstlerisches Figurenprogramm jenseits von Rokokotändelei. So kam er in Kontakt mit Paul Scheurich (1883 – 1945), dessen Talent er sofort erkannte und zeitlebens förderte.
Das Ergebnis dieser einmaligen Beziehung kommt nun in Paris bei Bonhams mit der unvergleichlichen Sammlung des im letzten Jahr verstorbenen Johannes Rafael zum Aufruf. Der österreichische Sammler hatte über Jahrzehnte hinweg die sicherlich exquisiteste Kollektion dieses Genres zusammengetragen und als enthusiastischer Privatgelehrter Scheurichs Biografie maßgeblich erforscht. Dies gipfelte bereits 1995 in der ersten Retrospektive in der Meissener Schauhalle, zu der Rafael auf der Grundlage seiner intensiven Forschungen im Archiv der Meissener Manufaktur einen bis heute gültigen Katalog verfasste. In einem weiter gefassten Rahmen konnte noch 2020 eine zweite Scheurich-Ausstellung am gleichen Ort auf der Grundlage von Rafaels Sammlung gezeigt werden (im Nachgang erscheint hierzu nun im Mai ein Katalog).
Der in New York geborene Künstler hatte an der Berliner Kunstakademie studiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwarb er sich schnell einen Namen als ebenso talentierter wie produktiver Grafiker. So zeichnete er Karikaturen, Werbeanzeigen und Plakate, bebilderte viele Bücher und schuf Illustrationen für Modezeitschriften oder auch den Simplicissimus. Er malte außerdem in Öl, Aquarell und Pastell. Bereits zu Beginn seiner Karriere muss er auch plastische Versuche unternommen haben. Auf einer Ausstellung in Berlin begegneten sich der ebenso feinnervige wie umtriebige Künstler und der passionierte „Porzellanmensch“ Pfeiffer. Er engagierte Scheurich sofort für Schwarzburg, dessen „Jägerin“ und „Jäger“ 1912 seinen Einstieg ins Porzellanfach markierten.
Pfeiffer wechselte im Folgejahr als kaufmännischer Direktor an die Meissener Manufaktur, sozusagen mit Scheurich im Gepäck. Zum fulminanten ersten Höhepunkt seiner porzellankünstlerischen Karriere wurde daraufhin die Figurenfolge „Karneval“. Nachdem 1910 und 1912 die „Ballets Russes“ von Sergei Djagilew in Berlin gastiert hatten, porträtierte Scheurich die Bühnengestalten in vier Einzelfiguren und der Gruppe „Harlekin und Columbine“. Dank des heiteren Sujets und seiner narrativen Umsetzung wurden die Plastiken unmittelbar zum Erfolg für Meissen. Sie stellten gleichermaßen die Kritiker wie das kaufende Publikum zufrieden. Scheurich schien die Zauberformel gefunden zu haben: inhaltlich geschmeidig und stilistisch mit deutlichem, nostalgischem Bezug zum Rokoko, das gemeinhin als der dem Material geeignetste Stil betrachtet wurde, ohne dabei aber epigonal zu sein.
Pfeiffer versuchte, Scheurich exklusiv an Meissen zu binden, was aber erst ab 1918 gelang, nachdem er zum Generaldirektor befördert worden war. Sein Amtsvorgänger Julius Heintze hatte nämlich noch kurz zuvor, während einer Abwesenheit Pfeiffers, drei hervorragende Aktfiguren des Künstlers („Daphne“, „Apollo“ und „Ruhende“, alle 1917 entstanden) mit dem lapidaren Kommentar „Wir haben genug nackte Figuren“ zurückgewiesen. Scheurich verkaufte sie daraufhin an die KPM Berlin.
Die Zusammenarbeit von Scheurich und Pfeiffer nahm nach dem Ersten Weltkrieg Fahrt auf und es erstaunt noch heute, in welch schneller Folge der Künstler Modelle nach Meissen lieferte. In der Sammlung Rafael sind sie alle in frühen Ausformungen vertreten, zum Teil handelt es sich um „Urstücke“, von denen nur jeweils elf Exemplare unter Aufsicht des Künstlers als exklusive Edition angefertigt wurden. Besonders hervorzuheben ist die „Dame mit Mohr“, ein Modell von 1918, das in privatem Auftrag entstand und zunächst nur dreimal geformt wurde. Dargestellt ist eine Rokokodame, die mit einem Schwarzen Galan tändelt – es wirkt, als hätte Scheurich eine Krinolinengruppe von Johann Joachim Kaendler durch die Art-déco-Heißmangel gedreht. Es ist ein fantastisches Modell, das wiederum hervorragend sein künstlerisches Erfolgsrezept belegt. Eine der erwähnten drei Ausformungen ist nun zu haben, geschätzt mit 10.000 Euro.