Für Gemälde von Melchior de Hondecoeter gab es mehr sechsstellige Ergebnisse als je zuvor. Seine Werke werden international gehandelt – die meisten in London und New York
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19.05.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 9/22
Es ist ein beiläufiges Detail, dem das berühmteste Gemälde Melchior de Hondecoeters (Utrecht 1636–1695 Amsterdam) seinen populären Namen verdankt: Eine kleine „Schwimmende Feder“, die, leicht zu übersehen, in seinem Hauptwerk „Ein Pelikan und andere Vögel an einem Teich“ auf dem Wasser dahingleitet. Das Kompositionsmuster ist geläufig, und in der Konzentration auf das Geflügelstück arbeitete der Fächler nahezu alle Themenstellungen ab, die sich innerhalb der Grenzen seiner Spezialisierung anboten. Dabei ließen seine Bildfindungen keinen Zweifel daran, dass sie sich an eine vermögende Käuferschicht richteten, die den eigenen Lebensstil darin wiedererkennen wollte. So waren seine eher bescheidenes Sozialprestige vermittelnden Hühnerhöfe vorsorglich von dekorativen Bäumen hinterfangen, die das bäuerliche Anwesen, zu denen sie vermutlich gehörten, dezent verbargen. Dagegen leistete das Jagdstillleben durchaus die angestrebte Aussage zur Klassenzugehörigkeit, denn das Erlegen von Federwild war traditionell ein Privileg des Adels. Desgleichen bewegten sich seltene Exoten, die nur in fürstlichen Menagerien zu finden waren, in den oft italianisierenden Landschafts-Settings derart majestätisch zwischen heimischen Vogelarten, modischen Äffchen und eleganten Jagdhunden, als wäre das gepflegte Parkgelände eines Herrensitzes ihr natürliches Biotop. Anzunehmen ist, dass sich ihren gebildeten Besitzern auch der Sinn von Hondecoeters Interpretationen zu Tierfabeln leichter erschloss; die häufig großen Formate legen nahe, dass sie seine Motive gern als Ausstattungsstücke bestellten. Aufgrund der technischen Finesse des Vortrags und des enorm dekorativen Effekts blieben seine stilllebenhaften Arrangements und erzählenden Ereignisbilder noch lange nach seinem Tod begehrte Sammlerstücke.
Als prägendes Vorbild wird häufig der Antwerpener Tier- und Stillleben-Maler Frans Snyders genannt; ebenso einleuchtend ist, dass der Künstler entscheidende Anregungen von seiner Familie empfing: Als Spross einer aus Flandern zugewanderten Maler-Dynastie erlernte er sein Handwerk zunächst im Atelier seines Vaters Gijsbert und setzte seine Ausbildung nach dessen Tod bei seinem Onkel Jan Baptist Weenix fort, dessen idealisierte Landschaftshintergründe mit klassizistischem Mobiliar er in Teilen übernahm. Auch mit seinem wenige Jahre jüngeren Cousin Jan Weenix scheint er regen Austausch gepflegt zu haben. Darüber hinaus sind die Erkenntnisse zu seiner Biografie mager, und darum bleibt Arnold Houbrakens Groote schouburgh trotz weitgehender Beschränkung auf Anekdotisches und auch faktischer Ungereimtheiten eine grundlegende Quelle.
Ab 1659 wirkte de Hondecoeter mehrere Jahre in Den Haag, wie aus der Mitglieder-Liste der dortigen Malergilde „Pictura“ zu ersehen ist. 1663 zog er nach Amsterdam, wo er heiratete und eine Familie gründete; fünf Jahre später wurde ihm dort das Bürgerrecht zuerkannt. Häusliches Glück war dem Familienvorstand jedoch nicht beschieden, denn zu lesen ist, dass er den Verdruss über seine zänkische Hausfrau „mit geistigen Getränken von seinem Herzen zu spülen gezwungen war“. Der daheim Unverstandene war außer Haus zum Glück mehr geschätzt: Zu seinen prominenten Kunden gehörte unter anderen Wilhelm III. von Oranien, der Statthalter der Niederlande und spätere König von England, der ihn nicht nur mit Aufträgen bedachte, sondern ihm auch die Nutzung seiner Menagerien in den Gärten seines Schlosses Het Loo gewährte. Mit Sicherheit konnte de Hondecoeter jedoch auch auf eigene Tiermodelle zurückgreifen. Berichtet wird etwa von einem abgerichteten Hahn, der in jeder gewünschten Pose auszuharren vermochte – allerdings auch von Vorrichtungen, die es dem Maler erlaubten, seine Tiere für die erforderliche Dauer zu fixieren, was heute vermutlich den Tierschutz alarmieren würde. Lag es an der abflauenden Auftragslage oder doch an den „geistigen Getränken“? Bei seinem Tod hinterließ der Hauptmeister des niederländischen Geflügelstücks seiner Tochter angeblich nur einen Schuldenberg.
Aufgrund fehlender Datierungen ist ein chronologischer Überblick über sein Œuvre nicht leistbar; auch über den Umfang kann nur spekuliert werden. Bereits zu seinen Lebzeiten hatten Nachahmer versucht, in seinen Markt einzudringen, und es ist davon auszugehen, dass viele solcher Kopien nachträglich mit seiner weiterhin hoch bewerteten Signatur versehen wurden; es gibt sogar Stimmen, die nicht mehr als zwanzig seiner bekannten Gemälde als authentisch gelten lassen wollen. Das aber kann einfach nicht stimmen: Allein seit 2012 gelangten 51 Gemälde auf den Markt; im vorigen Jahrzehnt waren es sogar 63, was einer aktuellen Verknappung um 20 Prozent entspricht. Im gleichen Zeitraum sank die Quote der Rückgänge von einem Drittel auf gut ein Viertel. Das Vertrauen der Käufer in die Offerte drückte sich nicht allein im verbesserten Absatz aus, sondern auch im weiterhin stabilen Preisniveau. Zwar kam es zu mehr vierstelligen Zuschlägen als gewohnt, doch erhielten 17 und damit die knappe Hälfte der vermittelten Lose Höchstgebote über 100.000 Euro – mehr als je zuvor! Allerdings ist es schwieriger geworden, die Hürde von einer halben Million zu überspringen, und auch das New Yorker Millionen-Ergebnis von 2011 ließ sich nicht mehr wiederholen. Nennenswerte Umwälzungen gab es nicht.
Die Marktführer Christie’s und Sotheby’s pflegten mit Spitzen-Qualitäten in London und New York weiterhin de Hondecoeters Signatur, doch auch auf dem europäischen Kontinent ließen sich gute Preise erzielen. Den Bestwert des Jahrzehnts erzielte im Oktober 2012 sogar das Wiener Dorotheum, wo ein wonniges „Vogelkonzert“ von 450.000 auf 612.000 Euro gehoben wurde. Mit nur 100.000 Pfund erstaunlich niedrig geschätzt war bei Christie’s London im Juli 2016 eine Komposition mit „Pelikan, Kronenkranich, Tuberkelhokko, Saruskranich und Enten in einer Flusslandschaft“. Es handelt sich um eine vermutlich frühere Version der erwähnten „Schwimmenden Feder“ im Amsterdamer Rijksmuseum, die auch hier nicht fehlt und nun flussabwärts treibt. War man sich über den prominenten Rang des Bildes im Werk des Künstlers im Klaren? Die Bieter waren es jedenfalls und hoben es beherzt auf 420.000 Euro – in Anbetracht der laxen Taxe zweifellos ein zufriedenstellendes Resultat, das aber durchaus noch optimierbar sein dürfte. Weniger erfolgreich war Sotheby’s New York und konnte im Juni 2017 mit einem „Pfauenpaar, Kranich, Hühnern und anderen Vögeln in einer Landschaft“ mit 300.000 Dollar gerade die untere Taxe durchsetzen. Im vergangenen Januar jedoch schrieb Christie’s New York nochmals einen hervorragenden Wert: Eine Komposition mit exotischen und einheimischen Vogelarten, darunter „Ein Saruskranich, ein Flamingo, ein wilder Truthahn, zwei papuanische Vögel und ein Wiedehopf“ war mit einer Viertelmillion Dollar angesetzt, doch das einträchtige Miteinander wurde umstandslos auf 480.000 Dollar gehoben.
Deutsche Häuser werden von Einlieferern oft übergangen, obwohl auch hier respektable Zahlen machbar sind. Bei Frank Peege, Freiburg, kam ein „Hahnenkampf“ 2012 zwar vorhersehbar nicht über 4700 Euro hinaus (Abb. links), doch im November des Folgejahres verbesserte sich bei Lempertz, Köln, eine kleinere, seltene Ölstudie mit sieben „Küken“ von 100.000 auf 155.000 Euro. Ende 2020 wurde dort auch der Titel „Enten in Waldlandschaft“ von 40.000 auf 150.000 Euro hochgezogen. Deutlich hinter den Erwartungen blieb dagegen eine „Henne mit Küken“, die im vergangenen Dezember bei Hampel, München, mit 19.000 Euro enttäuschte (Taxe 25.000).
RESÜMEE
Lisanne Wepler,
„Bilderzählungen in der Vogelmalerei des niederländischen Barocks“,
Petersberg 2014