Der Trend auf dem Kunstmarkt für Möbel hält an – beste Provenienz, Noblesse und atemberaubende Handwerkskunst bestimmen die obere Preiskategorie
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23.05.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 8/22
Glanzvolle Zuschläge sind wie die Kirschen auf der Sahnetorte. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Doch wie die Zahl der verlockenden Früchte ist auch die preisliche Oberliga historischer Möbel überschaubar, noch dazu, da in den letzten zwölf Monaten keine Sammlungen à la Rothschild oder Dalva-Brothers den Markt in schwindelnde Höhen trieben. Im High-Price-Bereich, der über sechsstellige Zuschläge nicht hinauskam, markieren ein Dutzend luxuriöser Stücke, dass der Möbelmarkt funktioniert wie der Porzellanmarkt, der Kunstkammermarkt oder der Silbermarkt. Meisterwerke haben Zugkraft. Teuerstes Möbel innerhalb dieses Zeitraumes wurde am 10. Juni 2021 mit einem Zuschlag von 670.000 Dollar (Taxe 150.000 Dollar) bei Christie’s in New York ein elegantes, anmutig wirkendes frühbarockes Kabinett in Boulle-Technik. Es ist ein grandioses Beispiel, dass die auf den Pariser André Charles Boulle zurückgehende Technik der dicht ornamentierten Zinn-, Messing- und Schildpatteinlagen um 1700 in Wien, wo die Habsburger als deutsche Kaiser römischer Nation dem König in Versailles an Pracht nicht nachstehen wollten, mit gleicher Perfektion angewendet wurde.
Die Melange aus noblem Entwurf, herausragender handwerklicher Qualität und historischer Bedeutung hat sich oft als die Dreifaltigkeit der Spitzenpreise erwiesen, wie auch im Falle einer Kommode, die dem Kunsttischler Adam Weisweiler zugeschrieben ist. Das für den Pariser typisch klar gegliederte Louis-Seize-Möbel mit schwarzgrundigen Japan-Lack-Kassetten in hellem Mahagonikorpus von circa 1785/90 konnte die Taxe mit dem Zuschlag bei 380.000 Euro Mitte November bei Sotheby’s in Paris fast verdoppeln. Dass ein fast identisches Modell Weisweilers an den Hof Louis XVI. nach Saint Cloud ging und ein anderes die Königin für ihr Schlafzimmer in Versailles orderte, dürfte die Bieter animiert haben.
Ob zwei damals noch sorglose russische Oligarchen den Preis für eine frühklassizistische Ottomane à la turque mit fein geschnitzten Widderköpfen und wilden Voluten bei Sotheby’s Paris im Juni 2021 von 60.000 Euro auf 380.000 Euro hochgetrieben haben, ist nicht bekannt. Aber dass Zar Paul I. diese Liege aus der Werkstatt Georges Jacobs während seines Paris-Trips 1780 geordert hat, ist möglich. Bis ins 20. Jahrhundert hinein soll sie sich in Pavlowsk befunden haben. Einen beachtlichen Preis erzielte mit 420.000 Euro (Taxe 250.000 Euro) Mitte September bei Christie’s in Paris auch ein Satz von sechs Fauteuils von 1768, gestempelt vom Pariser Meister Louis Delanoise. Entscheidende Frage: Fällt die Vermutung, dass der polnische König Stanislaus der einstige Auftraggeber war, oder die Provenienz Karl Lagerfeld hier mehr ins Gewicht? Ohne Zweifel besitzen sie in ihrer vornehmen Zurückhaltung Eleganz und die Meisterschaft eines sicheren Entwurfs.
Im Spitzenfeld der Preise sind, wie schon seit Jahren, erneut Möbel des späten 19. Jahrhunderts vertreten. Gewagte Entwürfe, die für die Elite der Belle Epoque gedacht waren, für die Weltausstellungen konzipiert wurden und den Zeitgeist auf die Spitze trieben, stehen längst im Fokus von Sammlern und Museen. Ein starkes Stück Japonismus ist das 1874 von Emil Reiber entworfene und von Christofl & Cie damals angebotene, tonnenförmige Eck-Kabinett, das mit Cloisonné-Partien, Drachenmotiven und einer Faux-Bamboo-Bekrönung beeindruckt. Christie’s erzielte in seinem Londoner Exceptional Sale am 8. Juli für das Möbel, dessen Pendant zum Bestand des Pariser Musée des Arts décoratifs gehört, 550.000 Pfund. Nur ein paar Lose weiter untermauerte eine Arbeit des Gießers Ferdinand Barbedienne die Preisklasse solcher Werke: Ein Tisch mit Elefantenköpfen als Füßen und einer Mittelsäule im Bambus-Look, auf dem ein exotisches Fischglas thront, kletterte von taxierten 80.000 auf 350.000 Pfund.
Selbst deutsche Häuser spüren den Zug des Historismus, wenngleich bescheidener und ohne die großen Namen. Nagel in Stuttgart versteigerte Mitte Juli ein italienisches, schwarzes Kabinett mit feinen Elfenbeinintarsien und Schildpatt-Partien taxgerecht für 10.000 Euro. Lempertz reichte aus der Sammlung des Connaisseurs Bernard de Leye am 15. Juli in Köln ein Tischchen im Neo-Empire-Habitus mit eingelassener Porzellanplatte, Bronzen und exzentrisch überdehnten, animalischen Bronzebeinen für 32.000 Euro weiter (Taxe 25.000 Euro).